Freitag, 2. Oktober 2020

Wer spricht im Radio oder Fernsehen welche Sprache?


Vor einigen Jahren guckte ich in einem Kulturprogramm einen Beitrag über die Eröffnung einer Ausstellung im Maurits Huis. Es war eine Gesamtschau eines Künstlers des Goldenen Zeitalters, von dem ich noch nie gehört hatte: Jan van der Tulip (1598–1646). Neben vielen Bildern, die gezeigt wurden, kamen auch diverse Menschen zu Wort. Und diese Wortbeiträge erstaunten mich immer mehr:

Pieter Gruypen (Direktor des Maurits Huis): Van der Tulip is in onze tijd helemaal niet bekend. Hij werkte in Leiden en Amsterdam, …
Ab hier wurde übersprochen: Van der Tulip ist in unserer Zeit gänzlich unbekannt. Er arbeitete in Leiden und Amsterdam…

Margrit Stoffelen (Kuratorin der Ausstellung): We tried to show as much pictures of van der Tulip as we could find. But a lot of his pictures…
Ab hier wurde übersprochen: Wir haben versucht, so viele Bilder von Van der Tulip zu zeigen, wie wir finden konnten, aber viele seiner Bilder…

Jaap Bor (Besucher): Das ist eine wunderbare Ausstellung, und ich kannte ihn gar nicht. Eine absolute Entdeckung! Einige der Stillleben können es mit allen Malern des Goldenen Zeitalters aufnehmen.

Nun wurde ich stutzig. Ich kenne Den Haag und das gesellschaftliche Klima und die Kulturszene einigermassen gut, genauso wie das niederländische Bildungssystem und ich wunderte mich nun doch über die Sprachen. Gruypen sprach Niederländisch. Kann er kein Deutsch? Kann er sicher, er kann aber auch zu 100% Englisch. Genauso wie Stoffelen auch Deutsch kann. Es kann doch nicht sein, dass man den Eindruck gewinnt, der Chef sei jeder Fremdsprache unkundig, die Kuratorin kann dann immerhin Englisch, aber jeder Besucher ist ein Sprachengenie.

Mit dieser Verwunderung seit Jahren im Hinterkopf hörte ich einen Beitrag in SWR2 über die Absage der Basler Fastnacht:

Dr. Lukas Engelberger (Gesundheitsdepartement): Es ist eine absolut harte Entscheidung, die hunderte von Aktiven bis ins Mark treffen wird, aber wir haben angesichts der Erkenntnisse über das Virus keine andere Wahl.

Dr. Baschi Dürr (Vizepräsident): Es isch undänggbar, dass mir bi eme Cortege mit Dausige vo Zuschauer irgendwie Abschtand halte..
Ab hier übersprochen: Es ist undenkbar, dass wir bei einem Umzug mit Tausenden von Zuschauern irgendwie Abstand halten.

Mir verschlug es die Sprache: Warum redet der eine so und der andere so? Erweckt man nicht den Eindruck, Dürr könne keine Standardsprache – oder der andere keine Mundart?
Die Lösung ist denkbar einfach:

Es ist die reine Folklore.   
Es ist pure Show.
Es ist ausschliesslich Komödie.

Die Regie entscheidet, was in einem Beitrag besser aussieht und was sich besser anhört. Es muss ja immer ein wenig Lokalkolorit, ein wenig Atmosphäre dabei sein, man soll das Gefühl haben, sich eben da und da und nicht dort oder dort zu befinden.
Da wird dann schon einmal nach einem Taifun ein Asiate, der wunderbar fotogene Schrammen im Gesicht hat, dessen Haus aber unversehrt geblieben ist, vor das Haus eines anderen gesetzt, das wunderbar zerstört ist, der andere aber – Sie ahnen es längst – hätte keine Schrammen im Gesicht gehabt.
Und dann kann es eben auch sein, dass der Dialekt oder die Sprache jenes Schrammen-im-Gesicht-vor-kaputtem-Haus-Menschen zu glücklich, zu fliessend, zu wenig stammelnd klingt, und dann fragt man ihn, was er noch kann, und dann ist das eben ein radebrechendes Englisch, das so schön verzweifelt klingt. Man versteht es kaum – aber es wird ja eh übersprochen.

Vielleicht gab es auch diesen Dialog mit Pieter Gruypen, der – ich habe mich inzwischen kundig gemacht – seinen Master in München gemacht und seine Promotion in Harvard abgelegt hat:
Kultursender: Bitte, Herr Doktor Gruypen
Gruypen: In unserer Zeit ist van Tulip völlig unbekannt. Er…
Kultursender: Stopp. Können Sie ein wenig holländischer klingen? Ihr Deutsch ist zu gut. Können Sie so wie Rudi Carell reden?
Gruypen: Kann ich nicht und will ich nicht.
Kultursender: Dann bitte auf Englisch
Gruypen: Van Tulip is not really known in our times. He…
Kultursender: Ihr Englisch ist auch makellos.
Gruypen: Mein Französisch übrigens auch. 
Kultursender: Gut, dann bitte Niederländisch. Wir übersprechen dann.

Was noch zu hoffen ist: Dass immer genau das übersetzt wird, was gesagt wird.
Aber davon ein anderes Mal.



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