Freitag, 29. Oktober 2021

Sportlehrer

René Ragout, der Musiklehrer der Sekundarschule Weiningen (ZH) ist ein strenger Geselle. Er geht davon aus, dass eigentlich jeder und jede eine hohe musikalische Begabung hat, aber nur zu faul ist, diese auch auszuleben. So geht er mit jeder Klasse so um, als ob sie in der nächsten Woche zum ARD-, Tschaikowsky oder Chopinwettbewerb fahren würden. Schülerinnen oder Schüler, die einen Ton nicht treffen, keine grosse Septime singen können, keine «8 gegen 7» auf ihren Schenkeln schlagen vermögen oder sonst einfach unbegabt sind, beschimpft er als «unmusikalisches Warzenschwein», als «Rhythmuszombie» oder als «Scheisshaufen im Garten der Melodien».
René Ragout hat wegen seiner unmöglichen Art Probleme mit der Schulleitung.
Natürlich.
Und mit den Eltern.

Regula Schmid, die Deutschlehrerin der Sekundarschule Zuzenhausen (BE) ist eine raue Person, mit hexenhaften Zügen. Ihre Prämisse ist, dass eigentlich jeder und jede ein hohes sprachliches Talent hat, aber nur zu faul ist, dieses auch zur Geltung kommen zu lassen. So geht sie mit jeder Klasse so um, als ob sie in der nächsten Woche zum Bachmannwettbewerb fahren würden. Schülerinnen oder Schüler, die «weil» oder «während» mit Dativ gebrauchen, das Futur II Passiv nicht richtig bilden, keine 45 Synonyme für «sprechen» kennen oder sonst einfach unbegabt sind, beschimpft sie als «ungrammatische Drecksmenschen», als «Sprachkacker» oder als «Scheisshaufen im Garten der Poesie».
Regula Schmid hat wegen ihrer unmöglichen Art Probleme mit der Schulleitung.
Natürlich.
Und mit den Eltern.

Remo Tischler, der Sportlehrer der Sekundarschule Mossach ist ein wüster Unhold. Er geht davon aus, dass eigentlich jeder und jede eine hohe sportliche Begabung hat, aber nur zu faul ist, diese auch zu trainieren. So geht er mit jeder Klasse so um, als ob sie ab der nächsten Woche im Olympischen Dorf wohnen würden. Schülerinnen oder Schüler, die nicht 7 Meter weit und 2 Meter hoch springen, die keinen Flickflack und kein Rad können und auch im Base-, Volley- und Fussball keine Punkte machen oder sonst einfach unbegabt sind, beschimpft er als «meilenweit zu fett», als «totaler Krüppel» oder als «Scheisshaufen im Garten der Bewegung».
Remo Tischler hat…
Keine Probleme.
Nicht mit der Schulleitung.
Nicht mit den Eltern.
Nicht mit den Schülerinnen und Schülern.

Warum ist das so? Warum können und dürfen im Sportunterricht Dinge passieren, die in jedem anderen Fach unmöglich sind? Warum muss ein Schüler oder eine Schülerin sich ständig rechtfertigen, dass sie nicht schnell laufen oder hoch hüpfen können, während es für andere völlig normal ist, nicht singen oder keine genialen Texte schreiben zu können?
Warum – und ich schreibe das jetzt ganz bewusst provokant – haben die Sportlehrkräfte noch nicht gemerkt, dass der Zweite Weltkrieg vorbei ist? Wir brauchen keine durchtrainierten, kräftigen Leute mehr für Front und Lazarett. Die Schweiz hat sie übrigens auh damals nicht gebraucht...

Menschen, die normal intelligent sind, aber manchmal Buchstaben verdrehen, haben Legasthenie. Sie bekommen besondere Förderung und haben bei den Schultests einen gewissen Bonus.
Menschen, die normal intelligent sind, aber manchmal Zahlen verdrehen, haben Dyskalkulie. Sie bekommen besondere Förderung und haben bei den Schultests einen gewissen Bonus.

Ich fordere jetzt das Gleiche für mich bezüglich Sport. Ich habe ab jetzt offiziell eine Dysmotorisie. Und zwar rückwirkend. Damit werden alle meine Sportnoten seit Eintritt Primarschule im Jahr 1971 revidiert. Und alle meine Sportlehrer müssen sich entschuldigen.
Die, die noch leben, natürlich.
Nein, einen nehme ich aus: Meinen Lehrer für Leichtathletik (ausgerechnet!) in der 13. Klasse. Er hiess Lieb und trug den Namen zu Recht – aber er war eine grosse Ausnahme.
Sonst gilt ab jetzt für mich meine Dysmotorisie. Sportlehrpersonen, enstschuldigt euch!

René Ragout, der Musiklehrer der Sekundarschule Weiningen (ZH) ist ein strenger Geselle.
Regula Schmid, die Deutschlehrerin der Sekundarschule Zuzenhausen (BE) ist eine raue Person, mit hexenhaften Zügen.
Beide haben Probleme mit der Schulleitung – und mit den Eltern.
Aber sie haben jetzt eine Lösung:
Sie lassen sich zu Sportlehrpersonen ausbilden.



 

 

 

 

 

 

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