Dienstag, 11. Februar 2025

Der ewige Lärm

Am Anfang ihres wunderbaren Buches «Klara oder die Liebe zum Zoo» lässt Pia Frankenberg die Protagonistin etwas Herrliches machen:
Sie öffnet das Fenster ihrer New Yorker Wohnung und brüllt hinaus, dass jetzt doch alle mal still sein sollen. Und siehe da, alles schweigt augenblicklich, ausser einer Frau, die drei Plätze weiter immer noch in ihr Handy schreit. Als Klara diese aber direkt anspricht («Ja, auch DU!!!!»), lässt auch diese ihr Cellphone sinken und schweigt. Natürlich passiert das nicht so wirklich, eher so in Klaras Phantasie, aber die Idee ist toll.

Denn der Lärm ist ja überall. War der Lärm früher in den Metropolen, eben in New York, in Paris oder London, dann hat er sich jetzt überall auf der Welt festgesetzt.
Wollen Sie Beispiele?

Ich steige jeden Morgen in Olten in die S-Bahn nach Solothurn. Nun, dass in einem Knotenpunktsbahnhof wie Olten Ruhe herrscht, das kann man jetzt wirklich nicht verlangen, da rattert und rumpelt, da bammert und bumpelt es, da quietschen Gleise und werden Karren ausgeladen, da dröhnen Lautsprecher und zischen Ventile, auf einem Knotenpunktsbahnhof herrscht Knotenpunktsbahnhoflärm, da kann man nichts machen.
Aber in S-Bahn müsste doch Ruhe sein…

Aber dann ist da die Frau in der S-Bahn, die mit ihrer Mutter telefoniert, und damit wir alle, wirklich alle, dieses wichtige Gespräch auch mitbekommen, schreit sie nicht nur selbst in ihr Handy, sondern hat auch ihre Frau Mama auf laut gestellt: «Heut kann ich nicht kommen, ich muss arbeiten!» «Aber ich kann die Kiste nicht allein…» «Morgen, Mama, morgen.» «Aber Abholung ist heute.» «Dann frage Frau Schmied!» «Die kann ich doch nicht immer fragen…»
All das in einer Lautstärke, die auch zwei Waggons weiter noch deutlich hörbar ist. Zum Glück steigt sie in Oensingen aus, und ich kann noch 15 Minuten schlafen oder zumindest dösen.

In Solothurn ist es dann wieder laut.
Solothurn ist kein Knotenpunktsbahnhof, es herrscht also kein Knotenpunktsbahnhoflärm, Solothurn ist nur ein Normalbahnhof und es herrscht auch nur Normalbahnhoflärm, aber dennoch: Da rattert und rumpelt, da bammert und bumpelt es, da quietschen Gleise und werden Karren ausgeladen, da dröhnen Lautsprecher und zischen Ventile, es könnte eine wahre Freude sein.
Wenn es Freude wäre.

Dann der Bus Linie 4 Richtung Rüttenen, und auch in ihm könnte es ja ruhiger sein. Könnte. Aber der Vierer hält an den Kantonsschulen und da sind nun ganz viele Kantonsschüler, die ihre unendlich vielen TikTok-Videos und Insta-Videos angucken müssen, natürlich alles ohne Kopfhörer. Sogar ich habe inzwischen Airpods, warum stecken die Jungs und Mädels sich die netten Dinglein nicht in die Ohren? Und so habe ich die Wahl, ob ich die Bumm-bumm-bumm-bumm-bumm-Musik meines rechten Nachbarn mithöre oder die Stimme einer Influencerin aus dem Smartphone meiner Nachbarin links. («HALLOOOOO MÄDELS HIEEEEEER BIN ICH WIEEDER MIT DEN UUUUUUUUUUUUUULTIMATIIIIIIIIIIIVEN TIPPPPPPPS»)

Ich steige an der Zentralbibliothek aus und gehe die paar Schritte zu meinem Unterrichtszimmer. Hier hätte ich jetzt 30 Minuten Zeit und Musse, meinen Tag ein wenig zu planen, denn wenn die Schüler kommen, wird es wieder laut. Und das ist OK, wer wegen starkem ADHS bei uns ist, der kommt nicht auf leisen Sohlen, das ist immer ein Ereignis, und wenn er still und leise wäre, wäre er nicht bei mir.
Aber diese 30 Minuten werden nun konsequent von irgendwelchen Apparaten vernichtet, Apparate, die man ja unbedingt schon um 7.30 laufen lassen muss:
Laubbläser.
Kreissägen.
Starkstaubsauger.
Betonmischer.

Um 12.00, wenn ich mich auf den Heimweg mache, wiederholt sich alles in der umgekehrten Weise:
Im Bus zum HBF Kantonsschüler, die ihre unendlich vielen TikTok-Videos und Insta-Videos angucken müssen, natürlich alles ohne Kopfhörer.
Der Normalbahnhof mit dem Normalbahnhoflärm, da rattert bumpelt es, da quietschen Gleise und zischen Ventile.
Eine andere Frau in der S-Bahn, die aber ihr Handy genauso bedient wie die am Morgen. Zum Glück bin ich so müde vom Arbeiten, dass ich mühelos schlafen kann.
Am Knotenpunktsbahnhof dann wieder Knotenpunktsbahnhoflärm, es rumpelt und battert, Karren werden ausgeladen und Züge gekoppelt.

Manchmal beneide ich Klara.
Sie öffnet das Fenster ihrer New Yorker Wohnung und brüllt hinaus, dass jetzt doch alle mal still sein sollen. Und siehe da, alles schweigt augenblicklich, ausser einer Frau, die drei Plätze weiter immer noch in ihr Handy schreit. Als Klara diese aber direkt anspricht («Ja, auch DU!!!!»), lässt auch diese ihr Cellphone sinken und schweigt. Natürlich passiert das nicht so wirklich, eher so in Klaras Phantasie, aber die Idee ist toll.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


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