Freitag, 27. Oktober 2023

Herbstreisen (2) - Die Rehabilitation von St. Blasien

Ach, liebe Menschen, die Sie das lesen, Sie verstehen den Titel völlig falsch.

Sie denken an das Ende des letzten Posts und kombinieren falsch. Sie denken, ich sei gestürzt, sei behandelt und therapiert worden und jetzt in der Reha in St. Blasien. Aber müsste es dann nicht «Rehabilitation IN St. Blasien» und nicht «Rehabilitation VON St. Blasien» heissen? Sie sind auf der falschen Fährte. Aber um von vorne zu berichten: Ich HABE mich auf den Stuhl gestellt und die Yogaposition eingenommen, und bin NICHT gestürzt. Ob das Zufall war oder die im «Haus der Balance» gefundene Balance, kann ich nicht sagen.
Die Sache mit St. Blasien war ganz anders. Hat aber doch etwas mit Bernau zu tun.

Von Bernau aus wollten wir in ein Wellnessbad. Google Maps gab uns als nächstes ein «Vitalbad» in St. Blasien an.
Nun hatte ich an diesen Ort ziemlich blöde Erinnerungen. Einmal war ich dort gewesen, es hatte geregnet, düster hingen die Wolken über dem Dom, der mir innen und aussen wie ein Nazi-Ministerium vorkam, jedes Café, in das ich flüchten wollte, bot mir solchen Schwarzwaldkitsch, jedes Restaurant bot mir Spiessbürgertum, an einen Spaziergang war ob der Regenschauer nicht zu denken, dass ich vier Stunden in tiefer Depression verharrte, bis mich der Bus wieder ins Hochrheintal beförderte.

Nun gab mir Google Maps in der Nähe von Bernau eben nur wenige Bäder an: Das Vitalbad in Blasien, ein Vitalbad in Menzenschwand, das aber ungünstige Öffnungszeiten hatte und Bäder in 30 km oder 40 km Entfernung, solche Distanzen sind in Deutschland aber mit dem ÖV nicht zu bewältigen. (Für die Strecke Bernau-Badenweiler gibt Google Maps eine Fahrtzeit von 3,5 Stunden an, Sie werden über Waldshut-Basel-Freiburg-Müllheim geführt, anders geht es nicht, das ist, wie wenn Sie immer um den Tisch herum laufen, um die Tasse zu greifen, die neben Ihnen steht…)
Also musste es eben doch St. Blasien sein.

Langer Rede, kurzer Sinn: Das Vitalbad in St. Blasien existiert nicht, was da in Bildern gezeigt wird, ist eine Adresse, an der einmal ein Büro jenes Bades in Menzenschwand gestanden haben muss, es wird Ihnen aber als Bad mit Strasse, Hausnummer und Öffnungszeiten präsentiert.
Jetzt hiess es: Alternativprogramm. Und dieses Alternativprogramm rettete den Ruf dieses Ortes. Denn so ist «Rehabilitation von St. Blasien» gemeint, nicht als Therapieform, sondern als Rufrettung, so wie bei einem Gefangenen, bei dem man nach 20 Jahren merkt, dass er eigentlich unschuldig ist, und der dann rehabilitiert wird.

Das grosse Plus DIESES St. Blasien-Trips war das schöne Wetter. Es ist eine Binsenweisheit, die einen aber immer wieder erstaunt: Alle Gegenden sind schöner, wenn die Sonne scheint. Und bei Sonnenschein sieht der Dom eben nicht wie ein Naziministerium aus, sondern wie das, das er ist: Ein klassizistisches Meisterwerk. Dies zeigt sich dann vor allem, wenn man den Innenraum betritt: Der helle Stein, die weisse Fläche, das leuchtet alles in strahlendem Schein und entführt in eine Atmosphäre, die so anders ist als die gotischen und neugotischen Dome, auch so anders als der Barockputtenkitsch und Rokokoputtenkitsch.
Nach dem Dombesuch ein Eis: Der Eisbecher «California» (oder war es «Florida»?) im Restaurant-Café «Domblick» war köstlich, dazu ein Espresso, alles mit Blick auf den Dom (…wie der Name sagt…) und bei wunderbarstem Sonnenschein.
St. Blasien war rehabilitiert.

Sie kennen das sicher auch: Man hat aus irgendeinem (oft sogar vergessenen) Grund eine total schlechte Erinnerung an eine Stadt, weil es geregnet hat, weil man krank war, weil der Kellner unfreundlich war oder das Museum geschlossen. Häufig kommt oder kam dann alles zusammen: Das Wetter war schrecklich, der Regen prasselte nur so UND man hatte höllische Kopfschmerzen UND der Kellner schnauzte einen an UND das Museum war wegen Umbau zu. Weitere reizende Möglichkeiten, die Erinnerung zu vermiesen sind Dinge, die man verliert oder die Unmöglichkeit, ein Lokal zu finden. (Sie glauben gar nicht, wie viele Stunden man in einer deutschen Stadt ein Restaurant suchen kann, wenn man in die falsche Richtung läuft…)

Rehabilitation von Orten.
Ich habe eine ganze Reihe von Städten, an die ich das schlimmste Gedenken hege, und die ich alle einmal rehabilitieren werde und will:
Domodossola (im Piemont, am Ausgang des Simplon, der einzige Versuch meiner Mutter, nach Italien zu fahren und eine absolute self-fulfilling prophecy)
Luca (wunderschöne Stadt in der Toscana, aber es goss von 9.00 durchgehend bis 18.00)
Pirmasens (so ein Tag, an dem alles schiefging: Umsteigezug bei der Hinreise verpasst, lange kein Lokal gefunden, dann Essen schlecht, Museum hatte zu, usw., usw., usw.)


Alle diese Orte werde ich nochmal besuchen und sie einer Rehabilitation unterziehen.

Wir waren neulich in St. Blasien, das gewünschte Vitalbad gab es nicht, dafür konnten wir den sehenswerten klassizistischen Dom bestaunen und gegenüber einen Eisbecher essen, und diese beiden Aktionen genügten, um den Ort im Schwarzwald in einem neuen Licht erscheinen zu lassen.
Eine Rehabilitation.

Vielleicht müssten wir es bei manchen Menschen genauso machen, einige Leute KÖNNEN doch gar nicht so gemein und doof sein, wie sie sich uns vor Jahren präsentiert haben.

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