Ja, ich war
wieder in England und ja, ich war wieder in Nottingham. Mir hat es da letztes
Jahr gefallen und die Robin Hood-Stadt bietet einen idealen Ausgangspunkt für
Touren in die East Midlands. Und wie so oft werde ich keinen Reisebericht
schreiben, verweise wie immer auf die gängigen Reiseführer, Marco Polo oder
DuMont, verweise auf die Internetseiten von Nottinghamshire, Derbyshire oder
Lincolnshire, verweise also auf Leute und Schreiber, die mehr wissen und
bessere Tipps geben, nein, ich nehme Begebenheiten und Streiflichter zum
Anlass, über das Menschlich-Allzumenschliche nachzudenken.
Ich bin
dieses Mal nicht geflogen, sondern mit dem Zug gefahren. Das geht eigentlich
ganz hurtig und ist ein lustiges Abenteuer. (Für die Unkundigen: Basel-Paris
Gare de Lyon mit dem TGV Lyria / Bahnhofwechsel zum Gare du Nord / vom Gare du
Nord mit dem EUROSTAR® durch den Kanaltunnel nach London St. Pancras / von
genau diesem Bahnhof nach Nottingham Central.) Kleine Schwierigkeit war, dass
man mir in Basel kein Ticket ab London verkaufen konnte und eine
Onlinebestellung irgendwie auch nicht klappte, Kaspersky hielt die Homepage der
East Midlands Railway anscheinend für eine gefährliche Sache aus dem Mittleren
Osten. Ich brauchte also ab St. Pancras eine Fahrkarte. Was kein Problem sein
sollte, es gibt genügend Automaten, also hurtig zur Ticketmaschine und los
ging’s:
Die
Oberfläche bot diverse Destinationen in England, Nottingham war nicht dabei,
aber es geht auch via Eingabe A-Z, war das geschehen, zeigte sich mir die folgende
Auswahl:
EAST MIDLAND
TRAINS ONLY
ANY
PERMITTED
Wissend wie
ich bin, wählte ich natürlich das Erste, denn in die Region um Nottingham fährt
nur die besagte Gesellschaft. Nun kam ich auf die nächste Oberfläche
PEAK
OFF-RETURN
RETURN ANY
DAY
SINGLE
Da ich nicht
am gleichen Tag zurückwollte, aber auch schon beide Tickets haben, wählte ich
selbstverständlich die zweite Variante und landete bei
RETURN 1st
Class 111.-
Das wollte
ich natürlich nicht, ich drückte aber mal drauf und bekam jetzt eine Übersicht
über alle Angaben, hinter jeder ein Button CHANGE. So, und jetzt kommt’s: Wenn
man dieses CHANGE bediente, wurde man ganz an den Anfang zurückgeworfen; gehen
Sie zum Start zurück, gehen Sie nicht über LOS, ziehen Sie keine 4000.- ein.
Ich versuchte das Ganze noch dreimal, schielte stets zum Schalter, wo eine
Schlange von 50 Leuten war, schielte auf die Uhr, mein Zug ging in 15 Minuten
und – kaufte ein Erste Klasse-Ticket. Und fuhr First Class an den Trent.
In
Nottingham hatte ich am nächsten Tag Zeit, das Ganze noch einmal
durchzuspielen. Die Lösung war, wie viele Lösungen, denkbar einfach: Wenn man
auf ANY PERMITTED ging, bekam man ein Billett der Zweiten Klasse von Nottingham
nach London (und natürlich auch retour). Ganz klar ein Fehler im System, ein
Fehler aber, und jetzt wird es spannend, den nur den oder die trifft, der oder
die weiss, dass Nottinghamshire von den East Midland Trains bedient wird. Alle
Unkundigen, Unwissenden, alle Neulinge und Greenhörner sparen 50 Pfund.
Wissen ist
also manchmal blöd.
Ja, manchmal
ist es richtig falsch, von einer Sache eine Ahnung zu haben. Manchmal steht
einem eine Orts- oder Sachkenntnis, eine zu viel gespeicherte Information
richtig im Wege.
Wenn zum
Beispiel ein Basler am Bahnhof von der Tramstation in die Bahnhofshalle
spurtet, verarbeitet sein Hirn blitzschnell die Tramlinien, die Kurse, die
diese fahren, die Gleise, die gleich belegt sein werden, er spurtet los und
wird von einem 2er überfahren, der wegen Bauarbeiten in Binningen nicht nach
rechts Richtung Markthalle, sondern nach links Richtung Peter Merian abbiegt.
Dem Ortsunkundigen, dem Nicht-ÖV-Fahrer, der Touristin und dem Touristen wird
das nicht passieren. Wissen kann also richtig (s.v.v.) scheisse sein, ja sogar
lebensgefährlich.
Das Phänomen
«Wissen hindert» ist sogar schon wissenschaftlich untersucht worden. Rolf
Dobelli berichtet darüber in seinem wunderbaren Buch über Denkfehler. Man legte
deutschen und amerikanischen Studenten Fragen vor wie z.B.
Wo hat es mehr Kinos?
a) Chicago
b) St. Paul
Nun lagen
die deutschen Studenten fast immer richtig, sie nahmen einfach die Stadt, die
sie kannten; St. Paul, die Hauptstadt des Bundesstaates Minnesota, die zusammen
mit Minneapolis die Twin Cities
bildet, kennen nur die Cohn Brothers-Fans aus dem Film Fargo. Die Amis aber kennen natürlich beide, und sie kommen nun ins
Grübeln: Hat vielleicht doch das kleinere St. Paul mehr Lichtspieltheater? Was
soll man sonst in dieser trüben Gegend auch machen? Ein eklatanter Teil der
Befragten gibt eine falsche Antwort.
Wissen kann
also manchmal richtig hinderlich sein.
Also
vergessen Sie ganz schnell alles, was Sie eben gelesen haben, die Verbindung
Basel – England, die East Midland Trains, vergessen Sie, wo der Zweier fährt
und die Twin Cities. Und vergessen Sie noch schneller den Namen Dobelli.
Sie wollen
doch am Leben bleiben.
Und kein
Geld verlieren.