Dienstag, 9. März 2021

Menschen (und Maschinen) sind Gewohnheitstiere

Peter hat im November mit dem Rauchen aufgehört. Da er zweieinhalb Päckchen pro Tag geraucht hatte, ergibt das eine relativ eine grosse Summe, die er spart; 20 Franken am Tag, 600 Franken im Monat, 7200 Franken im Jahr. Peter hat nun praktisch einen 14. Monatslohn. Dazu kommt, dass er zu den Corona-Gewinnern gehört, er hatte 2020 sein normales Gehalt, hatte aber keine Möglichkeit es auszugeben. Weder konnte er nach New York oder Shanghai reisen, noch konnte er seinen 30. Geburtstag mit einer grossen Fete feiern.
Also hat sich Peter einige grosse Projekte vorgenommen:
- Umgestaltung des Gartens
- Erwerb einiger Kunstwerke
- Neue Kaffeemaschine
- Neues Mountainbike
- Neugestaltung der Unterhosen-Schublade
Alle diese Projekte, die Peter mit Rauchstopp-Geld und Corona-Gewinn finanziert, haben irgendwie ein «statt» in der Bedeutung. So könnte man die Liste auch so schreiben:
- Rhododendron und Rosen statt nur Wiese
- Signierte Drucke statt Plakate
- Aroma-Vollautomat statt 1990-Modell
- Hightech-Karbon statt Drahtesel
- HOM® statt H&M®
Die Entsorgung der «Altlasten» ist dann eine spezielle Sache. Beim Garten gibt es keine, die (immerhin schön gerahmten) Plakate kommen in den Speicher, die alte Kaffeemaschine und das alte Rad kommen in den Sperrmüll. Und bei den Unterhosen?
Nun, HOM® statt H&M® – und ich kann wirklich nichts für das blöde Wortspiel – findet sukzessive statt, da Peter seine HennesundMauritzpants neulich noch gewaschen hat, liegen 30 HennesundMauritzpants in seiner Schublade, und er wird diese HennesundMauritzpants einzeln noch einmal tragen. Dann, dann, dann ja dann wird Peter diese Pants aber nicht in den Wäschekorb tun, sondern sie im Mülleimer entsorgen.

Und eben dieser Vorgang stellt Peter vor unendliche Mühe: Jeden Morgen kehrt er, wenn er eigentlich schon auf dem Weg zur Garage ist, zum Badezimmer zurück, er fischt die HennesundMauritzhose aus dem Wäschekorb und tut sie in den Mülleimer. Denn er handelt aus Gewohnheit.
Für die Zeit nach H&M® hat er sich nun ein Schild gebastelt:

KEINE HOM-UNTERHOSEN IN DEN MÜLLEIMER SCHMEISSEN! DIE WAREN TEUER!

Warum er so vorsorgt? Weil er natürlich Angst hat, dass er nach einem Monat Unterhosen-Entsorgen sich eben dieses Unterhosen-Entsorgen zur Gewohnheit gemacht hat, und nun die nigelnagelnegelnugelneuen HOM®-Pants einfach wegschmeisst.

Der Mensch ist ein Gewohnheitstier.

Wir alle kennen das. Jede und jeder kann hier Storys und Legenden, kann Geschichten und Mären, kann Anekdoten und Fabeln erzählen.
Hier kommt noch eine ganz, ganz schöne:
Als ich Kind war, hatten wir unseren Zahnarzt in Stuttgart-Zuffenhausen. In der Strassenbahn der Linie 15 in eben diesen Stadtteil schwiegen meine Mutter und ich. Wir schwiegen aus Angst und Bedenken, aus Furcht und Sorgen, denn Angst und Bedenken, Furcht und Sorgen waren berechtigt, immerhin bohrte der Dentist früher ohne örtliche Narkose.
Auf dem Heimweg dann allerdings ging es fröhlich zu, wir schwatzten und plauderten, alberten und lachten. Und wir schwatzten, alberten und lachten, weil wir noch einmal davongekommen waren, er hatte nicht gebohrt und es hatte keine Schmerzen gegeben, für ein Jahr war die Welt wieder in Ordnung.
Nun wechselten wir irgendwann den Zahnarzt und mussten nicht mehr nach Zuffenhausen, witzigerweise zogen aber Freunde meiner Eltern dorthin. Wenn ich jetzt mit meiner Mutter zu diesen Freunden fuhr, dann vollzogen wir in der Linie 15 das gleiche Ritual: Auf der Hinfahrt schwiegen wir bedrückt und auf der Heimfahrt schwatzten wir und plauderten, alberten und lachten. Und das, obwohl es überhaupt keinen Grund mehr gab, und uns diese Absurdität auch völlig klar war.

Der Mensch ist ein Gewohnheitstier.

Die verrückte Sache ist nun, dass auch Maschinen Gewohnheitstiere sind.
Warum schreibt mir booking.com ständig, ob ich an die Orte X, Y und Z möchte, nur weil ich oft an die Orte X, Y und Z fahre? Es wäre doch viel lustiger, wenn booking.com mir per Zufallsgenerator Vorschläge machen würde und Orte nennen, an die ich sonst nie kommen würde:
Rolf, warum nicht mal nach Thaleischweiler-Fröschen?
Rolf, warst du schon mal in Wanne-Eickel? Nein? Dann nichts wie hin…
Rolf, es gibt keinen Grund nach Hellschen-Heringsand-Unterschaar zu fahren, aber wir haben Angebote.
Rolf, auf nach Rehm-Flehde-Bargen…
Auch mein Word® müsste sich doch nicht ständig anpassen. Da es die rote Linie zeichnet, wenn es ein Wort nicht kennt, muss man ja nur ständig ein Wort falsch schreiben und irgendwann wird es Word® kennen. Hat man 40-mal «aufhöhren» geschrieben und schreibt es weitere 40-mal, dann erkennt es das Programm als richtig an…

Nein, die Maschinen könnten doch unsere Gewohnheiten durchbrechen und viel zufälliger, witziger und spontaner sein.
Das wäre eine schöne Sache.

P.S.
Die Ortsnamen gibt es alle wirklich.







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