Dienstag, 7. Oktober 2025

Apple Pi

Ich komme mit einer (sehr pfiffigen, sehr gewitzten) Schülerin im Englischunterricht auf die mathematische Grösse «Pi» und wir überlegen uns, wie der Engländer dies ausspricht. Es muss – da sind wir uns einig – «pai» heissen und bildet dann mit «pie» ein Homophon. Sofort kommt uns ein Witz in den Sinn: «What is the math teacher's favorite dessert? – apple pi.» Und wir sind mächtig stolz.
Dann aber denken wir, dass dieser Joke zu eindeutig, zu naheliegend, zu offensichtlich, zu banal ist, und dass sicher schon Leute daraufgekommen sind. Einmal Google ernüchtert uns: Es gibt sogar ein T-Shirt mit diesem Spass, ein Apfel und ein Pi-Zeichen. Natürlich sind schon andere auf diese Idee gekommen…

Ich erzähle meiner Schülerin, dass ich jedes Mal mit einer Schnute reagiere, wenn ein Mensch den Spruch «Das Leben ist hart – Sie sind Herter» bringt. Nicht, weil das nicht lustig wäre, sondern weil der oder die Betreffende meint, er oder sie sei so wahnsinnig originell. Und ich habe diesen Spruch schon circa 1600 mal gehört.

Das heisst aber nicht, vor allen Fettnäpfen gefeit zu sein. Als ich meinen Knabenkantoristen Emil mit Max, Luis und Ariel stehen sah und diese fragte: «Seid ihr die Detektive?», bekam ich von Emil einen Blick, der Enttäuschung, Mordlust, Depression und Verzweiflung in sich barg. Und auch ich war mir so originell, so witzig, so lustig, ich war mir so intelligent und spritzig vorgekommen, dabei war das so banal…

Der geniale Umberto Eco schreibt zu diesem Thema in einem seiner «Streichholzbriefchen»:

Seit ich klein war, bin ich meines Nachnamens wegen gewöhnlich zwei (und nur zwei) Arten von
Witzen ausgesetzt gewesen, nämlich: »Du bist (Sie sind) derjenige, der immer antwortet« und »Du hallst (Sie hallen) durch die Täler wider,« Während der ganzen Kindheit glaubte ich, durch einen merkwürdigen Zufall seien alle Leute, denen ich begegnete, Dummköpfe. Dann, in mein hohes Alter gelangt, habe ich mich überzeugen müssen, dass es zwei Gesetze gibt, denen sich kein menschliches Wesen entziehen kann: Die erste Idee, die einem in den Sinn kommt, ist immer die nächstliegende, und wenn man eine naheliegende Idee gehabt hat, kommt einem nicht in den Sinn, dass andere sie schonvorher gehabt haben könnten. Ich verfüge über eine hübsche Sammlung von Rezensionen, in allen Sprachen des indogermanischen Stammes, deren Titel sich zwischen »L'eco di Eco« (Das Echo von Eco) und »Un libro che fa eco« (Ein Buch, das Widerhall findet) bewegen. Allerdings habe ich hier den Verdacht, dass es diesmal nicht die erste Idee war, die dem Redakteur in den Sinn kam; es dürfte eher so gewesen sein, dass die Redaktion sich versammelt und vielleicht zwanzig mögliche Titel durchdiskutiert hatte, und plötzlich hatte sich das Gesicht des Chefredakteurs aufgehellt, und er hatte gesagt: »Freunde, mir ist eine phantastische Idee gekommen!« Und die Runde: »Chef, du bist ein Genie! Wie machst du das nur?» – «Das ist eine Gabe», wird er geantwortet haben.

Wie kommt es, dass wir immer wieder denken, dass wir einen neuen und originellen Witz gemacht haben? Dass wir eine originelle Idee hatten? Dass wir neuartig und einfallsreich sind?
Weil wir nur Berichte in der Art von «Vor mir war noch keiner draufgekommen und so machte ich das Geschäft meines Lebens» haben und keine andere.
Sehen Sie:
Marco P., der die Idee für den Plugiwumm, ein Küchengerät, hat, das wirklich jeder braucht aber noch niemand erfunden hat, geht zum Patentamt und meldet Plugiwumm zum Patent an. Und natürlich bekommt er das Patent und produziert und lizensiert und wird reich. Und er schreibt ein Buch darüber: «Wie ich den Plugiwumm erfand und reich wurde».
Aber:
Markus F., der den Plagiwamm erfindet, ein Gerät zum sparsamen Schälen von Kartoffeln, geht auch zum Patentamt. Dort erfährt er, dass der «Sparschäler» schon 1947 patentiert wurde, und sogar (zusammen mit der Schokolade, dem Reissverschluss und dem LSD) zu den wirklich wichtigen Schweizer Erfindungen zählt. Der Patentbeamte ist überdies so frech, Markus zu sagen, dass er eine echte Lachnummer sei.
Der Unglückliche wird nun über seine «originelle Idee» schweigen. Er wird hoffen, dass die Sache nicht publik wird, er wird sicher kein Buch mit dem Titel «Wie ich den Plagiwamm erfinden wollte und erstens nicht reich wurde und mich zweitens unendlich blamierte» schreiben.

Und da nur Menschen, die wirklich originell und einfallsreich waren, das veröffentlichen, denken wir, jedes Wortspiel sei witzig und komisch und noch nie dagewesen. Dabei wäre es so einfach, es gibt ja da so ein Ding, das nennt sich das Internet.
Sie haben einen lustigen Spruch zum deutschen Bundeskanzler in Bezug auf den Monatsnamen?
Googeln Sie! Es gibt sie schon tausendfach.
Sie haben eine witzige Schlagzeile zum Thema «Trump triumphiert»?
Googeln Sie! Das Netz ist voll davon.

Ich komme mit einer (sehr pfiffigen) Schülerin auf den Witz: «What is the math teacher's favorite dessert? – apple pi.» Und wir stolz.
Aber Google ernüchtert uns: Es gibt sogar ein T-Shirt mit diesem Spass, ein Apfel und ein Pi-Zeichen. Natürlich sind schon andere auf diese Idee gekommen…

Man ist nicht immer so originell, wie man denkt.



 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


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