Freitag, 14. Dezember 2018

Unbekannte Organe (5): Die Manzoni-Haut oder: Warum wir unsere Hosen aufschneiden


Kennen Sie die Manzoni-Haut?
Nicht? Aber da sind Sie in guter Gesellschaft.
Die meisten Leute kennen diese Haut nicht.
Die meisten Menschen haben sie auch nicht, denn die Manzoni-Haut, die man auch schlicht und einfach als Knie-Heizung bezeichnen könnte, ist eine Anomalie, die nur bei einer von 6000 Personen vorkommt. Wenn Sie also die Manzoni-Haut weder kennen noch haben, sind Sie völlig normal.

Das Spannende ist, dass die Manzoni-Haut zu einer Modetorheit geführt hat, die immer weiter grassiert. 2013 kam ein ca. 25jähriger Patient zum Mailänder Orthopäden Dr. Antonio Manzoni und klagte über ein ihn störendes Wärmegefühl in beiden Knien. Manzoni untersuchte den Mann gründlich und fand eine bisher nicht klar diagnostizierte Anomalie, die in der Fachliteratur seitdem seinen Namen trägt: Bei dem jungen Lombarden spannte sich über beide Knie eine Extrahaut, die sehr stark durchblutet war und jene wie eine Heizung mit Wärme versorgte. Da kein Medikament half und eine Operation sehr aufwändig und sehr teuer gekommen wäre, gab der Arzt dem Patienten einen ganz simplen Tipp: Er solle doch an seinen Hosen die Knieregion aufschneiden und so die Stellen mit kühler Luft versorgen. Der junge Lombarde schaute ihn verdriesslich an: «Und wenn mich dann alle auf der Strasse blöd anglotzen?» «Dann sagen Sie einfach, es sei Mode.»

Gesagt, getan, ein paar Tage später wandelte Luca Giorgese, jetzt müssen wir doch mal seinen Namen verraten, mit aufgeschnittenen Knien durch die Mailänder Strassen. Nun war Giorgese nicht unbedingt das, was man als unansehnlich bezeichnen würde. Anders formuliert: Er war bildhübsch. Mit seinen strahlenden Augen, seinen pechschwarzen Haaren, mit seiner schlanken Taille und seinen muskulösen Armen hätte er ohne weiteres als Model oder als Filmstar arbeiten können. So musste Luca die Ausrede mit der Mode gar nicht bringen, bei einem solchen Beau, bei einem solchen Adonis, einer solchen Schönheit, nach der sich sowohl Frauen als auch Schwule umdrehten, nahm man einfach an, es sei eine neue Kreation der Mailänder Couture. Niemand wäre auf die Idee gekommen, dass Signore Giorgese an der Manzoni-Haut litt.

Schon wenige Tage später sah der junge Mann mit Erstaunen, dass viele junge Menschen ihn imitierten und sich auch die Knie aufgeschnitten hatten. Er rief Dr. Manzoni an und fragte, ob es denn möglich sei, dass noch mehr Menschen eine solche Haut hätten. Der Arzt verneinte, er habe die letzten Tage extrem viel recherchiert und mit Kollegen telefoniert, es sei eine seltene Anomalie und es sei unwahrscheinlich, dass mehr als ca. 5 Leute in der ganzen Region sie hätten. «Aber warum laufen die dann auch so herum?» «Weil die bei einem so hübschen Kerl wie Sie es sind einfach annehmen, dass es eine neue Mode ist, darum.» «Aber wenn die keine Knie-Haut-Heizung haben, müssen die doch höllisch frieren, immerhin ist es Februar.» «Na ja», grunzte der Mediziner, «Sie kennen doch den Spruch Wer schön sein will, muss leiden, Signore Giorgese.»

Zwei Wochen später betrat ein Kunde die Boutique Bella e Bello in der Mailänder Innenstadt und verlangte ein Paar Jeans mit aufgeschnittenen Knien. Giuseppe Tartuffo, der Besitzer, musste zugeben, dass er solche nicht führe. Als der enttäuschte Kunde den Laden ohne Kauf verliess, beschloss jener, dass er diesem Problem Abhilfe schaffen müsse, er nahm einen Stapel Hosen aus dem eher niedrigpreisigen Segment und machte Schnitte hinein, dafür setzte er die Jeans von 59.- Euro auf 159.- hoch und hängte sie ins Schaufenster. Nach ein paar Stunden rannten ihm die Leute den Laden ein. Nun brachen die Dämme: Sämtliche angesagten Läden, La Bellezza, Uomo, Gatto Blu, La Dea usw. zogen nach und die Mailänder Innenstadt füllte sich mit jungen Menschen, die in dämlicher Art und Weise ihre Hosen selbst aufgeschnitten hatten oder aufgeschnittene gekauft hatten.

Nun gibt es Mailand ja auch durchaus Touristen, es gibt solche, die die Lombardische Hauptstadt anschauen wollen, es gibt aber auch solche, die Mailand als Anfangspunkt einer Reise benutzen, solche, die in Milano Centrale ankommen, um dann nach Venezia Santa Lucia oder Roma Termini weiterzufahren, ein paar Stunden aber nutzen, um der Innenstadt ein wenig zu bummeln. Alle sie sahen die komischen offenen Knie, und alle dachten das Gleiche: «Es sieht völlig bescheuert aus, aber wenn die Mailänder das tragen…» So kamen viele nach Brüssel und London, nach Berlin und Zürich, kamen viele nach Paris, Amsterdam oder Wien zurück und hatten die Knieregion ihrer Jeans mit einem Schnitt verziert.

Nun endlich musste die Textilindustrie reagieren. Krisensitzungen fanden statt, Pläne wurden geschmiedet und verworfen, es wurde geredet und getagt, und nach einigen Wochen war klar: Die Industrie muss solche Hosen produzieren. Nun kann ein Schnitt von einer Maschine ja viel präziser gesetzt werden als von einer menschlichen Hand, das heisst, es konnte auch klar ersichtlich gemacht werden, ob es ein Originalschnitt oder ein Selbstschnitt ist. Demensprechend konnte man auch viel mehr Kohle verlangen. Ausserdem würde natürlich niemand Versace® oder Gucci®, würde niemand Boss® oder s.Oliver®, niemand Levi's® oder Wrangler® zerschneiden, aber wenn die Labels das selber machen? So zahlte man ohne mit der Wimper zu zucken 395.- für eine kaputte Hose, wenn sie nur von einer anerkannten Modefirma kaputtgemacht worden war.

In diesem Frühjahr bekam Luca Giorgese einen Anruf von Dr. Manzoni: Es sei nun endlich ein Mittel gegen das Manzoni-Knie entwickelt worden, nicht ganz ohne seine Mithilfe, wie der Orthopäde bescheiden hinzufügte, da die Anomalie aber so selten sei, sei es teuer und Giorgese müsse es selber zahlen. Luca entschied sich sofort dafür, trotz hohem Preis und dank FREDDOZYN®  läuft der junge Lombarde wieder mit ganzen Hosen durch seine Stadt und wundert sich über die vielen aufgeschnittenen Hosen…

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