Freitag, 4. März 2022

Kindergarten Grossindustrie

Ich habe neulich einer Schülerin eine PowerPoint zum Thema Satzarten gezeigt. Und während wir uns durch den Einfachen Satz, das Satzfragment, während wir uns durch Satzverbindung und Satzgefüge kämpften, und auch den Zusammengezogenen Satz nicht ausliessen, kam Sandrina immer mehr ins Kichern. Oder eigentlich kam sie übers Kichern ins Lachen – und dann ins Grölen. Was brachte Sandrina so ins Kichern, Lachen und Grölen?
Die PPT war eine aus meinen Anfängen mit dieser Technik und hatte noch eine Menge Spezialeffekte. Da waren die Schriften grün, gelb und rot und blau, die Hintergründe purpurn und golden und beige, da schossen die Schriften hinein und falteten sich auf und drehten sich und explodierten. Kurz gesagt eine Power Point der üblen Sorte.
Ich fragte Sandrina, ob sie PPT anders gelernt hätte. Ihre Antwort war lapidar: «In der Primarschule hiess es, als Effekt nur ERSCHEINEN und als Farben nur Schwarz, Rot und Weiss.»

Ist es ob dieser Aussage nicht lustig, dass in der Industrie noch immer so mit PPT geschafft wird, wie ich es oben beschrieb? Da sind die Schriften grün, gelb und rot und blau, die Hintergründe purpurn und golden und beige, da schiessen die Schriften hinein und falten sich auf und drehen sich und explodieren. Kurz gesagt Power Points der üblen Sorte. Martin Suter schreibt in einer seiner tollen Business Class-Kolumnen den folgenden Dialog:
«Haben Sie das verstanden?», sagt Meili zu Schmied, als Hottinger den Raum verlässt. «Nein», sagt Schmied, «aber es war super präsentiert.»

Ich habe in einem der letzten Posts über Fortbildungen geschrieben und auch hier scheinen Grundschüler weiter als Manager zu sein. So müssen manch ein Vater und manch eine Mutter zu Fort- und Teambildungen, zu denen ihre Kinder nicht mehr gehen würden, weil sie ihnen zu kindisch sind. Hier könnten zum Beispiel genannt werden:
Wir drücken unsere Pläne für die nächsten Jahre aus, indem wir Apparate aus Legosteinen bauen.
Wir finden zueinander, indem wir gemeinsam mit Fingerfarben malen.
Wir kneten Figuren aus Ton, um die Gruppe und das Team darzustellen.
Wir spielen unser Team als Kasperle-Theater.
Wir bauen Marionetten.
Wir bewerfen uns mit Wasserballons (als Stressabbau).

In diesen Zusammenhang gehört auch der soziale Umgang miteinander.
Ihr Klassenkollege Marco, so erzählt Maura am Familientisch von Robert Meier, Manager bei der OTOMAG, habe einen Zettel, den ihm ein anderer Bub geschrieben habe, und auf dem die Lehrerin verunglimpft worden sei, direkt an die Lehrerin weitergeleitet.
Das sei «voll gemein», so Maura.
Wenn Robert nun so nachdenkt, dann muss er sagen, dass Marco das macht, was in der Industrie gang und gäbe ist. Da ist es völlig normal, Mails falsch weiterzuleiten, Leute anzuschwärzen und mit allen Ellenbogen und allen Kniegelenken zu arbeiten.

Warum ist das so? Warum ist die Grossindustrie viel mehr Kindergarten als der eigentliche?
Ja, warum?

Eine Erklärung ist sicher die – leider noch immer vorherrschende – Maskulinisierung des Arbeitslebens. Und damit meine ich nicht, dass zu viele Männer in Führungspositionen sind, das natürlich auch, aber ich meine, dass auch die Frauen wie Männer denken und agieren.
Und seien wir ehrlich: Männer werden nicht erwachsen.
MÄNNER WERDEN SIEBEN, DANACH WACHSEN SIE NUR NOCH.
Es konnte im Netz nicht herausgefunden werden, woher der Spruch stammt, aber wahr ist er auf jeden Fall.
Als Buben spielen Max und Michi mit Autos, wenn sie gross sind, dann stapeln sich bei ihnen die SUV- und Formel I-Kataloge und es gäbe nichts Tolleres für sie, als mit einem fetten, brummenden Auto mit 190 km/h durch die Welt zu rasen, da kann Greta toben und motzen, so viel sie will.
Als Buben spielen Miu und Moritz mit Spielzeugpistolen und Platzpatronen und wenn sie gross sind, dann rüsten sie auf und fangen Kriege an.
Und dass sie (mit 7, mit 17, mit 70) nicht ihr Gehirn für ihr wichtigstes Organ halten, sondern das Teil, das da zwischen ihren Beinen hängt, spricht ja auch Bände…

Ein anderer Grund ist wohl die Tatsache, dass es zum guten Ton gehört, möglichst viele Überstunden zu haben. Ja, und wenn man eine PPT in 2 Stunden hätte, dann motzt man sie halt so lange mit Effekten auf, bis die Schriften grün, gelb und rot und blau sind, die Hintergründe purpurn und golden und beige, bis die Schriften hineinschiessen und sich auffalten und sich drehen und explodieren und die Arbeit daran 6 Stunden verbraucht.
Ja, und wenn man eigentlich genau mit der Arbeit fertig würde, wenn man Montag bis Freitag am Arbeitsplatz wäre, ja, dann gibt es Mo – Mi eine Teambildung, dann reicht es schon wieder nicht. Und auch das Mobbing kostet ja wertvolle Arbeitszeit, die man auch für die ARBEIT einsetzen könnte…

Ich habe neulich einer Schülerin eine Power Point der übelsten Sorte gezeigt.
Und ich hoffe, dass Sandrina nie in die Grossindustrie muss – dafür ist sie jetzt schon zu reif.



 

 

 

 

 

 

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