Dienstag, 6. August 2024

40 Jahre Mail: Michael Rotert und die Fee

Am 3. August 1984 sass der Ingenieur Michael Rotert an seinem Schreibtisch in Karlsruhe und träumte vor sich hin. Da erschien ihm Omelina, eine Fee. Er rieb sich die Augen – aber er war wach, daran gab es nichts zu rütteln.
«Ich bin Omelina», so begann die Frau im zartsilbrigen Kleid, «und Omelina ist nicht umsonst ein Anagramm von NO E-MAIL. Ich möchte dich warnen. Eben ist im Keller auf einem Rechner die erste Mail in der BRD angekommen. Öffne sie nicht!»
«Die Mail ist da? Das ist ja fantastisch!»
«Michael! Michael! Michael! Schlimmes weiss ich! Zu unserem Wehe wahrst du die Mail!», rief da Omelina, denn sie wusste, dass Michael glühender Wagnerianer war. Und sie begann zu erzählen und zu weissagen:

«In 40 Jahren wird diese Technik unser Leben völlig in der Hand haben. Die Menschen werden keine Briefe mehr von Hand schreiben oder Karten, die wunderschöne Schrift auf edlem Papier wird verschwinden zugunsten von nacktem Bildschirm. Die Menschen werden auch nicht mehr miteinander reden, mit
ICH SCHREIB DIR NE MAIL
wird jedes Gespräch abgewürgt werden.
330000000000 solche Mails werden 2024 weltweit verschickt werden, und die Hälfte davon, also 165000000000, werden nutzloses, widerliches, blödes und störendes Zeug sein, dieses nutzlose, widerliche, blöde und störende Zeug wird Spam genannt werden und unsere Computer zum Überlaufen bringen. Aber auch von den Nicht-Spam-Mails werden ganz, ganz, ganz, ganz viele überflüssig sein.
Beziehungen werden kaputtgehen, weil man Fremdgeh-Nachrichten an die falsche Adresse schickt, Arbeitsstellen werden verlorengehen, weil jemand den Witz über den Chef eben an diesen schickt. Viel Leid wird passieren…
Michael! Michael! Michael! Schlimmes weiss ich! Zu unserem Wehe wahrst du die Mail!
Meide, Michael, Meide! Flieh den Fluch der Mail!»

Und Omelina löste sich in Luft auf, nachdem sie noch einmal die Rheintöchter in der «Götterdämmerung» zitiert und noch die Erda aus dem «Rheingold» draufgesetzt hatte.

Ja.
Rotert hätte es in der Hand gehabt.
Aber wir wissen, was er tat: Er ging zum Rechner und öffnete die Mail – und startete damit ein völlig neues Kapitel.

Nun muss man – wenn man ganz ehrlich ist – schon sagen, dass Omelina ein bisschen sehr schwarzgemalt hat.
Denn die Zahl von 165 Milliarden Spam ist korrekt, aber gleichzeitig mit der Spamtechnik hat sich ja eine phänomenale Anti-Spam-Technik entwickelt. Bestimmte Wörter, Inhalte usw. werden einfach aussortiert. Und hier ist die Mail der Post haushoch überlegen, denn der Briefträger macht das ja gerade nicht, man kann ihm 10x sagen, dass er bestimmte Wurfsendungen gleich in den Müll schmeissen könne, er darf es nicht, er darf es nicht, wenn Ihre Adresse draufsteht, muss er einwerfen. Die Anti-Spam also, ich frage mich manchmal, was gewisse Firmen mit gewissen Namen machen, dass sie nicht ständig im Spamordner landen. 1974 – also 10 Jahre vor der Mail, und auch in diesem Jahr ein Jubiläum feiernd – gegründet, ist eine Bude eine wichtige Adresse in der Leiterplattentechnik, die Schwanz GmbH in Hildesheim.

Und auch alle anderen Dinge sind nicht so katastrophal, wenn man ein wenig nachdenkt. Ich habe neulich im Post «Wir klicken zu schnell» (15. Juni) geschrieben:
Wir klicken zu schnell.
Wir klicken zu hastig.
Wir klicken zu unüberlegt.
Wir wählen aus dem Adressbuch und vertun uns sehr schnell zwischen «Jon» und «John» und «Jona» und «Joni».
Wir drücken ständig «Allen antworten» ohne zu schauen, wer eigentlich alles sich im Verteiler befindet.
Wir sind viel zu schnell.
Das kann man zum Mail-Geburtstag nur noch einmal betonen.

Am 3. August 1984 erschien dem Ingenieur Rotert die Fee Omelina und warnte ihn wagnerisch: «Michael! Michael! Michael! Schlimmes weiss ich! Zu unserem Wehe wahrst du die Mail!
Meide, Michael, Meide! Flieh den Fluch der Mail!»

Und wir wissen, dass Rotert sich nicht daran gehalten hat – und so ganz blöd ist es ja nicht gelaufen…





 

 

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