Freitag, 9. Dezember 2016

Die Wahrheit über Weihnachtsbücher

Ich habe zum Nikolaus das Buch In Dulci Jubilo – Lieder, Gedichte und Geschichten zur Weihnachtszeit geschenkt bekommen. Das Buch freut mich, denn ich mag Anthologien, gute Anthologien genauer gesagt, auch wenn mancher jetzt denkt, dies sei paradox, eine Contradictio in adiecto, nein, es gibt wirklich gute Anthologien, allerdings meist mit Themen wie Der Zahnstocher oder Reptilien und weniger Weihnachten oder Ostern.
Gut, ich will sehen, was das Buch beinhaltet und schlage das Inhaltsverzeichnis auf. Leider treffe ich sofort alte Bekannte. Da ist der Knecht Ruprecht von Storm, da sind zwei Legenden der Lagerlöf, Der Engel, der immer zu spät kam fehlt genauso wenig wie die Lieder Macht hoch die Tür und Stille Nacht. Als einziges Zugeständnis an eine etwas kritischere Haltung sehe ich Ein Kellner zu Weihnachten von Böll, was aber inzwischen auch schon zu den Klassikern der Weihnachtsliteratur gehört. Also eine von den miesen Anthologien, denke ich, hier hat man sich nicht viel Mühe gegeben, hier ist mal wieder im eigenen Saft geschmort und in der alten Suppe gerührt worden, hier hat man tief in die Mottenkiste gegriffen und im alten Schlendrian herumgewurstelt.    

Ich überlege, an den Seneca-Verlag zu schreiben, der dieses Machwerk herausgebracht hat, oder eine Mail zu schreiben oder anzurufen. Aber was wird das bringen? Am Telefon wird man sich herausreden und die schriftliche Antwort wird ein vorgefasster Brief sein: …bedauern wir sehr, Ihren Wünschen nicht entsprochen zu haben…bedenken Sie aber, dass…hoffen wir, Sie auch weiterhin…mit freundlichen Grüssen…
So entschliesse ich mich zu einem etwas ungewöhnlichen Vorgehen, ich schnappe mir ein MG, dringe in die Seneca-Zentrale in der Mattenstrasse in Zürich ein, ich zwinge die Leute im Foyer sich auf den Boden zu legen und nehme den Pförtner als Geisel. Klar stelle ich meine Forderung: Ein einstündiges Gespräch mit dem Verantwortlichen der Weihnachtsanthologie In Dulci jubilo und dann freies Geleit, andernfalls würde ich ein Blutbad anrichten. Zu meinem grossen Erstaunen geht man sofort auf meine Bedingungen ein.

Ein netter Herr im grauen Anzug holt mich ab und bringt mich zum Lift. Sie seien, so er zu mir, sofort bereit gewesen, meine Forderungen zu akzeptieren, so froh und dankbar seien Sie gewesen, dass es sich um einen Leser handeln würde, normalerweise kämen die Geiselnahmen in Verlagen stets von der Autorenseite. Auf meine Frage, ob dies oft vorkomme, meint er, so drei- bis viermal im Jahr passiere das schon, meist seien die Gewalttäter erfolglose Lyriker, die die Publikation von Gedichtbänden wie Sonnenflecken oder Blumen im Sumpf erzwingen wollten, man gehe hier übrigens immer auf die Forderung ein, lasse das Buch lektorieren und sich dann in der Endlosschlaufe des Streites um jedes Wort verlieren. Schwieriger seien politische Gruppierungen, die tendenziöse Bücher erstreiten wollten, hier müsse man wirklich die Polizei einschalten und auf einer Stürmung beharren, denn es könne ja nicht sein, dass man Machwerke wie z.B. Die RAF lebt weiter oder Stalin als Wohltäter verlege.

Inzwischen fahren wir mit dem Lift, ich bin allerdings sehr erstaunt, als der Fahrstuhl im 12. Stock hält, wo sich Grafik und Layout befinden, und nicht in der 14. Etage, wo das Lektorat ist. Wir steigen aus und laufen durch einen langen Gang, bis wir an eine Tür kommen, auf der Willy Büchler – Weihnachten und Ostern steht; der nette graue Herr klopft und übergibt mich an einen Mitvierziger mit blonden Stoppelhaaren, der eindeutig viel in Fitness-Studios geht und dies auch durch enges Casual betont. Er sei, so Büchler, über mein Anliegen informiert und müsse jetzt erst einmal das Grundsätzliche klären. Die Weihnachts- und Osteranthologien seien schon vor 12 Jahren dem Lektorat entzogen worden, so der Sportsman, sie seien dem Lektorat entzogen und in die Grafikabteilung verschoben worden. Damals habe man je eine Datenbank mit 50 Geschichten, 50 Gedichten, mit 50 Liedern und 50 Bildern erstellt, und zwar alles Produkte – er sagt wirklich «Produkte»! – die bei den Leserinnen und Lesern ankämen und über jeden Zweifel erhaben seien. Nun müssten sie für eine Weihnachtsanthologie nur entsprechend viele Produkte auswählen, zusammenstellen und grafisch hübsch aufmachen. Natürlich schaue man, dass sich vom letzten Jahr nicht zu viel wiederhole. Auf meinen Einwand, dies sei nun wirklich der letzte Beschiss, reagiert Büchler gelassen: «Bücher wie In Dulci Jubilo werden nicht zum Lesen gedruckt, es sind Geschenkbücher, die man auspackt, anschaut, durchblättert und dann, nachdem man sich herzlich dafür bedankt hat, ins Regal stellt. Solche Bücher geraten selten in die Hände von echten Lesern, daher ist der Inhalt zweit- und das Layout erstrangig. Übrigens gibt der Verkaufserfolg unserer Strategie recht: Vom Himmel hoch, das Buch von 2015 ist 50.000 mal verkauft worden, das ist doch nun echt ein schöner Erfolg.»

Betroffen schleiche ich von dannen. Auf meinem langen Weg durch die Flure komme ich noch an Türen mit den Aufschriften: Marja Schudli – Sport und Fitness und Robi Chiavallo – Kochen vorbei. Klar, auch die Fitnessratgeber enthalten immer die gleichen Übungen und genauso die Kochbücher. So viele neue Arten, den Bizeps zu trainieren oder eine Gemüsesuppe zu kochen gibt es ja gar nicht. Nein, da greift man in die alten Kisten, da schmort man im eigenen Saft, da rührt man im stets parat stehenden Brei.

Erschlagen schleiche ich nach Hause. Und leise taucht in meinem Hirn die Frage auf:
Werden wenigstens die Romane noch lektoriert?



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