Unser Leben würde ohne Euphemismen gar nicht funktionieren. Wenn wir nicht für vieles ein netten, kuscheligen, zarten, warmen und weichen, einen unbescholtenen und unbefleckten, einen lieben und guten Ausdruck hätten, würden wir uns täglich totschlagen.
Wer möchte diesen Erdball
Noch fernerhin betreten
Wenn wir Bewohner überall
Die Wahrheit sagen täten
dichtet Wilhelm Busch in Kritik des Herzens
So ist eben
ein Saugoof kein Saugoof sondern ein verhaltensorigineller Bub, so ist man
nicht fett, sondern robust, vollschlank, stämmig oder untersetzt (kein Bereich
ist so euphemisiert wie das Aussehen) und man ist nicht strunzdumm sondern eher
praktisch orientiert. Eine Wohnung, die man nur mit Machete betreten kann, hat
einen leichten Bohème-Touch und ein Auto, das seit 1998 nicht beim TÜV war, ist
ein charmanter Oldtimer. Ein wüstes Saufgelage inklusive Prügelei und sexuellen
Übergriffen wird zur Feucht-fröhlichen Runde und ein Fussballspiel, nach dem 3
Ohren, 4 Nasen, etliche Zähne und ein Arm auf dem Feld zurückbleibt, wird zur
Kraftvollen Partie. In keinem Bereich stösst die Sprachwissenschaft auf so
viele Neologismen und Neuphrasen wie in der sogenannten Euphemismologie, einem
jungen Zweig der Linguistik, der sich mit den Schönredereien des Alltags
beschäftigt. Die DEG, die Deutsche
Euphemismologische Gesellschaft vergibt seit 2014 einen Preis für die
originellste Wortschöpfung, im ersten Jahr erhielt ihn die DB für «Verzögerungen
im Betriebsablauf» (statt «Kaputte Technik und schlampige Planung»), 2015 bekam
ihn der Flughafen Berlin-Brandenburg für «ausgeschöpfte Bauzeit» (statt «wir
werden nie fertig»).
Politiker
sind naturgemäss Meister des Euphemismus. Da kann es sein, dass nach einer Wahl
alle, aber auch alle Parteien sich hochzufrieden äussern: Die CDU ist stärkste
Kraft geblieben, die SPD hat dazugewonnen, die GRÜNEN sind reingekommen, die
FDP ist dringeblieben, die AfD hat aus dem Stand den Einzug geschafft und die
LINKEN haben ihre Ziele erreicht, welche das waren, sagen sie nicht so genau.
Wenn ein
Politiker redet, dann strotzt es so von Schönrederei, dass er mit jedem Satz
einen Ausdruck, hervorbringt, der auf die Shortlist der DEG kommen könnte. «Sicher besteht bei dieser Vorlage noch ein gewisser Optimalisierungsbedarf.»
Auf Deutsch: Der eingereichte Gesetzesentwurf ist a) nicht verfassungsgemäss, b) sachlich falsch, c) 45 Seiten zu lang und d) in einem Deutsch, das jedem Migranten die Sprachprüfung versauen und diesem die angestrebte Staatsbürgerschaft verunmöglichen würde.
Wenn hier
Politiker die ungekrönten Könige sind, dann ist es umso erstaunlicher, dass auf
internationalem Parkett so viele Pannen passieren.
Stellen Sie
sich die folgende Situation vor: Da beschuldigt Staat A den Staat B, bei sich
Terrororganisationen zu beherbergen, die Staat A schaden wollen und macht mal
kurz einen kleinen Überfall auf Staat B. Und Staat C, der mit beiden gut
auskommt, weiss jetzt nicht, wie er was sagen soll. «Terror» und «Invasion»
möchte er nicht in den Mund nehmen, also stottert und stammelt er, er haspelt
und wispelt und kommt zu keinem Potte. Dabei könnte er doch einfach von
«undiplomatischen Splittergruppen» und von «undiplomatischem Eingriff» reden,
das hört sich doch schon viel konzilianter an. Und trotzdem wissen alle, was gemeint ist.
Und hier
kommen wir auf den Punkt: Wir brauchen einen Euphemismus für «Völkermord». Wenn
wir schon nicht sagen dürfen und wollen, was da geschehen ist, weil Erdie so
leicht einschnappt und weil wir Erdie ja irgendwie brauchen und weil das alles
so kompliziert ist, weil zwar der Bundestag eindeutig Stellung bezogen hat,
aber Angie jetzt verkündet hat, das sei nur eine Empfehlung gewesen, weil also
dieses Wort so schwer über unsere Lippen kommt, müssen wir es schönreden.
Was wäre
aber ein geeigneter Euphemismus für Genozid? Vielleicht «Ethnische Annullation»?
Vielleicht «Verhinderung weiterer Ausbreitung eines Volkes»?
Vielleicht «….»?
Nein.
Nein und nochmals nein.
Gewisse Dinge gehen einfach nicht.
Wir müssen uns eingestehen, dass man manche Dinge nicht schönreden kann. Es gibt einfach Grenzen. Jemand der seit 1998 seine Wohnung nur zugemüllt, aber nicht geputzt hat, ist kein Bohemien, sondern ein Messie. Ein Fussballspiel, bei dem Körperteile abgerissen werden, ist nicht mehr kraftvoll, sondern gewalttätig und kriminell. Eine Fete, bei der Frauen vergewaltigt werden, ist nicht mehr feucht-fröhlich.
Und ein
Genozid bleibt ein Genozid; und es ist schade, dass die Bundesregierung hier
zurückgekrebst ist.
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