Der Herbst steht vor der Türe.
Er soll draussen bleiben.Hören Sie mir auf mit dem Herbst, er ist die bescheuertste Jahreszeit. Man denke nur daran, dass das ganze Unglück ja dadurch entsteht, dass Persephone wieder zurück in die Unterwelt muss und ihre Mutter, die Göttin des Wachsens und der Fruchtbarkeit, in eine Depression verfällt und dann alles welkt. Also eine Zeit, in der alles den Bach (den Styx) hinuntergeht.
Im Herbst weiss man nie, was man anziehen soll, morgens und
abends ist es sibirisch kalt, wenn man aufwacht, hat man schon Eiskristalle in
der Nase und mummt sich in vierzehn Schichten, die man bis Mittag, wenn für
eine Stunde die Temperaturen wieder auf 34° klettern, abgelegt haben sollte,
man ist also die ganze Zeit am Strippen und ab Nachmittag am Anti-Strippen (?)
Mit dem Herbst kommt der Nebel, überall läuft man durch
weisse Suppe und knallt gegen Pfosten und Bäume, die man nicht sieht. Wenn sich
der Nebel einmal lichtet, dann nur, damit es regnen kann. Es regnet 48 bis 52
Stunden am Stück, es regnet sich aus und regnet sich ein, der Regen übt für den
Schnee, die noch blödere Form des Niederschlags, der dann um den 17. November
einsetzt, um dann bis Weihnachten wieder weggetaut zu sein.
Und dann das Laub! Diese dumme Angewohnheit der Bäume, ihren
Müll abzuladen! Überall fahren abgestorbene und abgeworfene Blätter herum,
verstopfen Dachrinnen und Abläufe, Sie schleppen das nasse Laub ins Haus, auf
Ihr Parkett, Sie finden Laub in ihren Taschen und in Ihren Laptops, in Ihren
Kleidern und in Ihren Spülmaschinen. Wenn Sie ein Haus besitzen, müssen Sie den
ganzen Tag Laub rechen und schaufeln, es sei denn, die Gemeinde schickt
Laubbläser vorbei, die Sie und Ihre Nachbarn um 6.00 aus dem Schlummer reissen,
es sind immer zwei, der eine bläst das Zeug immer dahin, von wo es der andere
gerade hergeblasen hat.
Jetzt kommen Sie mir bitte nicht mit „Herrlicher Herbsttag
im Jura (oder auf der Schwäbischen Alb)“. Ja, so ein Tag mit azurblauem Himmel,
strahlender Sonne und dem Wald, der braun, gelb, rot, blau, grün und pink
leuchtet und inmitten dessen die weissen Felsen noch weisser erscheinen, ist
etwas Wunderbares. Aber wie oft habe ich das Phänomen „Herrlicher Herbsttag“
erlebt? Vielleicht 10mal in 50
Lebensjahren. Schlechte Quote. Denn es ist doch so: Ist so ein Wetter, ist man
eben nicht im Jura (oder auf der Alb) sondern bei einer Fortbildung in Kloten,
oder in Wanne-Eickel, und ist man mal im Jura, ist dort Nebel oder Regen. Ist
doch so.
Und kommen Sie mir bitte jetzt auch nicht mit
Herbstgedichten. Unsere Dichter mochten den Herbst auch nicht, sie tun nur so
romantisch, man muss nur genau lesen.
Georg Binding schreibt über den Apfel:Ob er hält?
Ob er fällt?
Da wirft ihn geschwind
Der Wind
In die goldene Welt.
Schöner Rhythmus, OK, aber wenn jemand diesen Apfel an den Kopf bekommt? Äpfel, Birnen und Nüsse machen empfindliche Beulen, wenn sie einem herbstlich an die Stirne krachen, und wenn sie einfach zu Boden fallen, dann matschen sie da und ziehen Fliegen an.
Rilke schreibt:
Herr, es ist Zeit.
Der Sommer war sehr gross.
Das können wir ja dieses Jahr eh vergessen, der Sommer WAR NICHT gross, der war klein, mini, verhutzelt, eingeschrumpelt, das war ein Sömmerlein und kein Sommer, insofern stimmt das ganze Gedicht nicht, aber lesen wir ein paar Zeilen tiefer:
Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr.
Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben.
Tröstlich, nicht? Gut, wer kein Haus hat, muss auch kein Laub rechen, siehe oben, aber das andere? Status auf „Single“ stellen bis Mai? Da könnte Raini doch gleich schreiben: Nimm dir einen Strick, es gibt ihn auch in schönen Herbstfarben, braun, gelb, rot, blau, grün und pink? Oder: Stürze dich von einem der weissen Jurafelsen, wenn du Glück hast, landest du auch auf einem, dann wirkt das Rot noch besser?
Storm ist mir da lieber:
Der Nebel steigt. Es fällt das Laub.
Schenk ein den Wein, den holden!
Wir wollen uns den grauen Tag
Vergolden, ja, vergolden.
Das ist doch ein Wort: Alkohol. Der Herbst ist nur mit Alkohol zu ertragen. Und an das werde ich mich halten. Wenn die Temperaturen spinnen und das Laub herumspinnt, wenn ich im Nebel wieder einmal gegen einen Pfosten gerannt bin und der Regen sogar in meine Tasche fliesst: Ich werde saufen. Rotwein. Whiskey. Portwein. Sherry. Und wenn ich dann auf dem Weg ins Bett auf die Nase fliege, halte ich mich wieder an Rilke:
Wir alle fallen.
Diese Hand da fällt.
Und sieh dir andre an: Es ist in allen.
Geht also auch anderen so.
Der Herbst steht vor der Türe.
Er soll draussen bleiben. Na denn: Prost.