Ich bin
heute einmal nachtragend. Ich trage nämlich heute Ihnen etwas nach, mache einen
Nachtrag, einen Nachtrag zum vorletzten Post, aber ich werde gegenüber der einen
Hauptperson auch im anderen Sinne nachtragend sein.
Wir hatten
es von Leuten, die nicht aufhören können, und ich bin noch auf zwei
erstaunliche Exemplare gestossen.
Erinnern Sie
sich noch an Monserrat Caballé? Ja, die Sopranistin. Den Klassikfans ist sie
natürlich durch viele grosse Rollen bekannt, dem eher U-Musik-orientierten
Publikum wurde sie durch ihr Duo mit Freddie Mercury geläufig,
Barcelooooooooooooonaaaaaaaaa, you rembember? Und von Freddie hat sie wohl sein
Motto übernommen, dass nämlich die Show immer weitergehen muss.
Auf Youtube
fand ich ein Video aus dem Jahr 2015, ein mittelgrosser Konzertsaal mit einem
mittelguten Orchester und einem mittelguten Dirigenten, vorne die gute
Monserrat, hübsch geschminkt und wohlfrisiert (wobei die Haarfarbe sicher nicht
echt ist), sie sitzt auf einem Stuhl und neben ihr lehnt sich ein Krückstock an
die Sitzgelegenheit, eine Gehhilfe, mit der sie wohl hereingekommen sein muss.
Dann hebt das Orchester mit sehr vertrauten Klängen an: Dam da dam, da dam da
dam… Und dann singt sie, gar nicht mal so schlecht für eine Oma, allerdings
blamabel für eine der grossen Primadonnen des 20. Jahrhunderts, sie singt das
Lied von der Nacht und der Liebe auf den Kanälen und Gondeln, und auf einmal
stutzt man: Frau Caballé trällert die Partie des Niklas und nicht die der
Giulietta! Sie hat also nicht nur die A-Bühnen mit einer C-Bühne getauscht und
den glanzvollen Auftritt in hohen Schuhen mit dem in Dr. Scholl-Sandalen und
Gehhilfe, sie ist auch ins Mezzofach gewechselt.
Aus
Altersgründen.
Gute Güte.
Es gibt für
eine Sopranistin einen einzigen Grund ins Mezzofach zu wechseln, nämlich den,
dass man eigentlich Mezzo ist. Der Stimmfachwechsel aus Altersgründen ist eine
Groteske, das gilt auch für Heldentenöre, die sich auf ihr Bariton-Altenteil
zurückziehen. Aus Senilität die hohen Töne wegzulassen und nur noch in der
Mitte zu singen ist eine Beleidigung für alle wirklichen Mezzos und alle
wirklichen Baritöner.
Ein Stürmer
kann auch nicht, weil er zu alt wird und weder Beine noch Lunge funktionieren,
auf einmal als Verteidiger herumlaufen, genauso wenig wie ein Herzchirurg aus
Altersgründen sich auf Knie-OP verlegt, mit dem Argument, da stürben die Leute
wenigstens nicht auf dem Tisch. Ein Top-Model wechselt auch von Gucci, Versace
oder St. Laurent zu einer Sonnencreme-Werbung, weil der Gang auf dem Laufsteg
immer beschwerlicher wird und ein Bundesminister wird nicht aus Altergründen
Bürgermeister seines Heimatdorfes.
Der wirklich
ungeheuerlichste Fall eines Nicht-Aufhören-Könnens ist aber Uli. Uli, der
Gauner, der Schlawiner, Uli, der Betrüger, der Hoeness, der Verknackte, der
Verurteilte, Uli wollte es noch einmal wissen und Uli ist zurück. Mit grosser
Mehrheit haben die Bayern ihn wieder ins Amt gehievt – warum? Finden sie ihn
immer noch toll? Haben sie keine jungen, aufgestellten, dynamischen Leute? Es
ist so schon witzig, dass ein Sport, bei dem eigentlich nur Jugend zählt, von
Greisen angeführt wird, es ist noch witziger, wenn man vorbestrafte Greise
nimmt.
Genauso wie
der Mezzo-Wechsel alle echten Mezzos verärgern muss, bestürzt so ein Comeback
alle diejenigen, die nach einer Bestrafung kein Bein mehr an Deck bekommen.
Normalerweise ist es nämlich fast unmöglich nach der Verbüssung wieder im
täglichen Leben Fuss zu fassen, dass man in die alten Ämter wieder hineinkommt,
ist fast ein Ding der Unmöglichkeit.
Und jetzt
eben können sie mir vorwerfen, dass ich nachtragend bin. Und ich sage Ihnen: Ja,
ich bin es, ich trage nach, wissentlich, eifrig und mit grossem Genuss.
«Wenn’s am
schönsten ist, soll man aufhören.» Diesen Spruch, den wir alle von unseren
Müttern kennen, von unseren Vätern, Erzieherinnen und Grossmüttern, diesen
Spruch sollten wir alle beherzigen.
Nur: Wann
ist es am schönsten? Ist das nicht subjektiv? Nun, ja, schon. Aber ich glaube,
dass es subjektiv wie objektiv mehr Spass macht, in der Berliner Philharmonie
die Titelpartie des Elias zu singen –
stehend und im Frack – als in der Dorfkirche von Tuttingen-Polzenloh die
Basspartie in der Kleinen Messe für Bass,
Orgel, Blockflöten, Chor und Gemeindegesang von Fritz Dümpi – sitzend und
in Venenstrümpfen. Aber vielleicht täusche ich mich da, vielleicht ist die
Dümpi-Messe für den Kammersänger der Höhepunkt seiner Karriere. Aber wenn dem
so ist, soll er wenigstens dann aufhören.
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