Freitag, 20. Januar 2017

Guter Vorsatz 4: Gute Vorsätze für andere



Viele meiner Leserinnen und Leser fanden das am Dienstag nicht OK. Man formuliert nicht Vorsätze für andere, man schreibt niemand vor, was er sich für 2017 vornehmen soll, so der Tenor. Vorsätze seien für einen selber und nicht für den Nächsten.

Aber warum eigentlich?
Wäre es nicht viel geschickter, wenn andere Menschen Ihr Leben 2017 planen würden? Wenn Ihre Bekannten, Kollegen und Freunde Ihnen Ihre Vorsätze formulieren würden?

Also mir fielen da eine Menge Sachen und Leute ein. Mein Kumpel Georg könnte zum Beispiel sich vornehmen, endlich sein Gewicht wieder auf einen zweistelligen Betrag zu bringen. Bei einer Körpergrösse von 1,65 kein so absurdes Vorhaben. Elke und Hans sollten sich weniger streiten. Würde Ihnen guttun. Und dem ganzen Bekanntenkreis, der ihre legendären Auftritte bei Partys, Kinobesuchen, bei Essen und Wanderungen einfach satt hat. Monika könnte sich vornehmen, mal Uhrzeiten wie 8.00 auch als Uhrzeit 8.00 aufzufassen, sprich pünktlich zu sein. Ich weiss nicht, wie viele SMS à la Wird ein wenig später LGM ich schon erhalten habe, wobei ein wenig später bei 15 Minuten anfängt und bei der Zeitspanne, in der man geschwind noch den Zauberberg fertig liest, die Steuererklärung macht oder das Perpetuum mobile erfindet, aufhört.
Max sollte sich vornehmen, seine Wohnung mehr zu putzen.
Rita müsste mehr aufräumen.
Ralf könnte «Mehr arbeiten» auf seine To-do-Liste schreiben.

Sie sehen also, dass das System Ich-formuliere-dir-deinen-guten-Vorsatz wunderbar funktioniert. Von aussen sieht man die zu ändernden Dinge ja auch viel leichter. Und wie schön wäre mein Leben, wenn sich alle an die Vorsätze halten würden, die ich Ihnen vorgebe.

Ob das auch umgekehrt gilt?
Was meinen Sie mit umgekehrt?
Sie meinen, ob ich mich an Vorsätze halten würde, die meine Kollegen und Freunde, meine Kumpelinnen und Kumpels mir präsentieren?
Ja, wenn sie sinnvoll wären.
Sind sie natürlich nicht.

Ich kann mir nämlich schon denken, was die mir dann sagten, sprächen oder redeten.
Georg würde behaupten, ich müsse zunehmen, man sehe schon meine Rippen. Elke und Hans, diese Streithähne, würden auch mich zum Streithahn machen wollen. Nach dem Motto «Sag doch mal, was du denkst» und «Lass deine Gefühle mal raus» und «Sei nicht immer so leidend-passiv». Monika, Max und Rita hätten als Vorsatz für mich garantiert den Abbau meiner Pedanterie parat und Ralf schlüge mir sicher vor, mehr zu relaxen und auszuspannen.

Das ist doch absurd.
Es gibt ja objektive Fakten.
Georg ist mit einem BMI von 37 effektiv zu fett, mein BMI von 21 ist in Ordnung. Elke und Hans nerven mit ihrem Gebrüll mehr als ich, wenn ich mich ein paar Stunden in mein Schneckenhaus verziehe. 15 Minuten Verspätung sind schlimmer als 2 Stunden zu früh. Und Max’ Wohnung IST dreckig. Machen Sie doch mal den Test mit den weissen Handschuhen. Na, sehen Sie.
Was soll dann all das Vorgesetze mit «Locker sein»?

Nein.
Wenn jemand mir einen guten, faktisch sinnvollen Vorsatz formulierte…
Das Blöde ist jetzt, dass meine Kolleginnen und Kollegen, Kumpelinnnen und Kumpels, meine Bekannten, dass meine Freundinnen und Freunde genauso denken wie ich. Fälschlicherweise natürlich, denn die Faktenlage ist ja eindeutig, aber dennoch wollen sie sich nichts sagen lassen, erst recht keine guten Vorsätze vorschreiben.
Und so klappt das alles nicht.

Und wir müssen uns unsere guten Vorsätze doch wieder selber machen.

Dabei hätte ich so viele exzellente, wunderbare, so viele gute und schöne, so viele notwendigen Vorsätze für 2017.

Für die anderen.

Dienstag, 17. Januar 2017

Guter Vorsatz 3: (für den deutschen Einzelhandel) MEHR WECHSELGELD


Die Verkäuferin am Bäckerstand im HBF Köln blickt angewidert, ja angeekelt auf den 50 Euro-Schein, den ich ihr entgegenhalte. So als läge da etwas total Widerliches, Schleimiges, etwas Schlimmes und Böses vor ihr auf der Theke. Sofort zucke ich zusammen. Ist der Schein vielleicht nicht ganz sauber? Klebt irgendetwas Schleimiges, Ekliges an ihm? Oder habe ich aus Versehen ein anderes Papier aus meiner Brieftasche gezückt? Ein Pornobild vielleicht? Nein, das trage ich nicht mit mir herum. Oder einen Zettel, auf dem «f*** dich, du schl****» steht? Habe ich eigentlich auch nie im Portemonnaie. Warum guckt sie dann so? Aber allmählich dämmert es mir. Ich schaue sie an und sehe, wie sie ihren Mund öffnet, aus dem dann die erwarteten und hässlichen Worte fallen:

«Haben Sie es nicht kleiner?»

Es gehört zu den Grundsätzen im deutschen Einzelhandel, nie genug Wechselgeld in der Kasse zu haben. Ja, vermutlich lernen schon die Azubis, dass es etwas Anstössiges und Ungehöriges ist, mehr als eine kleine Auswahl, mehr als einen petit choix an Münzen und kleineren Scheinen bereitzuhalten. Ich nehme sogar an, dass «Wieviel Wechselgeld halten Sie bereit?» eine der Prüfungsfragen für das Kaufmenschdiplom ist; die richtige Antwort lautet natürlich: «Das hängt davon ab, auf jeden Fall nie genug.»

«Haben Sie es nicht kleiner?»

Wo läge das Problem, einfach je 30 Münzen a 10c, 20c und 50c, a 1€ und 2€ und dazu je 40  5-, 10- und 20-Noten parat zu haben? Alle Antworten sind nichts als getarnte Ausreden. Das Überfallrisiko auf einen Bäckereistand am HBF Köln ist – so vermute ich, ohne die Statistik zu kennen – doch relativ gering, anders als bei Taxifahrern nachts um 3.30, denen verzeihe ich es auch, wenn sie wirklich nicht wechseln können. Und der Spruch «dann kommen alle nur zum Wechseln» ist ja unlogisch, wenn alle, die wechseln wollen, etwas kaufen, hat man ja auch Profit gemacht, und wenn sie bei KRAMPF® ihre Rosinenschnecke holen, und nicht bei PAMPS®, weil KRAMPF® eben wechseln kann, hat man sogar einen Vorteil gegenüber der Konkurrenz.

«Haben Sie es nicht kleiner?»

Es liegt eine Bösartigkeit darin, eine fulminante und ausgeklügelte Bösartigkeit. Ich habe Kirchenkonzerte besucht, bei denen der Eintritt bei 18.- lag und die Kassenmenschen nicht ein einziges Zweieurostück da hatten, da muss man schon entweder vollsttrottelig oder sehr malignom sein, um die Tatsache, dass jede Besucherin und jeder Besucher mit einem Zwanzigerschein kommt, zu übersehen.

«Haben Sie es nicht kleiner?»

Meistens habe ich es auch kleiner, denn ich schleppe auch ungerne eine Börse mit mir herum, mit der ich ohne Weiteres Bizeps- und Trizepsübungen machen könnte. So gebe ich gerne passend, wenn meine Münzsammlung das hergibt. Besuche ich allerdings mehrere Stände hintereinander, man braucht ja am Bahnhof verschiedene Dinge, Zigaretten, ein Magazin, Essen und evtl. einen Espresso (der von KRAMPF® ist so untrinkbar wie der von PAMPS®), dann geht mein Blechgeld irgendwann zur Neige. Warum kapieren die ganzen Bahnhofseinzelhändler nicht, dass wenn jede und jeder mir diese Frage stellt, ich zum Zeitpunkt X nur noch grosse Scheine habe. Manchmal sage ich auch wirklich: «Ich HATTE es kleiner, aber alle anderen haben genauso wie Sie die Nase gerümpft.

«Haben Sie es nicht kleiner?»

Besonders schlimm ist es – und das ist mir schon wirklich passiert – wenn das Verkaufspersonal Ihnen ins Portemonnaie linst und dort noch Münzen entdeckt. «Da haben Sie doch 5 Euro!», wird dann geschrien, mit diesem fiesen, militärischen, dröhnenden Unterton, der besagen soll: Tja, Sie meinten wohl, wir kommen Ihnen nicht auf die Schliche, Sie Schweinehund, aber nicht mit uns, nicht mit uns, und nun her mit den Münzen. Natürlich kann ich es immer erklären, z.B. brauche ich das Hartgeld für ein Schliessfach; aber warum muss ich als Kunde mich eigentlich verteidigen?

«Haben Sie es nicht kleiner?»

Komischerweise funktioniert es in der Schweiz. Ich habe erlebt, wie am Bahnhof Olten der vierte Kunde einen 100 Franken-Schein zückte und das Verkaufspersonal lächelnd herausgab. Es geht also irgendwie. Und so fordere ich den deutschen Einzelhandel, vor allem den in Bahnhofsbereichen, auf, sich einen guten Vorsatz für 2017 zu setzen:

WIR HABEN IMMER GENUG WECHSELGELD IN DER KASSE.

Freitag, 13. Januar 2017

Guter Vorsatz 2: Weniger "Nachgoogeln"



Ich rief einen Dirigenten an, mit dem ich ein gemeinsames Projekt planen sollte, ein grosses, fulminantes, allerdings auch der Umstände wegen heikles, aber das tut nicht viel zur Sache. Als er abnahm, hörte ich sofort in seiner Sprache eine vertraute Färbung. Er musste offensichtlich – nein, man muss hier «unüberhörbar» schreiben – aus dem Grossraum Stuttgart stammen. Also fragte ich ihn nach seiner Herkunft, meine eigene Stimme nun auch heimatlich kolorierend, und siehe da: Er war aus Calw. Aber wir kamen auf viel mehr überraschende Dinge: Das Schärfste war, dass wir beide beim gleichen Lehrer gelernt hatten, bei Manfred Schreier in Trossingen, wenn auch zu ganz unterschiedlichen Zeiten, er in den späten 80ern, ich in 90ern. Was das Leben doch für Überraschungen bietet!

Vergessen Sie den Abschnitt oben.
Es war nämlich ganz anders. Als ich meinen Namen sagte, meinte er nur: «Dann kenne mir ja schwäbisch schwätze…» Er hatte mich natürlich gegoogelt. So wie ich ihn umgekehrt auch. Unsere Herkunft, unsere Vita, alle Fakten und Tatsachen waren keine Überraschung mehr, auch die Trossingen-Schreier-Geschichte lag schon auf dem unsichtbaren Tisch vor uns.
Eigentlich schade.
Wir bringen uns um die schönsten Aha-Momente, um die herrlichsten So-ein-Zufall-Storys, indem wir alle und alles und jede und jeden googeln. Bevor wir das erste Wort zu jemand sprechen, bevor wir jemand das erste Mal in die Augen blicken, haben wir die Totale der Fakten im Kopf: Alter, Herkunft, Hobbys, CV und Familienstand, berufliche Vorhaben und Non-Profit-Jobs, Lieblingsessen und Lieblingsreiseziel.
Eigentlich blöd.

Ich habe in Den Haag ein Eigenexperiment gemacht: Am dritten Tag hatte ich Lust auf ein wenig Kultur und ich beschloss ins Gemeentemuseum zu fahren. Nun würde jeder normale Erdenbürger natürlich erst einmal googeln (oder, wie meine Schülerinnen und Schüler hochpleonastisch sagen, «nachgoogeln»). Ich aber stellte mir drei Fragen: Wie viele Ausstellungen gibt es im Gemeentemuseum normalerweise? Antwort: 5-6, es wird also irgendwas Interessantes dabei sein. Hast du heute das Bedürfnis nach Speziellem, Definiertem? Antwort: Nein, sowohl Pop-Art als auch Man Ray, sowohl Plastik als auch Druck wäre OK. Dritte Frage: Was passiert, wenn du hinfährst und entweder das Ding geschlossen ist oder wirklich nur Mist anbietet? Antwort: Dann hast du ½  Stunde in der Linie 16 verloren, was soll’s?
Also fuhr ich hin und verbrachte höchst anregende 75 Minuten in der Ausstellung «Skulptur im 20. Jahrhundert», die von Rodin über Picasso bis Tinguely etliche wunderbare Exponate zusammenstellte. Es geht auch mal ohne Google, es geht auch mal auf Verdacht, so kann man Überraschungen erleben.

Natürlich bin ich nicht gegen das Nachgoogeln im Allgemeinen. Ich habe z.B. diesen Winter das Projekt «Weitere Schwimmbäder in Holland» gestartet (ich kannte bisher nur die Haager) und hier war die Suchmaschine doch ganz nützlich. Es ist ein Unterschied, ob man 15 Minuten mit dem Tram fährt oder eine halbe Stunde mit dem Zug, schon finanziell, es ist ein Unterschied, ob man die Öffnungszeiten eines Museums weiss, nur nicht die Ausstellungen, oder ob man das Risiko eingeht, von Den Haag nach Gouda zu reisen, um dann festzustellen, dass das Groenhovenbad Weihnachtsferien hat, oder nach Leiden, um dort zu sehen, dass das Zwembad De Zijl erst um 17.00 öffnet. Selbstverständlich habe ich bei den drei neuen Hallenbädern die Öffnungszeiten und auch die Lage gegoogelt.
So erlebt man keine bösen Überraschungen.

Aber eben auch keine angenehmen.
Keine lustigen.
Keine spannenden.
Wie schön war das, auf der Terrasse des «Hotel de Levante» in Torre Canne (Apulien) mit diesem Ehepaar ins Gespräch zu kommen und nach einer halben Stunde zu merken, dass die Nichte des Mannes mehrere Jahre lang meine Mieterin gewesen war; O-Ton: «Ach, Sie sind das!!!»
Wie witzig war das, zu erfahren, dass der erste Posaunenspieler meines Musikvereins jahrelang bei der Novartis mit meinem Partner und meiner Vermieterin zusammengearbeitet hatte.

Und so ist ein Vorsatz für 2017: Nicht mehr alles und alle und jeden und jede googeln. Es ist doch schade, wenn man gar keinen Gesprächsstoff mehr hat, weil man schon alles weiss.

«Was ist dein Hobby?»
«Ich stalke.»
«Oh, interessant. Ich schwimme.»
«Ich weiss.»

So geht mein derzeitiger Lieblingswitz.
Und – ehrlich gesagt – Googeln hat ja immer auch etwas vom Stalken.