Dienstag, 30. September 2025

Liebe Frau Palla!

Liebe Frau Palla,
ich begrüsse Sie herzlich im neuen Amt als Bahnchefin.
Alles Gute und Liebe und Schöne für den Start!
Machen Sie es gut!

Ich war ja bei Ihrer Er-Nennung, also bei der Nennung Ihres Namens angenehm überrascht. Nicht weil ich Sie kenne, sondern weil ich jemand anderes kenne, der so heisst, eigentlich die so heisst. Das ist nun nicht ungewöhnlich, wenn man Menschen mag, die «Mulisch» heissen, dann sind zunächst einmal alle «Mulisch» positiv belegt, und wenn man «Hobler» mag, dann ist jede und jeder «Hobler» zunächst für einen eine Gute, ein Guter. Am Beginn seines wunderbaren Dramas lässt Lessing den Prinzen einer Emilia Bruneschi einen Riesenwunsch erfüllen, nur weil sie Emilia heisst, eine andere Emilia, nämlich die Titelfigur des Stückes, Emilia Galotti, ist das wahre Ziel seiner Begierde…
Und ich kenne nun eine herrliche Künstlerin, die aus dem Bündnerland stammt und in Zürich wohnt und arbeitet, Ursula Palla, zunächst Videokünstlerin, nun arbeitet sie mit filigranster Bronze. Vielleicht sind Sie sogar verwandt, immerhin stammen Sie aus Südtirol und «Palla» könnte ja sowohl im Rätoromanischen als auch im Ladinischen heimisch sein, aber das müsste man genauer recherchieren.

Liebe Frau Palla,
ich begrüsse Sie im Amt als Bahnchefin.
Herzlichst alles Gute und Liebe und Schöne für den Start!
Machen Sie es besser als andere zuvor!

Sie übernehmen ein schweres Amt, aber das hat Ihnen wahrscheinlich schon einmal jemand gesagt. Sicher haben Ihnen das schon ganz viele Leute gesagt, und Sie können es nicht mehr hören. Aber wussten Sie, dass es eine Abart der Sage gibt, bei der Herakles sich weigert, die Eisenbahn Griechenlands zu übernehmen und stattdessen den Stall des Augias möchte? Weil er weiss, hier helfen die Flussgötter? Wussten Sie, dass es eine Variante des «Rumpelstilzchen» gibt, bei der die Bauerntochter statt «Stroh zu Gold spinnen» «Bahn retten» muss? Wussten Sie, dass die Macher von «Batman», «Superman» und «Spiderman» sämtlich Comics zum Thema «Save the DB» abgelehnt haben, weil ihnen das Sujet zu phantastisch erschien?

Liebe Frau Palla,
ich begrüsse Sie herzlich im neuen Amt als Bahnchefin.
Alles Gute und Liebe und Schöne für den Start!

Ich habe aber nun drei Tipps für Sie, die ganz einfach zu machen sind und die fast nichts kosten. Wirklich! Aber diese vier Dinge werden alle Kunden glücklich machen.

1.) Entzerren Sie den Fahrplan.

Wenn der Zug zwischen Frankfurt und Berlin jeweils 2 Minuten zum Ein- und Aussteigen hält, dann langt das, wenn schlanke, drahtige Manager mit kleinen Aktenköfferchen rein- und raushüpfen. Es reicht nicht, wenn eine Familie aussteigt. Es reicht nicht, wenn es zwei Chinesinnen mit grossen Koffern sind. Es reicht nicht, wenn alte Menschen ein- und aussteigen. Also: Jeweils 5, oder sogar 6, oder 7 Minuten einberechnen. Diese Zeit kann man auch zum Aufholen von Verspätungen nutzen. Die ganze Fahrt wird dann länger dauern, nein, realiter natürlich nicht, sie wird auf dem Papier länger aussehen, dafür aber werden die Züge pünktlicher werden. Die Lufthansa hat übrigens etwas Ähnliches vor einigen Jahren gemacht.

2.) Reservationspflicht

Frankreich macht es vor: Dort gibt es kein Ticket für einen TGV ohne einen reservierten Platz. Das Chaos, das in Zügen entsteht, wenn 100 Menschen sich durch den Zug quetschen, die alle keinen Sitzplatz haben, würde sofort aufhören. Denn wieder sind diese Leute ja nicht nur schlanke, drahtige Manager mit kleinen Aktenköfferchen. Es sind Familien. Es sind Chinesinnen mit grossen Koffern sind. Es sind alte Menschen. Und der Ärger, Leute von meinen reservierten Plätzen wegzubekommen, die sich natürlich weigern und die meist kein Deutsch können, würde auch wegfallen.

3.) Gratiskaffee und Gratisklo

Wer eine lange Strecke bucht, bekommt einen Gutschein fürs Zugrestaurant. So wie man auf einem Flug Basel-Berlin auch einen Kaffee und einen Keks bekommt.
Und: Toiletten auf den Bahnhöfen gehören zum Service, sie müssen gratis UND sauber sein.

Werte Frau Palla, das wären einmal ganz kleine Massnahmen, die die Kundenzufriedenheit sofort aufs Heftigste verbessern würden.

Liebe Frau Palla,
ich begrüsse Sie herzlich im neuen Amt als Bahnchefin.
Alles Gute und Liebe und Schöne für den Start!
Machen Sie es gut!















 

Freitag, 26. September 2025

Herbsttournee 2025 (4): Fahrt zurück und Fazit

Am Sonntag, den 7. September 2025 ging es zurück.

Zurück in die Schweiz.
Zurück in den Alltag.
Zurück in die Schule.
Zurück zu den Familien.

Und das jetzt weniger freudig klingt, als es auch war, das ist irgendwie logisch. So anstrengend Tourneen auch sind, so sehr man seine Eltern, Geschwister, Freundinnen, Freunde, Partner vermisst, man ist auf diesen Reisen immer wie in einer ganz speziellen Zone, wie im zeitlichen Nirgendwo. Es kümmert einen nur das, was der nächste Tag bringen wird.

Es ging also zurück, aber nicht die gleiche Strecke, das wäre ja sinnlos gewesen – schauen Sie sich das einmal auf der Karte an – also nicht in die Tschechische Republik und dann nach Wien, sondern von Poznań mit den Bussen streng nach Westen, über die Oder nach Berlin und von dort aus mit der DB zum Badischen Bahnhof nach Basel.

Um 7.00 fuhren wir in Posen los; und wir nahmen ungern Abschied, diese Stadt, vor allem die Innenstadt und vor allem der Markplatz gehören zum Schönsten, was sich Menschen ausgedacht haben.
Ab 7.30 fuhren wir durch Kiefernwälder. Als ich um 8.00 einschlief, um ein wenig Schlaf nachzuholen, fuhren wir immer noch durch Kiefernwälder, und als ich um 9.00 in Brandenburg aufwachte (ich hatte die Grenze verschlafen), fuhren wir immer noch Kiefernwälder.
Mal ganz ehrlich, wegen dieses endlosen Gehölzes haben wir jahrelang so ein Gedöns gemacht? Ist es nicht völlig wurscht, wo in diesem endlosen Kiefernwald die Grenze verläuft? Aber wahrscheinlich bin ich viel zu naiv.

Um 10.30 erreichten wir den Ostbahnhof von Berlin. Ich hatte nun vier Wünsche:

Auf die Toilette gehen (die Bustoilette stank seit Tagen in einem unerträglichen Masse).
Einen Kaffee trinken.
Die Złoty-Scheine in Euro wechseln.
Die Złoty-Münzen irgendwo spenden.

Bei der SuperCleanAndNice®-Toilette war eine Schlange von 30 Menschen (die alle zum Chor gehörten), die Angestellten hatten aber schnell eine Idee: Als «Werbemassnahme» liessen sie alle bis 12 Jahre umsonst hinein. («Die Pinkler von heute sind die Kunden von morgen.») Eine Weitsicht und ein Pragmatismus, den man ja lange suchen kann. Warum arbeiten diese Leute am Ostbahnhof-Klo und nicht 5 Kilometer entfernt? Im Kanzleramt oder im Bundestag? Ich habe tatsächlich einen gefragt – und seine Antwort war, Politik sei ja so ein dreckiges Geschäft… Schlagfertig sind sie auch.

Der Kaffee gestaltete sich nur deshalb schwierig, weil die Auswahl so gross ist. An jedem Bahnhof gibt es ja inzwischen 35 – 75 Kaffeeläden, die mit speziell gepflückten, speziell gerösteten Bohnen, mit Topics und Flavour und so weiter (lesen Sie dazu auch den Post «Brauchen wir Flavour?» vom 20. Juni). Ich fand aber dann doch einen sehr weckenden und schmeckenden Doppelten Espresso.

Die Złoty-Scheine waren schnell getauscht, und für die einzige Reisebank am Ort war die polnische Währung auch keine unbekannte.
Die Złoty-Münzen stellten ein grösseres Problem dar: Im Amerikanischen Schnellrestaurant mit Schottischem Namen stand zwar eine Wir-spenden-alle-Münzen-Box, die Dame an der Kasse aber verstand meine Frage nicht (sie war anscheinend von einem anderen Stern wie die Kloleute). Nachdem ich viermal gefragt hatte, ob man auch ausländische Münzen hineinwerfen dürfe (was bitte ist da missverständlich?), meinte sie, ich solle das tun, was ich für richtig halte. Was ich dann auch tat. Ich weiss nun allerdings nicht, ob meine Münzen beim Sortieren einfach weggeworfen wurden oder wirklich Kindern in Not zugutekommen.

So.
Und nun warten Sie sicher auf die Story der DB-Reise.
So.
Sie warten auf eine Katastrophengeschichte.
Ich muss Sie leider enttäuschen, wir kamen mit humanen 20 Minuten Verspätung in Basel an, da kann man wirklich nichts sagen.

Was ist nun das Fazit dieser Reise?
Es war für mich wunderbar, in eine Gegend zu kommen, die man sonst eher ausser Acht lässt und die für mich die Hälfte meines Lebens irgendwie unerreichbar war. Die Städte waren superschön und ich konnte sie echt geniessen.

So. Ab nächste Woche wieder andere Themen.





 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Dienstag, 23. September 2025

Herbsttournee 2025 (3): Von Taxis, Tante-Emma-Läden und Tatsachen

Die Schwimmmöglichkeiten

Schwimmen ist – wie Sie wissen – ja meine Leidenschaft. Und eben das Schwimmen kommt, trotz vieler schöner Erfahrungen, auf den Tourneen immer zu kurz.
Aber dieses Mal nicht! Es gab vier Möglichkeiten, von denen ich drei genutzt habe.
In Hradek hatten wir ein Hotelschwimmbad; leider war es zu den unmöglichsten Zeiten offen, und zu den unmöglichsten geschlossen. So hätte ich nach dem Konzert bis 22.00 meine Längen ziehen können, dann am Abfahrtstage, dem Montag, erst ab 17.00. Nun waren wir nach dem Auftritt beim dortigen Chorleiter eingeladen, der uns nicht nur einen wunderbaren Apéro servierte, sondern auch stolz von seinen vielen Wettbewerben und Reisen erzählte, ich konnte und wollte nicht unhöflich sein.
Dann aber Wroclaw! Ein absolut sehenswertes Hallenbad vom Beginn des 20. Jahrhunderts, herrlich anzuschauen und zu beschwimmen, geöffnet 5.30 bis 0.00, und das jeden Tag. Jedes Bad bei uns könnte sich hier zehn Scheiben abschneiden. Das Bad ist in 5 Minuten vom Hotel aus zu erreichen, ich bin um 6.30 dort, einziger Wermutstropfen: Ich benötige eine Badekappe, die ich da für 10 Złoty erwerbe.
Am nächsten Tag sind wir am Meer, wir haben einen ganzen Nachmittag an einer Bucht mit viel Wasser, viel Sonne, viel Eis und viel Spass. Und gehe dreimal schwimmen.
Schwieriger wird es in Poznań: Das Hallenbad ist zu weit weg zum Laufen und es ist sehr kompliziert, mit dem ÖV zu fahren. Und Taxi? Wie verständigen? Also tue ich etwas, wovor ich mich bisher immer gescheut habe: Ich installiere die Uber-App. In Polen ist es übrigens gar kein so Problem, denn fast alle Fahrer sind beides, nein nicht Country UND Western, sondern Uber UND Taxi, wenn gerade kein Taxigast um den Weg ist, dann ubern sie.
Im Hallenbad ziehe ich brav meine Badekappe an – und stelle fest, dass ich der einzige Schwimmer mit Kappe bin. Es ist also anscheinend keine nationale Regel…

Żabka

An dem Abend, an dem wir am Meer, an einem Bootshafen mit wunderbarer Abendstimmung ankommen, stelle ich fest, dass es am nächsten Tag (es ist ein freier, eben der Meer-Bade-Tag) erst um 9.00 Frühstück gibt und ich keinen Kaffeeautomaten in der Unterkunft (eher hostelmässig) sehe. Ich frage in der Küche nach löslichem Kaffee und werde an einen Shop verwiesen, der angeblich 10 Minuten zu Fuss an der Strasse liegen soll. Merkwürdig ist, dass Google Maps hier nichts verzeichnet, aber wir laufen dennoch los.
Und wir werden fündig.
Nach 11 Minuten stehen wir vor einem kleinen Laden, in dem es viele schöne Dinge gibt: Löslichen Kaffee, Fertigkaffeegetränke, Sandwiches, Süsswaren und jede Menge Alkohol und Zigaretten. Es ist ein Żabka, und als wir auf Google Maps noch einmal nachschauen, steht da auch das Wort « Żabka», es steht allerdings einfach so als Wort und ist nicht anklickbar, ist nicht verlinkt. Warum? Żabka ist in Polen einfach bekannt, es ist DER Tante-Emma-Laden, DAS Späti, DIE Einkaufstelle. Immer wieder werde ich in den nächsten Tagen Żabkas aufsuchen, nicht nur, weil dort alles so schön billig ist, sondern weil man da wirklich unter den Leuten ist. Wenn man dieses Land kennenlernen will, dann sollte man sich möglichst viel im Żabka aufhalten.
Am Samstag dann in Poznań werde ich erstaunt sein, wie viel Alkohol die Polen vor einem normalen Wochenende einkaufen, viel Bier und sehr, sehr, sehr viel Wodka.

Die Sicht auf die historischen Dinge

Wir haben drei Male eine Stadtführung:
Die erste in Wroclaw mit Knopf im Ohr, die zweite und die dritte ohne in Szczecin und Poznań. Die erste Variante hat den grossen Vorteil, dass es so aussieht, als ob alle Kinder lückenlos zuhören und man nicht ständig die Buben zum Guide treiben muss, da macht es übrigens keinen Unterschied, dass die dritte Führerin auch ein Mikro benutzt.
Genauso wie in der Technik unterscheiden sich die Führungen auch ein wenig in den Standpunkten. Allgemein kann man ja sagen, dass die Polen ein heikles Volk sind, das mit keiner Fremdherrschaft zufrieden war; Deutsche, Sachsen, Preussen, Böhmen, Russen usw., nie waren sie glücklich, man kann es ihnen einfach nicht recht machen. In der Sichtweise gibt es nun Unterschiede, die Grundfrage lautet: Wer waren die Schlimmsten? Während unser Guide in Wroclaw permanent auf die Russen schimpft, die dann auch die Deutschen vertrieben, und völlig ausser Acht lässt, dass diese ja 1939 Polen überfallen haben, ist der Guide in Poznań deutsch-kritischer.
Ein bisschen ist das so wie in den aktuellen Beziehungen: Der eine Pole betont stetig und immer und unaufhörlich wie wichtig es ist, dass die Polen und Deutschen unverbrüchlich gegen die Russen zusammenhalten, der andere reist nach Berlin und verlangt Reparationsgeld.

So viel für heute.
Am Freitag die letzte Tranche.

P.S.: «Country UND Western» (für die, die es nicht kennen) ist ein Zitat aus «Blues Brothers».

 

Freitag, 19. September 2025

Herbsttournee 2025 (2): Von Schlachten, Schraten und Schlechtwerden

Und weiter geht es mit Geschichten und Eindrücken der Reise durch Mähren und Westpolen.

Neue Einblicke in die deutsche Geschichte

Hradec Kràlovè war mir kein Begriff. Eine entzückende Kleinstadt im Nordwesten der Tschechischen Republik, ein kleines Städtchen mit Marienbrunnen, ovalem Hauptplatz und Kopfsteinpflaster. Erst als ich die deutsche Übersetzung des Namens erfahre, klingelt es in meinem Kopf: Auf Deutsch heisst das Königgrätz. Königgrätz – da war doch was? Ja, die Schlacht bei Königgrätz, 1866. Krieg Deutschlands gegen die Österreicher. Als ich aber zu meinem Handy greife und Wikipedia aufrufe, staune ich. Ich hatte im Kopf, dass die bösen Bayern fünf Jahre vor der deutschen Reichsgründung noch für die Österreicher kämpften, so haben wir das in der Schule gelernt, aber es waren eigentlich ALLE gegen die Preussen, die Sachsen, Hannover, die Badener und die Württemberger, und das stimmt mich nun doch ein wenig sauer, 1980 habe ich in einer Stuttgarter Schule noch zu hören bekommen, dass WIR Deutschen den Mehlspeisenessern eine auf den Sack gegeben haben, dabei waren wir Schwaben auf der anderen Seite. Das Deutsche Reich war vielleicht viel mehr ein preussisches Reich, als man denkt.

Schweizer kennen keinen Rübezahl

Wir machen einen Halt im Riesengebirge.
Das Riesengebirge (tschechisch Krkonoš, polnisch Karkonosze, gebirgsschlesisch Riesageberge oder Riesegeberche ist das höchste Gebirge Tschechiens und Schlesiens. (so Wikipedia)
Wir halten an den berühmten Adlerfelsen und haben anderthalb Stunden Zeit, durch diese ominösen und riesigen und imposanten Sandsteingebilde zu laufen. Ein wirkliches Erlebnis. Beim Ausgang steht eine grosse holzgeschnitzte Figur, mit der sich meine Jungs fotografieren lassen. Sie finden den gnomenhaften und verschmitzten Mann lustig, haben aber keine Ahnung, wen das darstellen sollte.
Es ist Rübezahl.
Rübezahl (tschechisch Krakonoš, polnisch Lyczyrzepa, ist der Berggeist (Schrat) des Riesengebirges. Um ihn ranken sich zahlreiche Sagen und Märchen. (so Wikipedia)
Es ist erstaunlich, dass diese Figur in meiner Jugend so präsent war, obwohl ich ja weit, weit, weit vom Riesengebirge entfernt aufgewachsen bin. Aber sie war präsent, präsent in Büchern und Filmen und Bildern, sogar im Märchengarten Ludwigsburg gab es eine Station. Wenn man «Rübezahl» rief, dann erschien er und sprach mit tiefer Bassstimme: «Willst du Gold und Edelstein? Ich zeig sie dir!» (dieselben erschienen), «Aber du bekommst sie nicht!» (sie verschwanden). Stuttgarter meiner Generation werden sich noch erinnern.
Ich selbst habe eine etwas mulmige Erinnerung: Auf meiner Rübezahl-LP gab es eine Geschichte mit einem Mann, der seinen abgeschlagenen Kopf dabeihatte, dazu erklang eine düster-dämonische Musik. Ich hatte nach dem Hören der LP (der Spieler stand im Wohnzimmer) nun immer Angst in mein Zimmer zu gehen, weil ich befürchtete, dort dem Mann mit dem abgehauenen Kopf zu begegnen…
Man findet jene LP übrigens heute immer noch im Netz, es ist die E 237 der EUROPA-Kinderserie aus dem Jahre 1969 (Boomer, Boomer, Boomer, Boomer, erinnert ihr euch?) und die düstere Musik war die «Halle des Bergkönigs» von Grieg.

Öffentliche Toiletten mit heissem Wasser

Huch, werden Sie sagen, was soll das denn? Aber lassen Sie mich erklären:
In Wroclaw (früher Breslau genannt) konzertieren wir im Nationalen Forum für Musik (Narodowe Forum Muzyki), und zwar tun wir das am 1. September 2025, praktisch genau 10 Jahre nach dessen Eröffnung am 4. 9. 2015. Das Forum ist ein riesiger, toller, supermoderner und superschöner Bau der Architekten Kuryłowicz & Partner, der mehrere Säle und zahlreiche andere Räume bietet – wir musizieren im «Roten Saal», nicht im «Grossen Saal», der wäre mit seinen 1800 Plätzen nun doch zu gross…
Nun aber zu den WC-Anlagen: Auch sie riesig, toll, superschön und supermodern, und sie haben Waschbecken, aus denen kochend heisses Wasser fliesst. «Wer braucht das denn?», werden Sie fragen. Ich brauchte das, denn als einer meiner kleinsten Sänger vor mir stand und die Hand vor dem Mund hatte, wusste ich im selben Moment, dass es nun zu spät war, eine vorgehaltene Tüte übersah und überspie (welch schönes Wort) er und so waren meinen ersten Aufgaben in der Schlesischen Hauptstadt (was Breslau/Wroclaw ist) die Reinigung meiner Sporttasche und ein fast kompletter Strip und ein neues Bekleiden. Die alten Kleider konnte ich nun im Nationalen Forum reinigen, da – wie oben gesagt – die WC-Anlagen heisses Wasser bieten. Die Kleider wurden übrigens komplett sauber. Ob das eine Idee von Herrn Kuryłowicz war? Ob ihm eine ähnliche Sache wie mir passierte? Wir wissen es nicht, er erlebte die Einweihung des Forums nicht mehr, er starb jung. Aber er hinterliess zwei Söhne (denen als Babys vielleicht auch einmal schlecht wurde…)

Am Dienstag mehr.

Dienstag, 16. September 2025

Herbsttournee 2025 (1): Von Bahnangestellten, Bauhaus und Bier

Ich bin zurück. Ich bin zurück aus Mähren, aus Schlesien und von der Ostsee. Ich bin zurück mit vielen neuen Erlebnissen und Erfahrungen, ich bin zurück von meiner Tournee und aus der Blogpause und werde jetzt – wie Sie es erwarten – berichten. Und zwar dieses Mal chronologisch.

Der Schlafwagenangestellte

Auf der Nachtfahrt von Basel nach Wien hatten wir eine witzige Buchung, verschiedene Vierer- und Dreier-Liegeabteile, und dazu ein Sechser-Sitz-Abteil. Das ich bekam, obwohl für mich auch eine Buchung in einem Dreierliegeabteil bestand. Aber so entzerrten wir uns alle ein bisschen, und meine beiden Chorbetreuerinnen waren froh um den Platz.
Am Morgen allerdings gab es ein Problem: Kaffee. Ich möchte, brauche und erwarte morgens einen Kaffee – die einzige Sucht, die ich mir nach dem Aufhören mit Alkohol und Nikotin noch genehmige. Nun ging ich in die Schlafwagenzone, und ich versuchte dem Schlafwagenangestellten klar zu machen, dass mir ein Kaffee zusteht. Nichts zu wollen. Nichts zu machen. Ich kam ja offensichtlich aus dem Sitzbereich. Und den Menschen aus dem Sitzbereich steht Kaffee nur kostenpflichtig zur Verfügung. Ich zahlte also 3 Euro für einen (schlechten) Espresso.
Später brachte mir meine allerliebste Chorbetreuerin mein Frühstück, Gipfeli, Joghurt, Apfel und einen grossen Mehrwegbecher Kaffee. Als ich diesen Becher dem Schlafwagenangestellten nun freudestrahlend zurückbrachte, erwartete ich irgendeinen Kommentar, immerhin war das ja der Beweis, dass mir Kaffee zustand, dass ich ein Recht auf Kaffee hatte. Sein Kommentar war aber nur: «Hmrpfr».
Man muss nun aber zur Rechtfertigung der Schlafwagentypen und ihrer schlechten Laune sagen, dass sie für einen solchen Sch…job einfach zu schlecht bezahlt sind. Denn es reisen ja nicht nur Bubenchöre, bei denen auch die Leiter schauen, dass alle schlafen, es reisen ja auch Junggesellen, die saufen und lärmen, und da wären 80,-- pro Stunde angebracht, was aber niemand zahlt…

Bauhaus in Brno

Man wäre gerne Mäuschen gewesen, als das Gebäude, in dem wir logierten, errichtet wurde. Das Hotel «Avion» ist nämlich ein ganz spezielles Ding: Im Jahre 1928 von Bohuslaw Fuchs entworfen und ausgeführt, ist es ein wunderbares Beispiel Neuen Bauens, oder sagen wir doch lieber «Bauhaus». Es gibt ein Foto im Hotel, das Fuchs zusammen mit Le Corbusier auf der Dachterrasse zeigt. Das «Avion» war mit seinen 10 Etagen lange das höchste Bauwerk der Stadt und ist bis heute eine der schmalsten Herbergen Europas.
Wie haben die Menschen damals reagiert? Wie fanden sie den Stil? Waren sie entsetzt über das unglaublich hohe Bauwerk? Über die Schmalheit? Wahrscheinlich haben sie nur gemotzt und sich mokiert, das ist ja häufig so, dass die Sachen erst im Nachhinein geschätzt werden.
Die Auftraggeber des zweiten wichtigen Bauhaus-Gebäudes in Brno, Tugendhats, die die «Villa Tugendhat» in Auftrag gaben, die waren sicherlich begeistert, wer bei Mies Van der Rohe für eine schwindelnd hohe Summe etwas bestellt, der wird dann auch begeistert sein.
Leider muss man das Bauhaus inzwischen wieder verteidigen. Im Schlepptau des Rechtsrucks in Europa ist auch das Neue Bauen wieder in Verruf gekommen. Man hätte es gerne wieder traditionell (oder was man dafür hält), man hätte gerne wieder «Eiche Rustikal» und Eckbänke und karierte Tischtücher. Dabei hat das Hotel «Avion», wie alles in diesem Stil eine wundervolle Eigenschaft: Es ist zeitlos.

Bier in Tschechien

Um es kurz zu sagen: In Brno und in Prag trinkt man Bier. Und zwar richtiges, ordentliches. Und natürlich in Pilzen (deutsch Pilzen), immerhin ist ja eine Biersorte nach dieser Stadt benannt. Das Bier also, das tschechische, es ist kräftig, stark und hat Alkohol. Meine Frage nach einem alkoholfreien Bier wurde von den Kellnern und Barkeepern mit grossem Stirnrunzeln aufgenommen. Wenn ich gefragt hätte, ob ich auf dem Tisch tanzen darf, wäre das Erstaunen nicht grösser gewesen. Wenn ich die Bitte geäussert hätte, mich nackt ausziehen zu dürfen, hätte man auch nicht anders reagiert. Und mein Wunsch nach einem lila Einhorn wäre mit der gleichen Verblüffung aufgenommen worden. Bier ohne Alkohol? Hier?
Das tschechische Bier hat in seiner heftigen Form so viel Alkohol wie bei uns ein Weisswein. Wenn unsere Gastgeber am ersten Abend drei Grosse tranken – und das taten sie – dann war das das Gleiche wie anderthalb Flaschen Chardonnay oder Riesling. Also so schon eine Menge. Als Mineralwassertrinker war ich da natürlich der Exot.

So viel für heute. Am Freitag mehr.