Freitag, 14. Oktober 2022

Sprüche (3): Die Sprüche meiner Lieben


Nicht nur grosse Denkerinnen und Denker wie Theodor W. Adorno oder Pia Frankenberg, wie Hanna Arendt oder Sven Regener hatten Spuren auf meiner Wand hinterlassen. Nein, viele Freunde, Bekannte, viele Kollegen und Schüler, Kommilitoninnen und Nachbarinnen trugen Sprüche bei. Die schönsten vier werde ich heute bringen.

Mit dem Zölibat ist es wie mit dem Offside im Fussball: Es gehört abgeschafft.
Wolfgang Mauler *
(* Name von der Redaktion geändert)

Das ist ein wunderbarer Satz, nicht, weil er hier so klar Stellung zur Abseitsregel bezieht, eine Regel, die ja immer wieder umstritten ist. Nein, bei beiden (ja!) kann man unterschiedlicher Meinung sein. Das wunderbare an diesem Satz ist die Gleichsetzung.
Beide Regeln stehen seit Jahrhunderten fest, und sie scheinen unverbrüchlich und unabänderbar, sie scheinen nicht wegdenkbar oder verschiebbar: Wenn du Eucharistie feiern willst, dann darfst du nicht heiraten, wenn du ein Tor schiessen willst, dann musst du richtig stehen.
Wer könnte nun diese Regel ändern?
Die FIFA und der Vatikan – also die FIFA kann die Fussballregeln ändern und der Vatikan das Zölibat abschaffen, nicht umgekehrt. Und hier stossen wir auf eine interessante Parallele: Beide Organisationen sind auf eine gleiche Weise korrupt, verbrecherisch und verfilzt. Beide Organisationen sind ohne Guillotine nicht reformierbar. Bei der FIFA setzte man auf einen neuen Chef – das war eine bittere Enttäuschung. Bei der katholischen Kirche setzte man auf einen neuen Chef – auch hier Fehlanzeige. Spannend ist nun, dass viele Menschen Verständnis für Kirchenaustritte haben, aber einen Boykott der WM in Qatar für undenkbar halten…

Wenigstens sind wir in den Top Ten.
Mark Groove*
(*Name von der Redaktion geändert)

Dieser herrliche Ausspruch hat eine Rahmenhandlung und Vorgeschichte. Meine Klasse nahm an einer Klassen-Olympiade teil – also sie mussten, weil alle vierte Klassen das machten. Die Olympiade konnte blöder nicht sein: Auf gefühlt den ganzen Landkreis verteilt lauerten Posten, die man mit dem Velo anfahren musste. An diesen Posten konnte man dann auf Mini-Raupen stehend Wasser holen, mit Handtüchern Bälle über eine Schnur werfen, mit kleinen Knetbollen einen Baum treffen und auf dem Kopf stehend auf den Füssen eine Kerze balancieren. Meine Klasse war immer sportlich, sie spielten gerne Fussball und Volleyball, Basketball und Hockey, aber auf Mini-Raupen stehend Wasser holen, mit Handtüchern Bälle über eine Schnur werfen, mit kleinen Knetbollen einen Baum treffen und auf dem Kopf stehend auf den Füssen eine Kerze balancieren, das war ihnen zu doof.
Also wurden wir letzte – von acht Vierten Klassen.
Und dann kommt der herrliche Spruch von Mark – das Glas ist halbvoll, es ist alles gut, alles wird gut, wir sind immer noch unter den zehn besten Teams.
Ich habe leider den Kontakt verloren, aber ich denke, Mark hat es mit seiner positiven Einstellung weit gebracht.

Interpreten sind Verräter.
Igor Strawinski
Transposition ist Blasphemie.
Daniel Lilacker*
(*Name von der Redaktion geändert)

Hier habe ich zwei Sprüche kombiniert. Zwei Sprüche, die sich mit dem Umgang mit Werken beschäftigen.
Der gute Igor meinte mit seinem Spruch, dass ein Werk EINE gültige und richtige Lesart habe und jeder Musiker und je Musikerin, die oder der «interpretiert» ein schlimmes Ding verübt. Was Strawinski ein wenig relativiert, ist die Tatsache, dass er selbst ganz verschiedene Aufnahmen seiner Stücke dirigiert hat. So kann schon mal bei Einspielungen von 1935 und 1955 das Tempo um 20 Metronomstriche auseinanderklaffen…
Daniel legt hier einen drauf: Schon das Herauf- oder Herabsetzen in eine andere Tonart ist für ihn inakzeptabel. Man muss dazusagen, dass Daniel das Absolute Gehör hat, das heisst, dass ihm eine Änderung der Tonart richtig weh tut…

Es kann auch ein klarer Standpunkt sein, keinen klaren Standpunkt zu haben.
Rivad Schul*
(*Name von der Redaktion geändert)

Rivad war ein Klassenkollege von Mark und dieses Zitat fiel in einer Diskussion über die (hoffnungslos veraltete, aber von Gymnasien immer noch verlangte) Form der «Dialektischen Erörterung». Hier – Sie erinnern sich – muss man ja am Anfang festlegen, ob man Pro oder Kontra ist, und dann jeweils mit dem stärksten Pro- oder eben Kontra-Argument enden. Rivad beharrte nun darauf, dass man nun eben nicht zu allen Themen der Welt eine klare Position haben kann. Manchmal bleibt man eben ambivalent und unentschlossen.
Und das ist absolut OK.

So viel zu meinen Sprüchen.

P.S. Der mit dem Absoluten Gehör ist nicht mein Chef.

  

   

 

 

 

 

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