Mit 5 Jahren bekam Janosch eine lebensbedrohliche Krankheit. Sein Immunsystem kollabierte, hohes Fieber, Ausschlag am ganzen Körper, er magerte ab und stand an der Schwelle des Todes. 3 Wochen kämpften die Ärzte um sein Leben, dann war er über dem Berg und nach einem halben Jahr wieder einigermassen hergestellt.
Allerdings hatte die Zeit im Spital (vor allem auf Intensiv) in seiner Psyche herbe Schäden hinterlassen, er war oft schwermütig und still, ein trauriger Einzelgänger, mit dem niemand wirklich zurande kam. Seine psychische Erkrankung gipfelte in einem Suizidversuch mit 18 Jahren. Er konnte aber noch aufgefangen werden und wurde therapeutisch betreut.
Mit 25 war dann alles gut. Janosch hatte sich zu einem fitten, sportlichen, schönen und lebensfrohen Mann gemausert und holte sehr viel nach: Freundschaft, Reisen, Abenteuer. Er fuhr nach Thailand und Australien, er kletterte auf Berge und fuhr schnelle Autos und Fahrräder. Bei einer Semiprofi-Schweiz-Tour passierte dann das Unglück, er stürzte und wie schon 20 Jahre davor kämpfte ein Doktorteam um sein Leben. Auch diese Behandlungen glückten.
Dann lief alles ein wenig in normaleren Bahnen, Ehe, Beruf, Erfolg, Haus, Hund, Kinder, Karriere, Stress. Und diesen Stress bekämpfte unser Held leider mit zu vielen Apéros und Schlummertrünken, sodass er mit 50 vor der Wahl stand, einen Entzug zu machen oder mit 60 zu gehen – seine Leber war ziemlich am Ende. Janosch entschloss sich zum Entzug.
Nun ist er 60 und freut sich auf die Rente.
Und er hört mit Staunen, dass er ein Problem darstellt. Er ist einer von zigtausend Boomern, die sich pensionieren lassen, die Kassen plündern und dann so schrecklich alt werden. Ja, die Menschen werden immer älter, und dann reichen die Rentenkassen nicht.
Janosch ist deshalb so erstaunt, weil er ja der Gesellschaft und Gemeinschaft genügend Möglichkeit gelassen hat, sich von ihm zu verabschieden. Das war aber nie ein Thema. Es war immer klar,
…dass die Medizin alles tut, alles an Arznei, Apparate und Therapie einsetzt, um das junge Leben zu retten und zu stabilisieren.
…dass ein Mensch von einem Suizidversuch abgehalten werden muss, er muss gerettet werden und später betreut.
…dass auch bei riskanten Stürzen, Höhlenunglücken, Skiunfällen, Fallschirmkatastrophen die beteiligten Personen gerettet werden.
…dass Personen, die Drogen-, Sucht-, Nikotin- oder Alkoholprobleme haben, bei einem Entzug begleitet werden, und dass ihnen geholfen wird, von diesen Drogen-, Sucht-, Nikotin- oder Alkoholproblemen loszukommen, damit die Drogen-, Sucht-, Nikotin- oder Alkoholprobleme nicht ein vorschnelles Lebensende herbeiführen.
Die Gemeinschaft der Menschen hat Janosch also geholfen, 60 zu werden – und nun muss sie irgendwie damit umgehen.
Ich bin ja nun auch wie Janosch ein Boomer. Lange hörten wir den Vorwurf unserer Eltern: «Ihr wart so viele! Alles war zu klein, die Schulen, die Kindergärten, die Schwimmbäder!» Dabei konnten wir nix dafür, dass wir da waren, wir hatten uns nicht gemacht. Und nun schreit die junge Generation: «Ihr seid so viele! Und ihr seid immer noch da!»
Ja.
Genau.
Und damit wird man umgehen müssen.
Genau wie Janosch habe ich der Gesellschaft auch ein paar Chancen gegeben, mich loszuwerden (die erste war eine Pylorusstenose, ein Pförtnerkrampf mit 2 Monaten, damals eine gefährliche Sache, weil der Säugling sämtliche Nahrung erbricht). Sie hat sie nicht genutzt.
Und nun freue mich (auch weil ich auf Alkohol und Nikotin inzwischen verzichte) wie Janosch auf ein Leben bis 100.
Man wird damit umgehen müssen.