Ich habe zum Nikolaus das Buch In
Dulci Jubilo – Lieder, Gedichte und Geschichten zur Weihnachtszeit geschenkt
bekommen. Das Buch freut mich, denn ich mag Anthologien, gute Anthologien
genauer gesagt, auch wenn mancher jetzt denkt, dies sei paradox, eine
Contradictio in adiecto, nein, es gibt wirklich gute Anthologien, allerdings
meist mit Themen wie Der Zahnstocher oder
Reptilien und weniger Weihnachten
oder Ostern.
Gut, ich will sehen, was das Buch beinhaltet und schlage das
Inhaltsverzeichnis auf. Leider treffe ich sofort alte Bekannte. Da ist der Knecht Ruprecht von Storm, da sind zwei
Legenden der Lagerlöf, Der Engel, der
immer zu spät kam fehlt genauso wenig wie die Lieder Macht hoch die Tür und Stille
Nacht. Als einziges Zugeständnis an eine etwas kritischere Haltung sehe ich
Ein Kellner zu Weihnachten von Böll,
was aber inzwischen auch schon zu den Klassikern der Weihnachtsliteratur
gehört. Also eine von den miesen Anthologien, denke ich, hier hat man sich
nicht viel Mühe gegeben, hier ist mal wieder im eigenen Saft geschmort und in
der alten Suppe gerührt worden, hier hat man tief in die Mottenkiste gegriffen
und im alten Schlendrian herumgewurstelt.
Ich überlege, an den Seneca-Verlag zu schreiben, der dieses Machwerk
herausgebracht hat, oder eine Mail zu schreiben oder anzurufen. Aber was wird
das bringen? Am Telefon wird man sich herausreden und die schriftliche Antwort
wird ein vorgefasster Brief sein: …bedauern wir sehr, Ihren Wünschen nicht
entsprochen zu haben…bedenken Sie aber, dass…hoffen wir, Sie auch weiterhin…mit
freundlichen Grüssen…
So entschliesse ich mich zu einem etwas ungewöhnlichen Vorgehen, ich
schnappe mir ein MG, dringe in die Seneca-Zentrale in der Mattenstrasse in
Zürich ein, ich zwinge die Leute im Foyer sich auf den Boden zu legen und nehme
den Pförtner als Geisel. Klar stelle ich meine Forderung: Ein einstündiges
Gespräch mit dem Verantwortlichen der Weihnachtsanthologie In Dulci jubilo und dann freies Geleit, andernfalls würde ich ein
Blutbad anrichten. Zu meinem grossen Erstaunen geht man sofort auf meine
Bedingungen ein.
Ein netter Herr im grauen Anzug holt mich ab und bringt mich zum
Lift. Sie seien, so er zu mir, sofort bereit gewesen, meine Forderungen zu
akzeptieren, so froh und dankbar seien Sie gewesen, dass es sich um einen Leser
handeln würde, normalerweise kämen die Geiselnahmen in Verlagen stets von der
Autorenseite. Auf meine Frage, ob dies oft vorkomme, meint er, so drei- bis
viermal im Jahr passiere das schon, meist seien die Gewalttäter erfolglose
Lyriker, die die Publikation von Gedichtbänden wie Sonnenflecken oder Blumen im
Sumpf erzwingen wollten, man gehe hier übrigens immer auf die Forderung
ein, lasse das Buch lektorieren und sich dann in der Endlosschlaufe des
Streites um jedes Wort verlieren. Schwieriger seien politische Gruppierungen,
die tendenziöse Bücher erstreiten wollten, hier müsse man wirklich die Polizei
einschalten und auf einer Stürmung beharren, denn es könne ja nicht sein, dass
man Machwerke wie z.B. Die RAF lebt
weiter oder Stalin als Wohltäter verlege.
Inzwischen fahren wir mit dem Lift, ich bin allerdings sehr
erstaunt, als der Fahrstuhl im 12. Stock hält, wo sich Grafik und Layout
befinden, und nicht in der 14. Etage, wo das Lektorat ist. Wir steigen aus und
laufen durch einen langen Gang, bis wir an eine Tür kommen, auf der Willy Büchler – Weihnachten und Ostern steht;
der nette graue Herr klopft und übergibt mich an einen Mitvierziger mit blonden
Stoppelhaaren, der eindeutig viel in Fitness-Studios geht und dies auch durch
enges Casual betont. Er sei, so Büchler, über mein Anliegen informiert und
müsse jetzt erst einmal das Grundsätzliche klären. Die Weihnachts- und
Osteranthologien seien schon vor 12 Jahren dem Lektorat entzogen worden, so der
Sportsman, sie seien dem Lektorat entzogen und in die Grafikabteilung
verschoben worden. Damals habe man je eine Datenbank mit 50 Geschichten, 50
Gedichten, mit 50 Liedern und 50 Bildern erstellt, und zwar alles Produkte – er
sagt wirklich «Produkte»! – die bei den Leserinnen und Lesern ankämen und über
jeden Zweifel erhaben seien. Nun müssten sie für eine Weihnachtsanthologie nur
entsprechend viele Produkte auswählen, zusammenstellen und grafisch hübsch
aufmachen. Natürlich schaue man, dass sich vom letzten Jahr nicht zu viel
wiederhole. Auf meinen Einwand, dies sei nun wirklich der letzte Beschiss,
reagiert Büchler gelassen: «Bücher wie In
Dulci Jubilo werden nicht zum Lesen gedruckt, es sind Geschenkbücher, die
man auspackt, anschaut, durchblättert und dann, nachdem man sich herzlich dafür
bedankt hat, ins Regal stellt. Solche Bücher geraten selten in die Hände von
echten Lesern, daher ist der Inhalt zweit- und das Layout erstrangig. Übrigens
gibt der Verkaufserfolg unserer Strategie recht: Vom Himmel hoch, das Buch von 2015 ist 50.000 mal verkauft worden,
das ist doch nun echt ein schöner Erfolg.»
Betroffen schleiche ich von dannen. Auf meinem langen Weg durch die
Flure komme ich noch an Türen mit den Aufschriften: Marja Schudli – Sport und Fitness und Robi Chiavallo – Kochen vorbei. Klar, auch die Fitnessratgeber
enthalten immer die gleichen Übungen und genauso die Kochbücher. So viele neue Arten,
den Bizeps zu trainieren oder eine Gemüsesuppe zu kochen gibt es ja gar nicht.
Nein, da greift man in die alten Kisten, da schmort man im eigenen Saft, da
rührt man im stets parat stehenden Brei.
Erschlagen schleiche ich nach Hause. Und leise taucht in meinem Hirn
die Frage auf:
Werden wenigstens die Romane noch lektoriert?
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