Ach, war das vor 30 Jahren noch einfach, einem Politiker
etwas anzuhängen. Wenn man zum Beispiel nur ein wenig buddelte, fand man irgend
eine NS-Scheisse (sit venia verbo), die der Betreffende, hatte man ganz grossen
Dusel, dann auch noch leugnete, und dann begann ein wunderbares Spiel:
Historiker: SS!
Politiker: Ja, aber nur im Büro.
Historiker: SS-Wachmann in Dachau.
Politiker: Ja, aber nur 14 Tage und keine Mitwirkung an
Morden.
Historiker: 2 Jahre und nachweislich 2000 in die Kammern
geführt.
Dann war der Rücktritt fällig, abgesehen davon, dass die SS
niemand zum Briefeschreiben aufnahm und das jeder, der in einem KZ arbeitete,
auch an den Morden beteiligt war.
Fand man nichts in der dunklen Vergangenheit, fand man
irgendetwas anderes: War der gute Mann vielleicht im Oscar Wilde gesichtet worden, Hand in Hand mit einem knackigen Boy?
Hatte er eventuell von seinem Grundrecht der Meinungsfreiheit Gebrauch gemacht
und – hässlichstes aller Worte – demonstriert? (Denn demonstrieren taten nur
Staatsfeinde.) Liess sich möglicherweise ein Foto auftreiben, auf dem er kifft?
Heute ist es sehr, sehr schwer eine Politikperson in den
Schmutz zu ziehen. Wenn er nicht gerade volltrunken Auto fährt und bei der
Kontrolle den Polizisten als blöden Hund bezeichnet, hat man nicht viele
Möglichkeiten: Für eine braune Vergangenheit sind die Typen schlicht und
einfach zu jung. Schwulsein ist kein Problem mehr und selbst die Kanzlerin geht
an Demonstrationen. Und Kiffen? Meine Güte, Jugendsünde, wer hat das nicht
schon einmal probiert…
An so einem Musterbuben wie dem Kretschmann hätten sich
allerdings die Strategen der Gegenpartei auch schon vor 30 Jahren sämtliche
Schneide-, Backen- und Weisheitszähne ausgebissen: Brav, bieder, treuer
Familienmensch, weder schwul noch bi, erzkatholisch, Laienfunktionär und
Kirchenchorsänger. Schon damals hätten die CDU-Werbeleute sich die Haare
gerauft, dass die Grünen einen besseren Katholiken als sie selber haben.
So ist es zu verstehen, dass Alt-Ministerpräsident Öttinger
seine Partei warnt, im Wahlkampf personell gegen Winnie vorzugehen. Der Mann, so
Ötti im Interview, sei zu be- und geliebt, sei so sehr everbody’s darling, dass
der Schuss nur nach hinten losgehen könne. Man solle ihn, so der Altmini
wörtlich, nicht als „Bösen Buben“ handeln. Recht hat er. Das Schlimmste, was Winnie in den letzten Monaten gemacht hat, war, dass er in der Missa Sanctae
Juliae von Boccone falsch eingesetzt hat, aber soll man davon nun ableiten,
dass Kretschi auch im Landtag den Ton nicht trifft, sich im Ton vergreift,
seine(n) Part(ei) nicht im Griff hat?
Was Ötti allerdings nicht benennt, ist die Alternativstrategie:
Wenn das Ich-hänge-dir-was-an, wenn das Wir-stellen-dich-bloss nicht geht, was
ist die andere Möglichkeit?
Die andere Möglichkeit ist die Sachebene. Aber das ist
natürlich eine schwierige Sache. Wenn sich einer im Musterländle hinstellt und
laut ruft: „Alles läuft schief!“, dann blicken die Leute am Kaiserstuhl, im
Kraichgau, im Schwarzwald und auf der Alb von ihrer emsigen Arbeit auf und
fragen sich: „Was denn? Die Wirtschaft boomt, es gibt Stellen und
Ausbildungsplätze, wir sind fleissig und sauber und innovativ, es werden
Strassen und Häuser und Windkraftwerke gebaut, alles läuft doch…“
Und wenn doch eine sagt: „Na, x und y und z könnten besser
gehen“, dann müsste man ja zeigen, dass man es besser KANN.
Ausserdem haben sich Politicker (sic, siehe Kreisler) so oft
bei Sachfragen blamiert, dass sie lieber die Finger davon lassen. Da wollte
einer die A345 sechsspurig, was einen Rückbau bedeutet hätte, denn sie hatte
schon acht; da wollte eine die Institute für Kybernetik und Hermeneutik, ebenso
die für Medienwissenschaften und Mediävistik zusammenlegen, da wollte man
Flughäfen bauen, die so nahe an anderen gewesen wären, dass die Maschinen
direkt auf die Rollfelder des Nachbarflughafens geglitten wären.
Nein, bei Sachfragen ist die Union nicht die Stärkste,
deshalb hat sie auch ein Personalprogramm: MUTTI.
Nur steht Mutti halt als Gegnerin für Kretschi nicht zur
Verfügung.
Um an die Macht zu kommen, bliebe für die CDU im Südwesten
nur eine Lösung:
Winnie muss die Partei wechseln.
Denn wie damals bei Helmut Schmid sagen ja viele: Ein toller
Typ, nur in der falschen Partei.
Es heisst also: Nicht Dreck auf sein Haupt, sondern Honig
ums Maul, vielleicht lässt er sich ja abwerben. Katholisch genug ist er ja.