Dienstag, 13. September 2016

Euphemismus für "Genozid"?

Liebe Leserin, lieber Leser, wissen Sie, was ein Euphemismus ist? Dumme Frage, natürlich wissen Sie es: Ein Ausdruck, der negative Dinge schönredet. Wobei «schönreden» so einen Beigeschmack hat, weshalb man lieber sagt «Das hast du euphemistisch ausgedrückt» als «Das redest du schön», wonach das Wort EUPHEMISMUS selber schon ein Euphemismus ist.

Unser Leben würde ohne Euphemismen gar nicht funktionieren. Wenn wir nicht für vieles ein netten, kuscheligen, zarten, warmen und weichen, einen unbescholtenen und unbefleckten, einen lieben und guten Ausdruck hätten, würden wir uns täglich totschlagen.
Wer möchte diesen Erdball
Noch fernerhin betreten
Wenn wir Bewohner überall
Die Wahrheit sagen täten
dichtet Wilhelm Busch in Kritik des Herzens

So ist eben ein Saugoof kein Saugoof sondern ein verhaltensorigineller Bub, so ist man nicht fett, sondern robust, vollschlank, stämmig oder untersetzt (kein Bereich ist so euphemisiert wie das Aussehen) und man ist nicht strunzdumm sondern eher praktisch orientiert. Eine Wohnung, die man nur mit Machete betreten kann, hat einen leichten Bohème-Touch und ein Auto, das seit 1998 nicht beim TÜV war, ist ein charmanter Oldtimer. Ein wüstes Saufgelage inklusive Prügelei und sexuellen Übergriffen wird zur Feucht-fröhlichen Runde und ein Fussballspiel, nach dem 3 Ohren, 4 Nasen, etliche Zähne und ein Arm auf dem Feld zurückbleibt, wird zur Kraftvollen Partie. In keinem Bereich stösst die Sprachwissenschaft auf so viele Neologismen und Neuphrasen wie in der sogenannten Euphemismologie, einem jungen Zweig der Linguistik, der sich mit den Schönredereien des Alltags beschäftigt. Die  DEG, die Deutsche Euphemismologische Gesellschaft vergibt seit 2014 einen Preis für die originellste Wortschöpfung, im ersten Jahr erhielt ihn die DB für «Verzögerungen im Betriebsablauf» (statt «Kaputte Technik und schlampige Planung»), 2015 bekam ihn der Flughafen Berlin-Brandenburg für «ausgeschöpfte Bauzeit» (statt «wir werden nie fertig»).

Politiker sind naturgemäss Meister des Euphemismus. Da kann es sein, dass nach einer Wahl alle, aber auch alle Parteien sich hochzufrieden äussern: Die CDU ist stärkste Kraft geblieben, die SPD hat dazugewonnen, die GRÜNEN sind reingekommen, die FDP ist dringeblieben, die AfD hat aus dem Stand den Einzug geschafft und die LINKEN haben ihre Ziele erreicht, welche das waren, sagen sie nicht so genau.
Wenn ein Politiker redet, dann strotzt es so von Schönrederei, dass er mit jedem Satz einen Ausdruck, hervorbringt, der auf die Shortlist der DEG kommen könnte.
«Sicher besteht bei dieser Vorlage noch ein gewisser Optimalisierungsbedarf.»
Auf Deutsch: Der eingereichte Gesetzesentwurf ist a) nicht verfassungsgemäss, b) sachlich falsch, c) 45 Seiten zu lang und d) in einem Deutsch, das jedem Migranten die Sprachprüfung versauen und diesem die angestrebte Staatsbürgerschaft verunmöglichen würde.

Wenn hier Politiker die ungekrönten Könige sind, dann ist es umso erstaunlicher, dass auf internationalem Parkett so viele Pannen passieren.
Stellen Sie sich die folgende Situation vor: Da beschuldigt Staat A den Staat B, bei sich Terrororganisationen zu beherbergen, die Staat A schaden wollen und macht mal kurz einen kleinen Überfall auf Staat B. Und Staat C, der mit beiden gut auskommt, weiss jetzt nicht, wie er was sagen soll. «Terror» und «Invasion» möchte er nicht in den Mund nehmen, also stottert und stammelt er, er haspelt und wispelt und kommt zu keinem Potte. Dabei könnte er doch einfach von «undiplomatischen Splittergruppen» und von «undiplomatischem Eingriff» reden, das hört sich doch schon viel konzilianter an.
Und trotzdem wissen alle, was gemeint ist.

Und hier kommen wir auf den Punkt: Wir brauchen einen Euphemismus für «Völkermord». Wenn wir schon nicht sagen dürfen und wollen, was da geschehen ist, weil Erdie so leicht einschnappt und weil wir Erdie ja irgendwie brauchen und weil das alles so kompliziert ist, weil zwar der Bundestag eindeutig Stellung bezogen hat, aber Angie jetzt verkündet hat, das sei nur eine Empfehlung gewesen, weil also dieses Wort so schwer über unsere Lippen kommt, müssen wir es schönreden.
Was wäre aber ein geeigneter Euphemismus für Genozid?
Vielleicht «Ethnische Annullation»?
Vielleicht «Verhinderung weiterer Ausbreitung eines Volkes»?
Vielleicht «….»?
Nein.
Nein und nochmals nein.
Gewisse Dinge gehen einfach nicht.
 Wir müssen uns eingestehen, dass man manche Dinge nicht schönreden kann. Es gibt einfach Grenzen. Jemand der seit 1998 seine Wohnung nur zugemüllt, aber nicht geputzt hat, ist kein Bohemien, sondern ein Messie. Ein Fussballspiel, bei dem Körperteile abgerissen werden, ist nicht mehr kraftvoll, sondern gewalttätig und kriminell. Eine Fete, bei der Frauen vergewaltigt werden, ist nicht mehr feucht-fröhlich.

Und ein Genozid bleibt ein Genozid; und es ist schade, dass die Bundesregierung hier zurückgekrebst ist.













      

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