Freitag, 27. September 2024

Blogpause bis zum 22. 10. / Funkloch und Bildschirmzeit

Liebe Leserinnen und liebe Leser,

wir machen wieder einmal ein Blogpause.
Und zwar aus zwei Gründen, aus zwei Gründen, die sich so beschrieben liessen: Mein Funkloch und Ihre Bildschirmzeit.

Mein Funkloch

Das klingt jetzt natürlich ein wenig komisch, so als ob ich ein Funkloch habe oder ein Funkloch bin, nein, man müsste er sagen «das Funkloch, in dem ich mich befinden werde». Ich werde, wie schon 2016, 2017 und 2018 in Bad Wurzach sein, in einer Probenwoche mit der Knabenkantorei und das Lagerhaus Unterhub befindet sich in einem der Funklöcher in der BRD. 2016 gab es übrigens darüber einen langen Post, in dem ich unter anderem schrieb:

So war ich eine Woche ohne Internet.
Und komischerweise ging es.
Am ersten Tag hat man noch Entzugserscheinungen, am zweiten auch noch, die Gedanken rasen (Ich muss doch bloggen! Was ist mit meinen E-Mails? Ich krieg’ gar nicht mit, was auf der Welt los ist – vielleicht liegen die Eidgenossen mit unserem Gastland schon im Krieg? Bloggen! Ich muss bloggen! Mails! Ich muss an meine Mails!) am dritten Tag ebbt das ab und man hat sich an den Zustand gewöhnt.
Wer wirklich etwas Dringendes hat, wird mich anrufen, notfalls auf dem Festnetz – ja, das gab es! Und ich wäre auch immer um den Weg gewesen; wo hätte ich auch hinsollen, es gab ja nur Maisfeld, Wald und Teich.

Erstaunlich an dieser Funkgeschichte ist nun aber, dass es anderen Ländern gelingt, ihre Regionen mit 5G, 6G, 7G oder 8G zu versorgen. Sie haben in der lettischen Tundra lückenlosen Handyempfang, auf dem Matterhorn sowie am Strand von Ithaka. Warum nicht im Allgäu? Aber andere Länder haben auch Züge, die fahren. Und Brücken, die nicht einstürzen. Und Schulhäuser, die nicht schimmeln.

Wir machen also nun vorbeugend Blogpause, damit das oben beschriebene Trauma sich nicht wiederholt.

Ihre Bildschirmzeit

Ich hoffe, Sie kennen Ihre Bildschirmzeit. Mit unserer Bildschirmzeit ist es wie mit vielen von unseren Zahlen, zum Beispiel
Leberwerte
Stromverbrauch
Benzinverbrauch
Blutdruck
Body Mass Index
usw.
All das ist zu hoch.

Ich habe letzten Freitag ja über die Bildschirmzeiten meiner Schüler geschrieben, die teilweise so hoch sind, dass man sich fragt, wie die überhaupt ein normales Leben hinbekommen. Wenn man davon ausgeht, dass sie Schule haben, fahren müssen, essen müssen und eigentlich doch auch 7-8 Stunden schlafen, dann könnten Zeiten von 15 oder 16 Stunden gar nicht zustande kommen. Wahrscheinlich schlafen sie nicht, das würde ihr bleiches, graues, apathisches und übernächtigtes Aussehen am Morgen erklären.

Dieser Bildschirmsucht werden wir jetzt eine Weile einen Riegel vorschieben: Ich schenke Ihnen pro Woche eine Stunde bildschirmfreie Zeit. (Ich gehe davon aus, dass Sie jeden Post 30 Minuten lang studieren und nicht einfach querlesen.)
Da wir uns erst am 22. 10. wieder sprechen (oder lesen), haben Sie 180 Minuten ohne Screen.
Machen Sie etwas Sinnvolles daraus.
Rainer Maria hat da einen tollen Vorschlag:

Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr. Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben, wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben und wird in den Alleen hin und her unruhig wandern, wenn die Blätter treiben.

Ach, Sie haben ein Haus? Gut, dann haben Sie sowieso genug zu tun im Herbst: Dachrinne entlauben, Garten winterfest, funktioniert die Heizung?
Auf jeden Fall eine schöne Zeit.
Bis zum 22. Oktober.



 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Dienstag, 24. September 2024

Nun also Merz


Jetzt also Friedrich Merz.

CDU und CSU haben die Kanzlerfrage geklärt, endlich und besser als beim letzten Mal. Söder hat sein Placet gegeben, er hat zugestimmt, er hat quasi ja gesagt: «ich bin damit fein».
Damit hat er nicht nur zugestimmt, sondern sich auch wiederum ein Stück disqualifiziert, weil er gezeigt hat, dass er kein Deutsch kann. Wie ja alle Leute aus Süddeutschland, deshalb ist die Liste der Kanzler und Präsidenten aus B.-W. und Bayern ja auch so kurz, weil die kein Deutsch können, also so etwas Ähnliches, aber nicht wirklich Deutsch.
«Ich bin damit fein», das ist so ein Pseudo-Jugendsprache-Ding, einfach aus dem Englischen übersetzt, «I am fine with it», wobei das genaugenommen ja heisst, dass jemand «damit leben kann», also sicher nicht die volle Zustimmung.

Jetzt also Friedrich Merz.

Geboren am 11. 11. 1955 in Brilon.
Ein Sauerländer also – und ein Fastnachtsschwank, am Elften Elften, und nun bald auch schon 69 Jahre alt. Wenn also Olaf auch wieder kandidiert, dann haben wir wie in USA einen Kampf der «alten weissen Männer». Wo ist die junge farbige Lesbe, die uns in die Zukunft führt? OK, wir haben eine Lesbe, aber die hat ja nun leider zu viele in ihrer Partei, die allem queeren den Kampf angesagt haben.
Aber weiter in der Biographie unseres Joachim-Friedrich Martin Josef Merz (schon diese Namenkombi müsste verboten werden), die sich eigentlich nur so zusammenfassen lässt: «Was lange währt, wird endlich gut». Er hat so oft für Posten kandidiert, so viel gewartet, so viel gekämpft, so viel gewartet, dass man ihm den Kanzlerposten ja fast gönnen muss. Ein bisschen wie bei King Charles.

Nun also Merz. Friedrich Merz.

Die erstaunliche Sache, ja, die erstaunlichste Sache ist, dass die CDU nun wirklich mit Riesenschritten auf die Kanzlerschaft zustrebt. Dabei ist die Christlich-Demokratische Union ja nicht ganz unschuldig an den Problemen, die sich in der Bundesrepublik anhäufen:
Migration
Marode Infrastruktur
Kaputtes Bildungssystem
Gesundheitsversorgung
usw.
usw.
Zynisch könnte man sagen: Die CDU wirft der Ampel vor, dass diese die Probleme nicht in den Griff bekommt, die sie selber nicht angepackt hat.

Wollen Sie ein Beispiel? Nun, nehmen wir doch mal die DB – auch wenn das so, so, so langweilig ist. Es ist einfach fiese, Volker Wissing vorzuwerfen, dass Züge unpünktlich sind. Immerhin macht er nun etwas, lässt Strecken sanieren, und zwar Strecken, die vor 20 Jahren überholt gehört hätten.
Neu ist übrigens, dass der Spruch «dann halt Auto» auch nicht stimmt. Den mit dem Motorfahrzeug muss man ja über Brücken, und die sind ja auch alle kaputt.

Um es noch einmal klarzustellen: Die CDU unter Merkel hat nichts Böses gemacht. Warum aber ist dann gerade alles so sch…? Nun, liebe Leserinnen und Leser, wir könnten das als den «Zahn der Zeit» bezeichnen. Sie dürfen das selber ausprobieren: Machen Sie 10 Wochen nix in Ihrer Bude. Und dann gucken Sie mal hin. Den Staub hat kein Einbrecher gelegt und die Spinnweben hat kein Eindringling installiert. Die schlechte Luft hat kein Mensch hineingelassen und die Schimmelansätze gehen auf niemand zurück.
So ist es auch mit Deutschland unter Merkel: Man hat nicht befohlen, die Schienen und Weichen der Deutschen Bahn kaputtzumachen. Die sind von ganz alleine verrottet. Man hat keine Brücken mit dem Hammer attackiert. Die werden ganz von alleine alt.
Man hat auch keine Lehrkräfte rausgeschmissen (auch wenn viele das gehörten…) und keine Lehrpersonen getötet – und dann junge Menschen daran gehindert, den Lehrerberuf zu ergreifen. Nein, die Alten gehen von selber in Pension und der Nachwuchs kam nicht von alleine.
Ach ja, und man bräuchte angesichts der Migrationsproblematik gefühlt 10000000 DAZ-Lehrpersonen (Deutsch als Zweitsprache), denn Sprache ist der Schlüssel. Aber diese DAZler hätte man vor 10 Jahren ausbilden müssen. (Die Schweiz macht das seit 30…)
Auf Friedrich wartet also eine Menge Arbeit.

Nun also Friedrich Merz.

Wir dürfen gespannt sein.
Wir dürfen gespannt sein, ob Söder nicht doch noch querschiesst und wir dürfen gespannt sein, ob die nächste Bundeskanzlerin nicht Sarah Wagenknecht heisst. Modisch wäre das auf jeden Fall ein Fortschritt.
Eines wird uns auf jeden Fall erspart bleiben, Merz wird sich nicht weiland Schröder die Haare färben. Dafür hat er entschieden zu wenig.


Jetzt also Merz.











 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Freitag, 20. September 2024

Regenschirme vergessen

Als ich meinen letzten Post schrieb, war ich sehr erstaunt, bei dem Wort

Schirmvergesser

die rote Linie zu bekommen.
«Schirmvergesser», das ist doch einer wichtigsten Begriffe. Kaum ein Mensch hat in seinem Leben seine Brille oder seinen Geldbeutel im Restaurant oder im Bus liegen lassen, aber Regenschirme verliert jeder ein paar im Leben.
Keiner hat das so schön auf den Punkt gebracht wie Kishon:

«Nimm meinen Regenschirm, Liebling», sagte meine Gattin, «aber, bitte, verlier ihn nicht!» Jedesmal, wenn ich mit einem Regenschirm das Haus verlasse, wiederholt sie diese überflüssige Mahnung. Wie ein Papagei. Wofür hält sie mich? Für ein unmündiges Kind? «Teuerste», sagte ich mit einem unüberhörbar sarkastischen Unterton, «wann habe ich jemals meinen Regenschirm verloren?» «Vorgestern», lautete die prompte Antwort.

Mich trifft diese Stelle so, weil ich selbst so ein Schirmvergesser bin. Die Anzahl der Regenschirme, die ich an den unmöglichsten Stellen und Orten vergessen habe, ist inzwischen wahrscheinlich vierstellig.

An einem Tag vor vielen Jahren, als ich noch in Freiburg-Kappel wohnte, war Regen angesagt und ich nahm einen Knirps mit. Der Schirm hätte folgende Reise zurücklegen sollen: Kappel – Littenweiler (Bus), Littenweiler – Freiburg HBF (Tram), Freiburg HBF – Basel Bad. Bf. (Zug), Basel Bad. Bf. – Kunstmuseum (Tram), Kunstmuseum – Bischofshof (Fuss), dann Aufenthalt im Bischofshof, nach der Arbeit: Bischofshof – Kunstmuseum (Fuss), Kunstmuseum – Basel Bad. Bf. (Tram), Basel Bad. Bf. – Freiburg HBF (Zug), Freiburg HBF – Littenweiler (Tram), Littenweiler – Kappel (Bus). Eine unerschöpfliche Vielfalt von Möglichkeiten, einen Regenschirm liegenzulassen! Und wissen Sie, wie weit er kam? Na, wahrscheinlich ahnen Sie es längst, er kam nicht einmal in die Strassenbahn von Littenweiler zum Bahnhof. Ich liess in ihm Ortsbus 17 von Kappel nach Freiburg liegen…

Wer mich kennt, wird sich wahrscheinlich nun fragen, warum ein doch so organisierter und ordentlicher Mensch wie ich ständig seinen Parapluie irgendwo liegen lässt. Wahrscheinlich ist das eine Hinterlassenschaft meiner Grossmutter. Sie war ein Schöngeist, eine Ästhetin, eine verhinderte Sprachgestalterin und Sammlerin von edlen Gegenständen, sie war eine absolute und fanatische Philanthropin, aber auch eine hemmungslose Träumerin und Phantastin. Ich habe von ihr drei Dinge übernommen:
* Ein Band mit allen Wagner-Texten aus dem Jahre 1920
* Die Liebe zu Rainer Maria Rilke
* Die Tendenz Schirme zu vergessen.
Die Anzahl von Parapluies, die meine Oma vergass, bewegt sich sicher in einem fünfstelligen Bereich…

Als ich an meinem letzten Post sass, war ich extrem verblüfft, bei dem Wort
«Schirmvergesser»
eine rote Linie zu bekommen. Übrigens auch bei «Regenschirmvergesser», genauso bei «Schirmverlierer» oder bei «Regenschirmverlierer». Inzwischen habe ich natürlich alles meinem Wörterbuch hinzugefügt. Denn «Schirmvergesser», wie auch «Regenschirmvergesser», «Schirmverlierer» oder «Regenschirmverlierer» das sind doch wichtigste Begriffe. Kaum ein Mensch hat in seinem Leben seine Brille oder seinen Geldbeutel im Restaurant oder im Bus liegen lassen, aber Regenschirme verliert jeder ein paar im Leben.

Es stellt sich vielen Leuten nun die Frage, warum die Psychologie, warum die Psychotherapie sich dem Phänomen des Schirmvergessens so wenig widmet.
Dabei ist die Antwort doch so klar: Die Psychologie, genauso wie die Psychiatrie und Therapie hat so viel mit anderen Störungen zu tun, dass sie für solche Lappalien einfach keine Zeit hat.

Sie wollen Beispiele?
Geschätzte 80% der Menschen unter 25 sind handysüchtig. Schüler erzählen mir von ihren Bildschirmzeiten, und mir wird schwindlig davon. 12 Stunden, 14 Stunden, 16 Stunden, alles keine Seltenheit. Nein, nein, nein, nein, ich rede nicht von PRO WOCHE, ich rede von PRO TAG. Ich habe einmal geschrieben, dass die Online-Nutzung nur das Fernsehen abgelöst hat. Das war falsch, denn vor dem TV sass man nur zwischen ca. 18.30 und Sendeschluss. Das Handy wird vor dem eigentlichen Erwachen in die Hand genommen und erst beim Einschlafen aus den Fingern gelegt…
Die Zahl krankhaft narzisstisch gestörter Menschen hat sich in den letzten Jahren verdreifacht. Die Veranlagung für einen Narzissmus gab es natürlich immer, aber nicht die Möglichkeiten. Früher konnte man sich zwar vor den Spiegel stellen und schreien «Bin ich schön!», aber man konnte nicht Fotos von sich im Sekundentakt verschicken.
Und Handysucht und Narzissmus sind nur zwei Aspekte in dem riesengrossen Spektrum zwischen Burnout und Paranoia.

Wir könnten es so auf den Punkt bringen:
Sie vergessen Regenschirme? Das ist völlig normal. Und wenn Ihr einziges Problem ist, pro Woche 2 Parapluies zu verlieren, dann…
…ja dann sind Sie so was von psychisch gesund, dass es kaum auszuhalten ist.





 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

     

 

 

 

 

Dienstag, 17. September 2024

Mein Kampf mit dem Busfahrer

Jeden Morgen kämpfe ich mit dem Fahrer der Buslinie 4 von Solothurn einen stummen Kampf, einen Kampf, den mal ich oder mal er gewinnt, aber dennoch immer ein ernster Fight, gewissermassen ein Kampf auf Leben und Tod.

Wenn der Chauffeur mich durch die Unterführung auf den Bus zurennen sieht, dann wirft er einen Blick auf seine sekundengenau gehende Uhr: Ist es erst 7 Uhr 46 und 30 Sekunden, hat er verloren, ich werde den Bus erreichen, ist es 7 Uhr 47, dann fährt er los, auf die Sekunde genau und ich habe das Nachsehen. So sind die Spielregeln und ich füge mich natürlich darein.

Jeden Morgen kämpfe ich mit dem Fahrer der Buslinie 4 von Solothurn einen stummen Kampf, einen Kampf, den mal ich oder mal er gewinnt, aber dennoch immer ein ernster Fight, gewissermassen ein Kampf auf Leben und Tod.

Habe ich aber den Bus erreicht, dann ist noch lange nicht Schluss, nein, der Kampf geht weiter, weiter in noch mehreren Runden:
Runde 1: Wenn ich um 7 Uhr 46 und 30 oder 40 oder 50 Sekunden zum Gefährt gelange, dann muss ich sofort, im nächsten Moment und augenblicklich einen Sitzplan finden und mich blitzschnell setzen, denn um 7 Uhr 47 startet der Bus, und zwar in einem Start, auf den die Herren Verstappen und Alonso wirklich neidisch wären…
Runde 2: Wenn wir die Haltestelle Amthausplatz verlassen, dann muss ich sofort, im nächsten Moment und augenblicklich die Haltewunschtaste drücken, denn irgendwann akzeptiert der Chauffeur meinen Haltewunsch nicht mehr, er fährt mit hämischem Grinsen weiter.
Runde 3: Um wirklich aussteigen zu können, muss ich rechtzeitig vor dem nächsten Haltepunkt, meinem Haltepunkt, genannt «Zentralbibliothek» aufstehen. Dummerweise ist kurz vor dem Haltepunkt eine scharfe Kurve, und der Chauffeur fährt mit vollem Karacho in diese hinein, ja, er versucht mich so auf den Fahrzeugboden zu werfen.
Runde 4: Habe ich mich festgehalten – bisher gelang mir das meistens – hat der Fahrer noch eine Chance: Er macht an der Zentralbibliothek eine Vollbremsung, eine Bremsung, auf die Verstappen und Alonzo auch sehr neidisch wären. Stehe ich jetzt noch, habe ich es geschafft.

Jeden Morgen kämpfe ich mit dem Fahrer der Buslinie 4 von Solothurn einen stummen Kampf, einen Kampf, den mal ich oder mal er gewinnt, aber dennoch immer ein ernster Fight, gewissermassen ein Kampf auf Leben und Tod.

Mittags aber geht es weiter. Nun habe ich aber die besseren Karten: Ich kann den Unterricht so beenden, dass es mir auf jeden Fall reicht, vor dem HBF hat es keine Kurve, man muss nicht den Knopf drücken (am Bahnhof halten alle Busse immer) und er kann auch keine Vollbremsung machen.
Also alles gut, es sei denn…, es sei denn…, es sei denn es regnet, denn dieser Haltepunkt hat kein Wartehäuschen. Schirm? Da ich ein notorischer schlimmer Schirmvergesser bin, habe ich nie einen dabei. Der Fahrer der Linie 4 kann also mit übler, teuflischer und bestialischer Genugtuung erleben, wie ich als nasser Pudel in seinen Bus steige. Natürlich hat der Eingang der Zentralbibliothek eine Möglichkeit, im Trockenen zu warten. Aber diese Möglichkeit ist 20 Meter von der Haltestelle entfernt. Und selbstverständlich würde jener Chauffeur diesen Warteort nicht als Ich-warte-hier-auf-den-Bus-Ort sehen, er würde mit grösstem Genuss und mit übler, teuflischer und bestialischer Genugtuung vorbeifahren.

Natürlich kann man den Chauffeur irgendwie verstehen. Sein sturer, verbissener Hass auf alle Fahrgäste kommt ja nicht von ungefähr. Der sture, verbissene Hass auf Passagiere hat eine lange Geschichte. Ja, einst ist er sogar mit dem Wunsch in die Ausbildung gestartet «Kontakt mit Menschen zu haben». Aber er hat viel erlebt:
Schulkinder, die der Auffassung sind, dass der Bus der Linie 4 der richtige Ort ist, um ihre Happy-, Floppy- und Poppy-Menus amerikanischer Fastfoodketten zu vertilgen, und ganz sicher der richtige Ort um die Reste der Happy-, Floppy- und Poppy-Menus zu hinterlassen.
Menschen, die so laut mit dem Handy telefonieren, dass er keine Durchsagen der Zentrale versteht, zum Beispiel die, dass er ab Amthausplatz eine Umleitung fahren soll.
Ältere Damen, die ihn jeden Haltepunkt fragen, wann sie aussteigen müssen, und es dann nicht tun – direkte Nachfahren der Lady aus «Ein Wagen von der Linie 8», die nach dem «Max-Weber-Platz, bittschön» fragt.
Betrunkene.
Junkies.
Rocker.

Aber es ist trotzdem ungerecht, dass sein Fahrgasthass, sein Passagierhass dann gerade mich trifft. Ich esse keine Happy-, Floppy- und Poppy-Menus im Bus, ich lasse mein Smartphone in der Tasche, ich frage nach keinen Haltestellen. Ich trinke keinen Alkohol, nehme keine Drogen und habe keine Rocker-Tendenzen.
Warum ich?
Aber das ist die falsche Frage, sein Hass braucht ein Opfer und das bin nun eben ich. Und es steht bisher in unserem Fight immerhin 56:8 für mich…

Ich habe vor ein paar Wochen einen Artikel gelesen, der eine spannende Überschrift trug:

WIE KANN UNSER ÖV (NOCH) BESSER WERDEN?

Ich hätte zwei Vorschläge, die relativ einfach zu bewerkstelligen wären:
Erstens: Psychologische Betreuung nicht nur von Polizisten, Feuerwehrleuten und Sanitätern, sondern auch von allen Mitarbeitenden des Öffentlichen Verkehrs.
Zweitens: Überdachung sämtlicher Haltestellen – mit einem kleinen, simplen Dächle.

 

  

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Freitag, 13. September 2024

(nicht) helfen können und (nicht) wollen

Es gibt Menschen, die können einem helfen und wollen einem helfen.
Es gibt Menschen, die können einem nicht helfen und wollen einem nicht helfen.
Es gibt Menschen, die können einem helfen, wollen aber einem nicht helfen.
Es gibt Menschen, die können einem nicht helfen, aber wollen einem helfen.

Die Frage ist jetzt, Leute welcher Kategorie die töllsten (sic) und welche die blodesten (sic) sind. («töller» klingt doch viel schärfer als «toller» und «blod» noch viel härter als nur «blöd».)

Die Frage nach den töllsten Menschen ist sicher klar und schnell beantwortet, es ist die erste Gruppe. Solche Menschen sind klasse, ob man ein Fest macht, ob man umzieht, ob man Probleme mit dem PC hat oder einen Driver braucht, sie erscheinen und haben schon eine klare Idee, wie sie einen unterstützen: Zieht man um, sind sie pünktlich da und können mit anpacken, sie haben Gurte und Handschuhe mitgebracht und nehmen sich sofort die schwerste Kommode vor, macht man ein Fest, bringen sie feine Salate und leckere Kuchen, hat man Probleme mit dem PC, setzen sie sich eine Stunde hin und alles läuft und auch als Fahrerin oder Fahrer sind sie auf Zeit zur Stelle und haben auch schon die Route im Kopf…

Welche aber sind die blodesten?
Die nicht können und nicht wollen, ärgern einen nicht. Aus dem einen Grund, weil man sie ja gar nicht fragen würde. Niemand bittet mich um ein Dolmetschen Isländisch-Deutsch und ärgert sich dann, dass ich absage. Niemand ist sauer, weil ich mich weigere, den Schlauch an der Waschmaschine zu wechseln und niemand ist böse, wenn ich die Einladung, in einer Basketballmannschaft mitzuspielen ausschlage.

Ärgerlich hingegen sind die, die können und nicht wollen. Da kommt nun dieser eine Isländer, der kein Englisch kann (es gibt, glaube ich, fast keine) und dann hat man einen Abwart im Haus, der fliessend Isländisch kann, und dann will der nicht, weil die Urgrossmutter des Gastes die Urgrossmutter des Abwarts einmal an den Haaren gezogen hat (alle Isländer sind miteinander verwandt und bekannt), da leckt der Schlauch, und zufällig ruft Klaus an, der alle Installationsarbeiten beherrscht, aber weil es regnet, will er nicht aus dem Hause – und dass DU nass wirst ist ihm ganz egal. Ja, und da muss man eine Mannschaft zusammenstellen, und Rita IST eine Super-Basketballerin, aber aus irgendwelchen Gründen kommt sie nie zum Training…
Ärgerlich so etwas.

Am blodesten sind aber die, die nicht helfen können und es doch wollen.
Stellen Sie sich vor, Sie sind auf der Suche nach dem Isländisch-Dolmetscher und da drängt sich Bernd auf, er überrumpelt Sie mit der Feststellung, er habe ja mehrere Semester Nordistik studiert und ein Jahr in Schweden gelebt und Sie glauben ihm, dass das alles so ähnlich ist – und schon beim ersten Satz von Ragnusson Fenjustlon merkt man, dass Bernd kein Wort versteht.
Stellen Sie sich vor, dass Jim es von Klaus mitbekommen hat, und im Gegensatz zu Klaus hat Jim keine Angst vor Wasser, er kommt durch den Regen zu Ihnen und fängt an zu klempnern, und jetzt braucht man auch wirklich diese Nicht-Wasserscheu, denn innerhalb von 30 Minuten steht alles unter Wasser.
Ja, und Monika, die unbedingt mitspielen will und sich aufdrängt und bittet, ja, diese Monika trifft den Korb auch nicht, wenn sie direkt davorsteht und alle sie in Ruhe lassen…

Am schlimmsten sind die, die helfen wollen und es nicht können.
So müssen ja alle Ampel-Parteien-Landes-Verbände klare Signale nach Berlin senden, dass nicht aus Versehen irgendein Regierungsmitglied im Landtagswahlkampf auftaucht.
Angeblich werden die Mailboxen von Baerbock, Harbeck, Scholz, Lang, Esken, Lindner und Konsorten mit Texten geflutet, die alle ungefähr die gleiche Botschaft haben:

«Annalena, schön, dass du nach Potsdam kommen willst. Gehe doch bitte in die Boutique Melati und kaufe dir zwei schöne Kleider. (Du hattest neulich zweimal dasselbe an.) Die Boutique Melati hat auch den Vorteil, dass sie 5 km Entfernung von unserem Wahlkampfstand hat.»

«Liebe Saskia, du hast nach unseren Standorten für Kundgebungen gefragt. Die bleiben geheim. Bis zuletzt. Einfach damit niemand aus Berlin kommt. Das ist jetzt nicht persönlich gegen dich, aber vor allem Kabinettsmitglieder können wir nicht brauchen.»

«Christian! Du kannst uns durch zwei Dinge nützlich sein. Erstens: Bis nach der Landtagswahl in einem kaputtgesparten Bundesland nie mehr SCHULDENBREMSE sagen. Zweitens: Einen weiten Bogen um Brandenburg machen. Einen sehr weiten.»

Niemand brachte all das so auf den Punkt wie Woidke, der amtierende Ministerpräsident, der zur Frage, ob er Scholz dabeihaben möchte, ein klares Wort sagte:
NEIN.

Es gibt Menschen, die können einem helfen und wollen einem helfen.
Es gibt Menschen, die können einem nicht helfen und wollen einem nicht helfen.
Es gibt Menschen, die können einem helfen, wollen aber einem nicht helfen.
Es gibt Menschen, die können einem nicht helfen, aber wollen einem helfen.

Die letzte Kategorie, das sind die schlimmsten, die ärgsten, die blodesten.



 

 

 

 

 

  

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Dienstag, 10. September 2024

Mit Taliban und AfD "nicht" reden

Komm, lass uns miteinander reden
Bevor das Schweigen beginnt,
Offenheit ist mehr als beten
Wenn wir erst stumm geworden sind
Komm, lass uns miteinander reden
Wir können lernen dabei
Vielleicht entdecke ich an dir und du an mir
Manche längst verblassten Farben neu

So beginnt ein längst vergessenes Lied der längst vergessenen Sängerin Hanne Haller.
Schön, nicht? Das ist ja so wichtig, das Reden miteinander. Und gerade in letzter Zeit vermissen wir das ja so.

So redet ja die Bundesregierung nicht mit despotischen, diktatorischen, gemeinen, fiesen und undemokratischen Regimen. Wie zum Beispiel Russland. Nun war man doch etwas erstaunt, als eine Gruppe von abgelehnten Asylbewerbern abgeschoben wurde – nach Afghanistan. Es mussten hier ja intensive Gespräche mit einer despotischen, diktatorischen, gemeinen, fiesen und undemokratischen Meute vorangegangen sein, mit den Taliban.
Nun wurde aber klargemacht, dass man nicht geredet hätte, sondern man hätte mit anderen geredet und die dann wieder mit den Taliban.
Aha.
Das Ganze erinnert mich ein bisschen an eine Art Spiel, das wir als Teenager spielten: Person A und B verkrachten sich (also nicht echt, sondern so spielerisch) und Person C fungierte als «Moderator», besonders bei einem Essen machte das viel Spass:

A: Kann ich das Salz haben?
C: A fragt dich, ob er das Salz haben kann?
B: Er hat selber einen Salzstreuer in der Nähe.
C: B meint, du habest selber ein Streuer in der Nähe.
A: Der ist leer.
C: A sagt, der sei leer.
B: OK, gut, aber ich will es wieder zurückhaben. Und ich brauche Senf.
C: B sagt OK, aber will es wieder zurückhaben. Und er brauche Senf.
A: Er hat selber eine Tube neben sich.
C: A sagt, du hast selber eine Tube neben dir.
B: Die ist leer.
C: B sagt, die sei leer.



Die Frage ist doch nun, ob man diese bescheuerte Methode, mit despotischen, diktatorischen, gemeinen, fiesen und undemokratischen Regimen umzugehen, nicht auf alle anwenden kann. Wenn man «nicht» mit den Taliban redet, könnte man auch «nicht» mit Putin reden, könnte man «nicht» mit der Hamas und «nicht» mit den Huthis reden.

Man könnte nun aber das geniale A-B-C-System vielleicht auch auf die Innenpolitik anwenden. Nach einer Landtagswahl ist es ja normalerweise so, dass der Wahlsieger allen anderen Parteien Gespräche anbietet. Wenn dann keine Koalitionen zustande kommen, dann kommt Nummer zwei dran, und redet nun wieder mit allen.
Nun redet aber niemand mit der AfD und die CDU redet nicht mit der Linken (zumindest über mögliche Bündnisse…) Dabei wäre eine Koalition zwischen CDU und AfD ja gar nicht so undenkbar, wenn die AfD sich von den radikalen Teilen trennen würde und heilig, hochheilig, dreimalheilig verspricht, dass Höcker kein Minister- und erst recht kein Ministerpräsidenten-Amt bekommt. Ein Modell wie in den Niederlanden: Wilders-Partei ohne Wilders. In Sachsen übrigens waren die beiden Kandidaten in den Diskussionen ja gar nicht so weit voneinander entfernt. Und im Asylrecht kann inzwischen sogar ein Grüner «mehr abschieben» sagen, ohne dass sich jemand beschwert. OK, ich lehne mich jetzt weit aus dem Fenster, aber eine Koalition CDU-BSW ist ja genauso abwegig wie alles andere, total absurd.
Um der AfD nun die Formel «Nazis raus und Höcke weg» schmackhaft zu machen, müsste man aber…
Man müsste…
Man müsste…
Ja, man müsste reden. Und das tun man ja nicht. Also unser A-B-C-Modell. Umständlich, aber irgendwie geht es. CDU redet mit einem Unterhändler, der dann mit den Rechten, der wieder mit der CDU usw. Genauso könnte auch die SPD mit allen reden, usw.

Komm, lass uns miteinander reden
Wir können lernen dabei
Vielleicht entdecke ich an dir und du an mir
Manche längst verblassten Farben neu

Und um Farben wird es ja gehen. Schade, dass die Gelben (und einmal auch die Grünen) nicht mehr dabei sind. Denn in dem Schwarz – Lila – Blau – Hellrot – Dunkelrot, dabei verliert man ja den Überblick.

Ich biete mich übrigens als Unterhändler an. Denn – wer mich kennt, kann sich das gut vorstellen – in besagtem Spiel war ich immer C.