Donnerstag, 1. Dezember 2016

Ich bin nachtragend: Nicht aufhören können



Ich bin heute einmal nachtragend. Ich trage nämlich heute Ihnen etwas nach, mache einen Nachtrag, einen Nachtrag zum vorletzten Post, aber ich werde gegenüber der einen Hauptperson auch im anderen Sinne nachtragend sein.

Wir hatten es von Leuten, die nicht aufhören können, und ich bin noch auf zwei erstaunliche Exemplare gestossen.
Erinnern Sie sich noch an Monserrat Caballé? Ja, die Sopranistin. Den Klassikfans ist sie natürlich durch viele grosse Rollen bekannt, dem eher U-Musik-orientierten Publikum wurde sie durch ihr Duo mit Freddie Mercury geläufig, Barcelooooooooooooonaaaaaaaaa, you rembember? Und von Freddie hat sie wohl sein Motto übernommen, dass nämlich die Show immer weitergehen muss.

Auf Youtube fand ich ein Video aus dem Jahr 2015, ein mittelgrosser Konzertsaal mit einem mittelguten Orchester und einem mittelguten Dirigenten, vorne die gute Monserrat, hübsch geschminkt und wohlfrisiert (wobei die Haarfarbe sicher nicht echt ist), sie sitzt auf einem Stuhl und neben ihr lehnt sich ein Krückstock an die Sitzgelegenheit, eine Gehhilfe, mit der sie wohl hereingekommen sein muss. Dann hebt das Orchester mit sehr vertrauten Klängen an: Dam da dam, da dam da dam… Und dann singt sie, gar nicht mal so schlecht für eine Oma, allerdings blamabel für eine der grossen Primadonnen des 20. Jahrhunderts, sie singt das Lied von der Nacht und der Liebe auf den Kanälen und Gondeln, und auf einmal stutzt man: Frau Caballé trällert die Partie des Niklas und nicht die der Giulietta! Sie hat also nicht nur die A-Bühnen mit einer C-Bühne getauscht und den glanzvollen Auftritt in hohen Schuhen mit dem in Dr. Scholl-Sandalen und Gehhilfe, sie ist auch ins Mezzofach gewechselt.

Aus Altersgründen.

Gute Güte.
Es gibt für eine Sopranistin einen einzigen Grund ins Mezzofach zu wechseln, nämlich den, dass man eigentlich Mezzo ist. Der Stimmfachwechsel aus Altersgründen ist eine Groteske, das gilt auch für Heldentenöre, die sich auf ihr Bariton-Altenteil zurückziehen. Aus Senilität die hohen Töne wegzulassen und nur noch in der Mitte zu singen ist eine Beleidigung für alle wirklichen Mezzos und alle wirklichen Baritöner.
Ein Stürmer kann auch nicht, weil er zu alt wird und weder Beine noch Lunge funktionieren, auf einmal als Verteidiger herumlaufen, genauso wenig wie ein Herzchirurg aus Altersgründen sich auf Knie-OP verlegt, mit dem Argument, da stürben die Leute wenigstens nicht auf dem Tisch. Ein Top-Model wechselt auch von Gucci, Versace oder St. Laurent zu einer Sonnencreme-Werbung, weil der Gang auf dem Laufsteg immer beschwerlicher wird und ein Bundesminister wird nicht aus Altergründen Bürgermeister seines Heimatdorfes.

Der wirklich ungeheuerlichste Fall eines Nicht-Aufhören-Könnens ist aber Uli. Uli, der Gauner, der Schlawiner, Uli, der Betrüger, der Hoeness, der Verknackte, der Verurteilte, Uli wollte es noch einmal wissen und Uli ist zurück. Mit grosser Mehrheit haben die Bayern ihn wieder ins Amt gehievt – warum? Finden sie ihn immer noch toll? Haben sie keine jungen, aufgestellten, dynamischen Leute? Es ist so schon witzig, dass ein Sport, bei dem eigentlich nur Jugend zählt, von Greisen angeführt wird, es ist noch witziger, wenn man vorbestrafte Greise nimmt.

Genauso wie der Mezzo-Wechsel alle echten Mezzos verärgern muss, bestürzt so ein Comeback alle diejenigen, die nach einer Bestrafung kein Bein mehr an Deck bekommen. Normalerweise ist es nämlich fast unmöglich nach der Verbüssung wieder im täglichen Leben Fuss zu fassen, dass man in die alten Ämter wieder hineinkommt, ist fast ein Ding der Unmöglichkeit.
Und jetzt eben können sie mir vorwerfen, dass ich nachtragend bin. Und ich sage Ihnen: Ja, ich bin es, ich trage nach, wissentlich, eifrig und mit grossem Genuss.

«Wenn’s am schönsten ist, soll man aufhören.» Diesen Spruch, den wir alle von unseren Müttern kennen, von unseren Vätern, Erzieherinnen und Grossmüttern, diesen Spruch sollten wir alle beherzigen.
Nur: Wann ist es am schönsten? Ist das nicht subjektiv? Nun, ja, schon. Aber ich glaube, dass es subjektiv wie objektiv mehr Spass macht, in der Berliner Philharmonie die Titelpartie des Elias zu singen – stehend und im Frack – als in der Dorfkirche von Tuttingen-Polzenloh die Basspartie in der Kleinen Messe für Bass, Orgel, Blockflöten, Chor und Gemeindegesang von Fritz Dümpi – sitzend und in Venenstrümpfen. Aber vielleicht täusche ich mich da, vielleicht ist die Dümpi-Messe für den Kammersänger der Höhepunkt seiner Karriere. Aber wenn dem so ist, soll er wenigstens dann aufhören.

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