Freitag, 20. Januar 2023

Die guten alten Verfahrensweisen

Ich berichte der Frau aus dem Hinterhaus, wie ich Fenster putze:
Wie meine Urgrossmutter, meine Grossmutter und meine Mutter verwende ich eine spezielle Methode. Ich nehme zunächst den Staub weg, denn es ist ja immer das Problem, dass man mit dem Wasser zunächst den Staub zu einem Lehm verschmiert, den man dann wegwischen muss. Ich fahre also wie meine Urgrossmutter, meine Grossmutter und meine Mutter mit einem Staubtuch über das Glas und entferne den Staub, es ist nun fast schon sauber, dann sprühe ich ein wenig Fenstermittel auf die Fläche und reibe mit Haushaltspapier trocken.
Nicht wie meine Urgrossmutter, meine Grossmutter und meine Mutter, die machten das mit heissem Wasser, Essig und Zeitungspapier.
Die Frau aus dem Hinterhaus meint, das sei ja gut und schön, aber sie putze viel besser mit destilliertem Wasser, Putzsprit und fast kochendem H2O, dann mit so einem Fenstergummischieber alles wegfahren. Sei super.
Wir reden noch eine Weile, so nach dem Motto «ich lasse ihre Methode stehen und sie meine nicht», bis herauskommt, dass sie selber gar nie Fenster putzt, sondern natürlich putze ihre Putzfrau, und die verwende eben destilliertes Wasser, Putzsprit und fast kochendes H2O, und würde dann mit so einem Fenstergummischieber alles wegfahren.
Aber dennoch hat meine Hinterhäuslerin eine klare Meinung.

Ich berichte einem Arbeitskollegen, wie ich einen Mürbteig mache:
Wie meine Urgrossmutter, meine Grossmutter und meine Mutter verwende ich eine spezielle Methode. Ich mische Mehl mit Backpulver und baue daraus einen Ring, in den ich Eier und Zucker leere, auf den Rand des Ringes werden kleine Bröcklein Butter verteilt. Und wie meine Urgrossmutter, meine Grossmutter und meine Mutter verkleppere ich nun Ei und Zucker zu einem Brei, dann fange ich an, den Rand mit einer Gabel in den Brei zu stossen, irgendwann kommen dann die Hände dran, die hier gut kneten dürfen. Später kommt dann der Teig (oder das, was aus dem Teig wird) in den Hightech-Induktions-Backofen.
Nicht wie bei meiner Urgrossmutter, meiner Grossmutter und meiner Mutter, da war das Kohleofen (Urgrossmama) oder Gas (Oma und Mama).
Mein Arbeitskollege meint, das sei ja gut und schön, aber er benutze (natürlich) den Knethaken bei ihrer Superarbeitsmaschine, einfach alles in die Schale und angestellt, das könnten Gabel und Hände nicht.
Wir reden noch eine Weile, so nach dem Motto «ich lasse ihre Methode stehen und sie meine nicht», bis herauskommt, dass natürlich nicht er die Maschine bedient, sondern seine Ehefrau, die habe die Turbo-Kitchen-XXL-25 angeschafft und mache damit die besten Plätzchen.
Aber eine klare Meinung hat der Mann.

Was zeigen uns die beiden Beispiele?
Ja, liebe Leserin und lieber Leser, das sind heute mal nur zwei und nicht drei, das würde sonst zu lang, es ist auch nirgendwo festgelegt, dass es immer drei Beispiele sein müssen; ich bin kein Pfarrer, und auch bei denen ist ja die Drei-Teile-Predigt auch nicht mehr Gesetz, ich bin kein Pfarrer und kein Priester, auch wenn ich ja neulich sehr lange über die Verbindung von Glosse und Predigt geschrieben habe; ich bin auch kein Hegelianer, kein Alt-, Neu- oder Jung-Hegelianer, bei Hegel müssen es ja immer, und zwar stets und wirklich immer drei Schritte sein; ich bin also nicht gezwungen, drei Beispiele zu bringen.
Aber wir sind völlig vom Thema abgekommen…

Was zeigen uns denn nun die beiden Beispiele?
Sie zeigen zweierlei:

Erstens gibt es Verfahren, die einfach gut sind, obwohl schon sehr alt. Es ist eine wunderbare Methode, Fenster zunächst mit dem Staublappen abzuwischen, es ist eine wunderbare Methode mit dem Mehlring zu arbeiten. So wie vor hundert Jahren.
Aber auch das: Da sitzen Sie zum Beispiel da und überlegen, wie Sie Helena fragen könnten, ob sie übermorgen mit in die neue Ausstellung kommt. Eine Mail schreiben? Eine SMS? WhatsApp? Oder irgendeine andere Methode? Was hätten meine Urgrossmutter, meine Grossmutter oder meine Mutter gemacht? Meine Urgrossmutter, meine Grossmutter oder meine Mutter wären kurz bei Helena vorbei gegangen und hätten sie mündlich gefragt. Immerhin wohnt die Dame ja nur einen Stock höher…

Zweitens zeigen die Beispiele, dass es zu viele Menschen gibt, die sich als Experten für X oder Y ausgeben. Und wenn man dann genau nachfragt, dann haben sie ihr Wissen auch nur aus zweiter Hand. Eine meiner Nachbarinnen war da Meisterin drin. Sie hatte auf alle kulinarischen Fragen stets eine Bemerkung parat. Man musste aber wissen, dass die Köstlichkeiten, die sie deinen entgegenhielt, von ihrem Exfreund angeliefert wurden.


So viel für heute.
Jetzt mache ich mir einen Kaffee. Allerdings aus der Maschine und nicht wie meine Urgrossmutter, meine Grossmutter und meine Mutter. Obwohl das Wasser-aufgiessen-Filtertüte-Verfahren schon auch etwas hatte…

 

         

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