Dienstag, 31. Dezember 2024

Klolektüre: Die 20 Glückstipps von Laura Karpfen

Liebe Leserin, lieber Leser

Wissen Sie, was eine «Klolektüre» ist? Können Sie sich darunter etwas vorstellen?
Nun, wahrscheinlich ist es mit «Klolektüre» so wie mit «Vogel» oder «Klassische Musik»; bei diesen Dingen weiss man irgendwie genau, was sie sind, wenn man aber eine genaue Definition versucht, dann scheitert man total, aber wirklich. Wenn man «Vogel kann fliegen» sagt, hat man ja schon den Pinguin aussen vor gelassen, der ja sicher ein Vogel ist. Und bei «Klassischer Musik» liegt man mit «ernster Musik aus alter Zeit» auch völlig daneben, denn die Tanzmusik der Renaissance, also Disco um 1590, das zählt ja auch dazu.
Und «Klolektüre»? «Minderwertige Literatur, die man nur überfliegt»? Gut, aber man kann – wenn man Edgar Wibeau heisst und bei Plenzdorf vorkommt – natürlich auch die «Leiden des jungen Werther» auf der Toilette lesen.

Vielleicht kommen wir mit dem Prototypen-Modell weiter, das der Semantik ja eine wertvolle Idee beschert hat. Hier setzen wir einen Prototyp, also etwas, das 90% der Menschen als typisches Mitglied der Gruppe sehen, in die Mitte eines Gebildes mit konzentrischen Kreisen. Je mehr sich ein anderes Mitglied in seinen Merkmalen von diesem Prototyp entfernt, umso weiter aussen steht es. Beispiel? Bei «Vogel» steht etwa Taube oder Amsel in der Mitte, und der Kiwi oder Pinguin weiter aussen. Bei «Klassischer Musik» haben wir sicher Mozart im Zentrum.

Und bei «Klolektüre»? Nun, hier wäre Goethe sicher weit, weit, weit, weit aussen und die vielleicht die «Glückspost» im Zentrum.
Oder die «Gala».
Oder die «Frau im Spiegel».
Die «Schweizer Illustrierte» nicht mehr ganz so zentral.

Wir bekommen diese Klolektüre von einer ehemaligen Nachbarin und «Glückspost», «Gala», «Frau im Spiegel» und «Schweizer Illustrierte» stapeln sich auf einem Hocker neben dem Waschbecken. Seit wir diese Stapel erhalten, bin ich nun immer über die wichtigen Dinge informiert, über die Sorgen und Nöte der gekrönten Häupter, über die Glücksrezepte der Stars, über die Wohnungen der Popgrössen und über die Geheimnisse der Reichen und Schönen.

In einer dieser Klolektüren stiess ich nun auf ein Glückskonzept einer Sängerin, ein Glückskonzept in mehreren Punkten, das ich hier (in Teilen) kommentieren möchte. Damit es für die Dame nicht ganz so peinlich wird, nennen wir sie um in
Laura Karpfen
Laura empfiehlt nun die folgende Dinge (in Auswahl)

Punkt 1: Sich auf das Positive im Alltag fokussieren.
Wunderbarer Ratschlag, wenn Sie also im Dezember die Stelle verloren haben, ihre Frau abgehauen ist, die Wohnung auf den 1. Mai gekündigt wurde, Sie wieder zur Flasche gegriffen haben, aber die Pflanze auf dem Fensterbrett aber endlich blüht, dann schauen Sie diese Blüte an. Heute. Morgen. Übermorgen. Arbeitsstelle, Frau, Wohnung, Saufen, alles ist dann nicht mehr so schlimm.

Punkt 3: Kreativ tätig sein, sei es durch Malen, Stricken oder Töpfern
Bitte nicht! Wirklich nicht! Denn Menschen, die solche kreative Schübe haben, neigen dann dazu, ihre Machwerke unter die Leute zu bringen, und die Verstimmung, die Ihr Sonnenuntergang in Öl auf Leinwand, Ihre kratzenden Socken und Ihre Blumentöpfe im Antik-Stil bei Menschen auslösen, steht in krassem Widerspruch zu zwei Punkten:

Punkt 9: Wertvolle Beziehungen zu anderen aufbauen. Das bereichert.
und
Punkt 11: Sich mit glücklichen Menschen umgeben. Glückliche Menschen wirken ansteckend.

Spannend sind aber auch die Punkte, die man eben einem Star wie Laura Karpfen nicht ganz, nicht vollständig und nur in Teilen glaubt:

Punkt 8: Sich selbst sein. Sich nicht von der Anerkennung anderer abhängig machen.
Abgesehen von der gewöhnungsbedürftigen Grammatik («sich selbst sein» statt «man selbst sein»), nimmt man Frau Karpfen das nicht ganz ab. Ist sie als Schlagersternchen nicht sehr wohl von der Anerkennung von anderen abhängig? Ich meine, wenn niemand sie anerkennt, dann bekommt sie auch keine Auftritte und Verkäufe…

Punkt 10: Sich nicht mit anderen vergleichen. Denn es gibt immer jemand, der ein grösseres Haus hat oder ein schöneres Auto.
Und es gibt Menschen, die in den Charts über einem stehen. Und ich denke, wenn Laura Karpfen auf Platz 8 ist, weiss sie ganz, ganz, ganz genau, wer auf 7, 6, 5, 4, 3, 2, und vor allem auf 1 steht…

Ach, Laura Karpfen, insgesamt sind es 20 Punkte – und alle sind der grösste Schwachsinn.
Aber ich werde jetzt kreativ werden. Ich werde stricken.
Und zwar ein Klorollenhütchen.
Das passt auf unserem Klo wunderbar zu deinem Gesicht auf der «Glückspost».

In diesem Sinne: Einen guten Rutsch und einen frohen Jahresanfang!!!!!!
Mit oder ohne Glückstipps.



 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Freitag, 27. Dezember 2024

Musik zu Weihnachten

Liebe Leserin, lieber Leser
hatten Sie eigentlich schöne Musik an Weihnachten? Weihnachtliche Musik? Musik zum Christfest? Wenn ja, dann war das sicher schön.

Obwohl…
Was nun wirklich weihnachtliche Musik ist, da gehen die Meinungen ja sehr auseinander. Wenn man eine Umfrage auf der Strasse machen würde, dann würden die Antworten von «Jauchzet, Frohlocket!» über «Stille Nacht» und «O du fröhliche» bis zu «Jingle Bells» und «Last Christmas» reichen.
Einig wären sich alle Befragten wahrscheinlich in einem: Musik zu Weihnachten, weihnachtliche Musik ist harmonisch und melodiös.

Hatten Sie eigentlich schöne Musik an Weihnachten? Weihnachtliche Musik? Musik zum Christfest? Was verbinden Sie mit diesen Begriffen? Haben Sie Bach oder Corelli gehört oder gar Schoenberg?

Man kann bei der Klassischen Musik ja die ganze Sache so auf den Punkt bringen, dass die Zuhörerinnen und Zuhörer jegliche Art von Barockmusik als EXTREM weihnachtlich empfinden und jede Art von Musik NACH 1900 NICHT. Warum das so ist, weiss ich nicht, vielleicht denken wir, weil Mister Corelli eben dieses Concerto grosso in g-Moll geschrieben hat, das in einer Pastorale endet (kennen Sie: daa-da-daa-da-dadada-daa-da-dadada-daa-da…), sei jedes seiner Concerti grossi ein Weihnachtsstück, bei Bach und Händel ist das ähnlich.
Warum wir so denken, da könnte man sich jetzt lange austauschen, vielleicht erliegen alle Zuhörer beim Anhören von Telemann und Purcell einer Art weihnachtlichen Synästhesie – und wir wissen, dass Synästhesie sich auf dem schmalen Grad zwischen Genialität und absolutem psychischem Irrsinn bewegt – einer Art weihnachtlicher Synästhesie, die Barock-Kammermusik und Renaissance-Doppelchörigkeit sofort mit Duft nach Zimt, Anis, Nelken und Mandeln und mit dem Anblick von Kerzen und Tanne verbindet.

Umgekehrt wollen wir natürlich nix Modernes zu Weihnachten. Ein befreundeter Chorleiter hatte zum 25. Dezember 2024 in seiner Kirche Anton Webern Kantate I geplant. Er fand, das passe sehr gut, denn im Evangelium ginge es ja um das Wort («Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und Gott war das Wort…») und im Kantatentext von Hildegard Jone auch («Zündender Lichtblitz des Lebens schlug ein aus der Wolke des Wortes…»). Sein Pfarrer hatte das genehmigt, weil er das «N» im Namen des Komponisten nicht gehört hatte und dachte, es sei ein Stück von CARL MARIA VON geplant. Ich konnte meinem Kumpel das (wunderbare und herrliche) Werk ausreden, es hätte zu mindestens 100 Kirchenaustritten geführt, eine Anzahl, die sich in dieser Zeit keine Gemeinde mehr erlauben kann.

Musik zu Weihnachten…
Viele der populäreren Stücke sind ja eigentlich gar keine Weihnachtssachen mehr. In «Jingle Bells» geht es ums Schlittenfahren, im meistverkauften Christmas-Song aller Zeiten geht es um «White Christmas» (also auch um Schnee), und in «Last Christmas» und in «Alle I want for Christmas» geht es um die Liebe.
Hier hat die Plattenindustrie – das muss man jetzt einmal so ganz fies und polemisch und pointiert sagen – das erreicht, was die Nazis nicht geschafft haben: Das Christliche und Jesushafte aus den Weihnachtsliedern zu verbannen. So wurden dem schönen Lied «Es ist für uns eine Zeit angekommen» die Verse, die vom Heiland berichten, gestrichen und Winterverse über das weite Feld und den Schnee eingefügt, Verse, die übrigens immer noch in der BRD kursieren, ich habe das eigentliche Lied erst in der Schweiz kennengelernt.
Und dann schrieb man ein unsägliches Liedmachwerk, das auch immer noch in den Liedbänden des Bärenreiter-Verlags steht:

Hohe Nacht der klaren Sterne, die wie helle Zeichen steh'n
Über einer weiten Ferne, d'rüber uns're Herzen geh'n
Hohe Nacht mit großen Feuern, die auf allen Bergen sind,
Heut' muss sich die Erd' erneuern, wie ein junggeboren Kind!
Mütter, euch sind alle Feuer, alle Sterne aufgestellt;
Mütter, tief in euren Herzen, schlägt das Herz der weiten Welt!

Damals hat das nicht funktioniert, die meisten blieben bei ihren Luther-Chorälen und bei der Stillen Nacht, bei Krippe und Propheten, bei Lukas und den Hirten, heute geht die Saat auf, und wir trällern «Jingle Bells» und «White Christmas» und «Last Christmas» und «All I want» und merken gar nicht, dass das Jesuskind längst aus unseren Liedern verschwunden ist.

Liebe Leserin, lieber Leser
hatten Sie eigentlich schöne Musik an Weihnachten? Weihnachtliche Musik? Musik zum Christfest? Wenn ja, dann war das sicher schön.
Ich hatte übrigens «Jauchzet, Frohlocket» am 24. Und das Schöne war, die Musik war haargenau so, wie ich sie gerne habe.
Wie das ging?
Nun, ich habe selber dirigiert.

Dienstag, 24. Dezember 2024

Frohe Weihnachten! Wer heute liest, wird Bundeskanzler


Frohe Weihnachten!

Schön, dass Sie heute Zeit finden, meinen Post zu lesen. Ich gehe einmal davon aus, dass das so ist – es kann ja auch sein, Sie lesen den Text erst am 25. Oder am 26. Oder noch später. Aber wir nehmen einmal an, Sie lesen HEUTE. Also wirklich am Heiligen Abend.

Wenn dem so ist, dann heisst das, dass Sie ziemlich organisiert sind. Denn Sie haben Zeit und Musse – was ja andere Leute nicht so haben. Sie haben also Ruhe und Möglichkeit.
Während andere Leute in der Stadt herumrennen und die letzten Geschenke horten, von Douglas zu Thalia und von Thalia zum Kaufhof und vom Kaufhof zurück zu Douglas (Michelle braucht ja auch noch was!), haben Sie Zeit die Dienstag-Freitag-Glosse zu lesen.
Während andere Leute verzweifelt ihren Christbaumständer suchen, der scheinbar im letzten Jahr wieder den Platz gewechselt hat und irgendwo im Keller verschwunden ist, sich irgendwo zwischen den Kisten verborgen hat, haben Sie Musse die Dienstag-Freitag-Glosse zu studieren.
Während andere Leute kurz vor dem Wahnsinn im Supermarkt herumrennen und merken, dass das alles mit den Weihnachtsmenüs für den 24. und 25. und 26. nicht so klappt (Karpfen hätte man vorbestellen müssen und Sekt hat es keinen mehr und überhaupt bekommt man den ganzen Mist ohne 20 starke Sherpas nicht nach Hause…), haben Sie Ruhe die Dienstag-Freitag-Glosse zu anzuschauen.
Während andere Leute probieren, noch ein Bahnticket nach Hamburg-Dammtor zu ergattern, was schier unmöglich ist, selbst in der Ersten Klasse (auch das wusste man seit langem, denn Mama wohnt seit 2001 dort und Heiligabend ist auch immer am gleichen Termin), haben Sie Kapazität bei der Dienstag-Freitag-Glosse zu sein.

Frohe Weihnachten!
Frohe und gesegnete Weihnachten!

Sie, ja, genau Sie wären eigentlich die geeignete Bundeskanzlerin oder der geeignete Bundeskanzler der BRD.
Warum? Nun scheinbar sind Sie in der Lage, zu planen und für die Zukunft nachzudenken – und das unterscheidet Sie von sämtlichen Politikerinnen und Politikern.
Man weiss von jeder Brücke und jeder Bahntrasse und jedem Schulhaus, wann das Ding gebaut wurde und also auch, wann es einstürzt oder nicht mehr funktioniert.
Man weiss eigentlich auch, dass Kinder, die heute geboren werden, irgendwann einen Kita-Platz brauchen und später eine Grundschule und noch später ein weiterführendes Lerninstitut.
Man wusste auch, dass das Auto als Grundstein einer Volkswirtschaft nicht ohne Probleme ist. Schon in den 80er Jahren brachte der Chef von BMW das auf den Punkt: «Es gibt», so sagte der gute Mann in einem Interview, seinen Namen habe ich vergessen, «schon viel, viel, viel zu viele Autos auf der Welt, aber immer noch viel, viel, viel zu wenig BMWs.»
Und die Digitalisierung…
Ach, die Digitalisierung…
Die Digitalisierung…
Es gab Politikerinnen und Politiker, die hofften, dass dieses seltsame Phänomen irgendwann wieder verschwinden würde, so wie eine dunkle Wolke, ein Gewitter, so wie ein Virus oder Bakterium, es gab wenige, die warnten, dass den digitalen Strukturen die Zukunft gehöre und man sich drauf einstellen müsse.
Zum Beispiel mit Glasfasern und Handymasten.
Und Servern – und vor allem Regeln!
Auf den Punkt gebracht:
Politikerinnen und Politiker scheinen die Menschen zu sein, die heute noch zu Douglas rennen, die ihr Ticket noch nicht haben, heute noch einen Karpfen suchen und den Christbaumständer nicht finden.
Und wenn Sie das Gegenteil sind, wären Sie doch ideal.

Frohe Weihnachten!
Frohe und gesegnete Weihnachten!

Also: Partei gründen und antreten!
Was sagen Sie?
Sie haben keine Chance?
Das macht nichts, wir haben ja das, was die eine Dame als «Kanzlerkandidaten-Inflation» bezeichnet, alle stellen Spitzenkandidatinnen und Spitzenkandidaten auf. Und da spielt es keine Rolle, ob sie als Spitze unter den 5% liegen (das teilen Sie mit Lindner), oder ob Sie knapp über 5% sind (teilen Sie mit Wagenknecht) oder ob niemand mit Ihnen koalieren will (teilen Sie mit Weidel).
Wenn Sie heute – also wirklich heute, am 24.12.! – diese Glosse lesen, sind Sie prädestiniert für ein Spitzenamt.

In diesem Sinne:
Fröhliche Weihnacht überall!
Merry Christmas!

Freitag, 20. Dezember 2024

Bitte kein Wahlkampf im Weihnachtsgeschäft!


Der deutsche Einzelhandel
vertreten durch
Handelsverein Deutschland
Am Binsendamm 1D
10123 Berlin

An die
deutschen Politiker
Bundestag
Strasse der BRD 16
10777 Berlin

OFFENER BRIEF

Berlin, späte Adventszeit 2024

Liebe Polit-Profis

Wir haben eine grosse Bitte an euch: Macht uns bitte den Weihnachtsverkauf nicht kaputt.

Wie Ihr vielleicht wisst, ist die Zeit kurz vor dem Heiligen Abend eine extrem wichtige Zeit für den Einzelhandel. Niemand hat da Urlaub, alle sind da, sogar Aushilfen, alle Regale sind voll und wir machen bis zu 20% des Jahresumsatzes in ein paar Tagen.
Das wisst ihr vielleicht auch nicht, weil natürlich niemand von euch Geschenke einkauft, das machen eure PAs und PRs, eure persönlichen Referenten und Assistenten. Und manchmal kommt es zu blöden Szenen, weil der Herr Minister oder die Frau Ministerin vergessen hat, was sich in dem rot oder blau oder grün oder schwarz beschleiften Päckchen befindet.

Liebe Polit-Profis, dem Einzelhandel geht es schlecht.
Das habt ihr vielleicht nicht mitbekommen, aber es ist noch blöder: Ihr seid nicht ganz unschuldig daran, dass es dem Einzelhandel schlecht geht. Immer wieder macht das Wort von der «Konsum-Unlust» der Leute die Runde, und da fragt man sich natürlich, warum die Bevölkerung so «konsum-unlustig» ist. Es gibt da einen klaren Grund: Die Menschen haben zu wenig Geld und Zukunftssorgen. Die Mieten steigen, die Lebensmittel werden teurer und die Versicherungsprämien klettern, dann bleibt halt wenig für die Präsente unter dem Weihnachtsbaum.
Es wäre toll gewesen, ihr hättet die Leute ein wenig entlastet, so 100 Euro für jeden Weihnachtsgeld, das wäre doch etwas gewesen. Gut, 8 Milliarden hätte das gekostet, aber wenn man 100 für Panzer hat, dann müsste das doch auch gehen…

Nun aber unsere grosse, grosse, grosse, grosse Bitte:
Bitte fangt nicht VOR dem Weihnachtsfest mit dem Wahlkampf an!

Man stelle sich vor:
Ein nette ältere Dame strebt zu ihrer Buchhandlung, um für ihre 8 Enkel noch ein paar Büchlein für unter den Gabentisch zu besorgen. Und dann stehen da die Typen von der CDU und versuchen sie zu überzeugen, dass die Krise in Deutschland erst durch die Ampel kam und die CDU keinerlei Schuld hat und die Rettung aus der Krise ist – und die ältere Dame kehrt um und kauft keine Bücher, sondern häkelt jedem Enkelkind schnell einen Schal.
Eine Katastrophe.

Man stelle sich bitte vor:
Ein netter jüngerer Herr strebt zu einer Parfümerie, um für seine Angebetete noch ein Flacon Artemis® von Dior® zu erstehen. Und dann stehen da die Typen von den GRÜNEN und rechnen ihm den CO2-Abdruck der Herstellung von Artemis® von Dior® vor – und die jüngere Herr kehrt um und bestellt Artemis® von Dior® bei Amazon, Brack, Galaxus oder sonstwo.
Eine Katastrophe.

Man stelle sich vor:
Ein Paar, er Kenianer, sie Chinesin strebt in ein Delikatessengeschäft, um für den Weihnachtsabend einzukaufen, Freunde sollen kommen und er und sie wollen kochen – kenianische Vorspeisen und chinesische Hauptspeise und ein deutsches Dessert (!). Und dann steht da die AfD und dann geht man und frau natürlich keinen Schritt weiter, obwohl man denen ja erklären könnte, wie anständig und integriert und deutsch man ist, man hat einfach keine Lust dazu, und man und frau kehrt um und kauft die Zutaten im Supermarkt.
Eine Katastrophe.

Nein.
Nein.
Bitte, liebe Politikerinnen und Politiker:
Startet mit dem Wahlkampf erst im Januar, das reicht völlig. Aber wenn ihr schon die Wirtschaft in der BRD kaputtmacht und so wenige Geld für Weihnachtsgeschenke haben, dann wimmelt uns die wenigen nicht ab.

Eure Einzelhändler

Dienstag, 17. Dezember 2024

Lieber Weihnachtsmann

Lieber Weihnachtsmann

Ich habe dir schon sehr lange nicht mehr geschrieben. Das liegt nicht nur daran, dass ich immer so viel zu tun habe. Sondern es hat auch damit zu tun, dass du – so glaube ich – immer ein wenig Schwierigkeiten mit der Wunscherfüllung hast.

Ich weiss nicht, ob du dich erinnerst, aber das erste Mal habe ich dir mit acht Jahren geschrieben. Mein Wunschzettel war damals der folgende:
· ein grosser Steiff-Elefant
· das Gesamtwerk von Wolfgang Borchert
· einen coolen Nike-Hoodie

Was ich bekam, erschreckte und erzürnte mich. Es erschreckte und erzürnte mich, weil man mich so missverstanden hatte.
Ich erhielt einen kleinen Teddybären (immerhin Steiff, mit Knopf im Ohr, das muss ich dir hoch anrechnen), weil so ein kleiner Teddy besser «zum Kuscheln» geeignet sei. Ich wollte doch kein Tier «zum Kuscheln»! Ich wollte ein Riesentier, um darauf zu reiten, um mich wie ein Inderfürst im 400. Jahrhundert vor Christus dem Mazedonier entgegenzustellen – und ihn in die Flucht zu schlagen. Oder um die «Morning Parade» aus dem Dschungelbuch nachzuspielen.
Ich erhielt das Gesamtwerk von Enid Blyton («5 Freunde», «Hanni und Nanni» usw., die Ü50-Leute werden sich vielleicht erinnern), weil du der Meinung warst, Trümmerliteratur sei nun wirklich nix für ein Kind.
Und zum Anziehen? Einen Pullover im Strick-Zopf-Stil, der eine scheussliche braune Farbe hatte und zudem ganz schrecklich kratzte.

Ein Jahr später hatte ich gelernt. Ich hatte gelernt, dass konkrete Wünsche einen sehr unglücklich machen können. Also wünschte ich ganz allgemein:
· irgendetwas Richtung Stofftier
· irgendetwas zum Lesen
· irgendetwas zum Anziehen
Und – siehe da, erstaunlich! – mit dem Steiff-Äffchen, der «Schatzinsel» und dem «Letzten Mohikaner» und einem blau-weiss gestreiften Benetton-Pulli konnte ich doch ganz zufrieden sein…

Neun Jahre später, Weihnachten 1983, stand auf meinem Wunschzettel nur eine einzige Sache
· Studienplatz Schulmusik
Und du, lieber Weihnachtsmann, hast meinen Wunsch erfüllt. Fast sogar ein bisschen zu sehr, denn im Herbst 1985 hatte ich dann mehrere Studienplätze für das «Gymnasiale Lehramt Fach Musik» – was übrigens gar nicht so selten vorkam, da man sich an mindestens 5-6 Instituten bewarb.

Später funktionierte das mit dem Wunschzettel
· Studienplatz Künstlerische Ausbildung Chorleitung
dann aber nicht so gut, lieber Weihnachtsmann! Das harzte in Freiburg, ging schief in Stuttgart, das wurde ein Fiasko in Karlsruhe und ging in Frankfurt in die Hose, aber – war das dein Einfluss? – in Trossingen war das dann eh das beste bei Manfred…

Dann habe ich dich lange nicht behelligt. Ich war zufrieden mit meinem Leben und der Meinung, das ein Herz für die Welt viel wichtiger sei als materielles Gut. So schrieb ich nach langen Jahren 2018 wieder einmal an dich mit den folgenden Wünschen
· Frieden für die Welt
· Rettung des Klimas
· Gesundheit und Nahrung für alle
· Toleranz und Liebe
· Bildung für alle Kinder

Wenn ich so die letzten Jahre besehe, dann muss ich sagen, dass ich mit meinen humanistischen, menschenfreundlichen und nicht-materiellen Wünschen wohl bei dir danebengelegen bin. Denn andere Leute wünschten sich allerlei Konsum-Scheiss (sorry) von dir – und den hast du geliefert.
Ich hatte mir Frieden gewünscht und mein Kumpel Otto einen neuen Ferrari. Das Rennauto hast du gebracht, aber auch so viel Kriegsschauplätze auf der Erde wie selten.
Meine Freundin Hannelore wollte 10 Flacons ihrer Lieblings-Luxus-Parfüms und du hast ihr alle (!!!!) gegeben. Und damit meinen zweiten Wunsch doppelt nicht erfüllt, denn natürlich reisten alle Flacons mit irgendeinem Düsenjet an.
Horst wollte einen Armani-Anzug, der selbstverständlich kam. Zum Thema Gesundheit muss man ab 2019/2020 ja nix sagen.
Ich könnte gerade so weitermachen, muss aber insgesamt feststellen: Mit Wünschen, die Weltfrieden und Wohlergehen der Welt betreffen, hast du Probleme.

Lieber Weihnachtsmann,
ich habe dir schon sehr lange nicht mehr geschrieben. Und das letzte Mal war ja irgendwie Panne. Aber vielleicht war das auch zu viel. Deshalb hast du dieses Weihnachten eine Auswahl. Bringe doch in der Heiligen Zeit 2024
· Liebe und Frieden für alle ODER
· Rettung des Klimas ODER
· Brot für die Welt ODER
· Gesundheit

Irgendetwas muss doch zu machen sein.









 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Freitag, 13. Dezember 2024

kleeesk

kleeesk

Ich bin sehr stolz auf dieses Wort, das ich im letzten Post, mit dem letzten Post und für den letzten Post kreiert habe. Denn dieser Begriff, den ich im letzten Post, mit dem letzten Post und für den letzten Post erfunden habe, reiht sich in ein, sowohl in die Wörter mit drei «e» als auch in die Begriffe mit «isch», «esk» oder «oid».

kleeesk

Vielleicht muss ich für diejenigen, die das Wort im letzten Post nicht gelesen haben, erklären, was ich damit gemeint habe:
Ich habe eine Graphik beschrieben, die so aussieht wie ein Bild des Künstlers Paul Klee, «kleeesk» hat also nichts mit der Pflanze Klee zu tun. Also auch nichts mit Glück, das mit dem Vierblättrigen Kleeblatt einhergeht oder mit dem grünen Klee, über den jemand gelobt wird.

kleeesk

Es gibt ja gar nicht so viel Wörter mit drei E, die wirklich Sinn machen. Natürlich kann man im Deutschen – im Gegensatz zu fast allen Sprachen – Komposita aus allen und aus beliebig vielen Wörtern bilden, man denke hier nur an den Donaudampfschiffahrtsgesellschaftskapitän, der ja eine grosse Berühmtheit erlangt hat.
Aber nicht alle Komposita machen einen Sinn: So ist eine «Seeeule», die nachts über der Wasseroberfläche fliegt und dort nach Mäusen sucht, genauso wenig denkbar wie ein «Schneeelefant», Hannibal hat seine Tiere in den Alpen bekanntlich zu Tode gebracht. Eine Schneeeule allerdings ist so klar wie ein Seeelefant. Kaffeeextrakt ist so sinnvoll wie Teeextrakt, aber ein «Kaffeeei» wird einem bei der Zubereitung nicht helfen, wohl aber ein Teeei.
Und wissen Sie, wie man in der Meteorologie die Effekte von Winden und Wolken bezeichnet, die durch Windschatten und Nicht-Windschatten entstehen? Leeeffekt und Luveffekt. Kein Witz.
Ob es nun auch Kleeelefanten, Kleeengel, und Kleeeulen gibt? Elefanten und Eulen hat der Künstler nie gestaltet (so viel ich weiss), aber sicher Engel; und die Engel von Paul Klee sind wunderschön – und ein Geheimtipp, wenn man zu Weihnachten nicht nur immer Karten mit Sternen verschicken will…

kleeesk

Um ein Adjektiv zu bilden, das mit einem Künstler, einem Maler oder Schriftsteller, Musiker oder Architekten zusammenhängt, wird meistens «-isch» verwendet. So reden wir von einem mozartischen Klang, oder einem brucknerischen. Manchmal wird auch das «i» ausgelassen und aus «wagnerisch» wird «wagnersch».
Einer macht hier die Ausnahme. Einer macht hier die Ausnahme und keiner weiss, warum.
Kafka.
Frank Kafka.
Sein Werk ist nicht «kafkaisch», sondern kafkaesk, und der Begriff des Kafkaesken ist ja als Synonym für das Widersinnige, Verrückte, Absurde, für das Unheimliche und Bedrohliche, für das Nichterklärbare und Sonderbare geworden.
«Kafkaesk» hat daher auch einen eigenen Wikipedia-Eintrag.
Fast gar nicht wird das Suffix «-oid» gebraucht, und wenn, dann eher in einem substantivischen Sinne. Ich habe tatsächlich Stellen im Netz gefunden, in denen eine Sonate im Stile von Schumann als ein «Schumannoid» und ein Bild im Stile von Manet als ein «Manetoid» bezeichnet wird.

kleeesk

Natürlich musste ich meinem Word-Wörterbuch erst beibringen, dass es das Wort gibt. Aber das ist ja auch das Schöne am elektronischen Arbeiten: Wenn man sich verschreibt, hat man zwei Möglichkeiten:
Man korrigiert selber und schreibt weiter.
Man sieht die rote Wellenlinie.
Hier hat man nun wieder drei Möglichkeiten:
Man nimmt einen der Korrekturvorschläge an.
Man heisst das Programm, das «falsche» Wort einmal zu ignorieren.
Man fügt das Wort dem Wörterbuch hinzu!
Das ist doch wie Weihnachten und Ostern zusammen! Das ist so, wie wenn die Schülerin oder der Schüler ihre Schreibweise in den Lehrerduden schreiben dürften…

kleeesk

Ich bin sehr stolz auf dieses Wort, das ich im letzten Post, mit dem letzten Post und für den letzten Post kreiert habe. Denn dieser Begriff, den ich im letzten Post, mit dem letzten Post und für den letzten Post erfunden habe, reiht sich wunderbar in meine Sprache ein.











 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Dienstag, 10. Dezember 2024

Die Linie 15 fährt wieder normal

Seit heute fährt die Linie 15, «meine» Linie, die Strassenbahnlinie Nummer fünfzehn der Basler Verkehrsbetriebe, wieder normal. Was mich sehr freut.

Die Linien 15 und 16 sind nämlich schon im Normalzustand so verquer und schräg, dass man eine Weile braucht, um es zu kapieren, und wenn dann noch Sondersachen dazukommen, dann ist alles aus.
Um es kurz für Nichtbasler zu erklären: Die Linien 15 und 16 führen eine Art Schlangenpaarung, eine Art Balztanz für Nattern auf, verweben und verwursteln sich. Vom Rhein herkommend, fährt die 15 durch das Quartier Gundeldingen die Strecke Heiliggeistkirche – Tellplatz und schraubt sich dann im Westen das Bruderholz hoch, wo sie endet. Die 16 fährt auch vom Rhein und auch durchs «Gundeli» (wie die Basler sagen), aber fährt Tellplatz – Heiliggeistkirche und östlich aufs Bruderholz, dort trifft die 16 stumpf auf die 15. Zwischen Tellplatz und Kirche fahren also die Strassenbahnen, die hochfahren, sich entgegen. Und die anderen natürlich auch.
Um die Verwirrung komplett zu machen, hat die Fünfzehn noch im Norden eine Schlaufe, fährt vom Bankverein via Wettsteinbrücke zur Messe und von dort via Mittlere Brücke wieder zum Bankverein.

Der Grund für diese wirklich verrückte Linienführung ist ein sehr merkwürdiger, aber doch klarer: Das Basler Tramnetz wurde nicht von Verkehrstrategen, sondern von einem Künstler gestaltet. Es gab nämlich immer wieder Beziehungen und Verbindungen zu Paul Klee, und nachdem dieser das Autobahn-Kleeblatt (das ja nach ihm benannt ist) entworfen hatte, bat man den Maler, für Basel einen Tramplan zu zeichnen, der möglichst viele Schlaufen, Kreuzungen und sonstige graphische Elemente enthielte. Gesagt getan – und so kam die Stadt am Rheinknie zu ihrem so verschlungenen und verwirrenden Netz.
Von Klee stammt übrigens auch die Idee, die Linie 14 und die Linie 1 auf der Dreirosenbrücke stumpf zusammenstossen zu lassen, also eine «Verwandlung» zu veranstalten, ein Vorgang, der jeden Touristen in die Verzweiflung treibt; das vor allem, weil im Tram angezeigt wird, die Linie ende bei der Brücke und nicht, dass sie unter anderem (unter falschem?) Namen weiterfährt…

Seit heute fährt die Linie 15, «meine» Linie, die Strassenbahnlinie Nummer fünfzehn der Basler Verkehrsbetriebe, wieder normal. Was mich sehr freut.

Die Linien 15 und 16 sind nämlich schon im Normalzustand so verquer und schräg, dass man eine Weile braucht, um es zu kapieren, und wenn dann noch Sondersachen dazukommen, dann ist alles aus.
Seit September machte man nämlich Spielchen mit den Linien.
Zunächst sperrte man die eine Seite, und man fuhr nur in einer «Halbschlaufe» auf das Bruderholz, jenen Südhügel Basels, wo es schöne Häuser und reiche Menschen hat – oder reiche Häuser und schöne Menschen, ganz wie Sie wollen.
In einer zweiten Phase fuhr man nur in einer Richtung, wer also zwei Stationen fuhr und dann zurückwollte, musste 9 Stationen Umweg in Kauf nehmen.
Dann war schliesslich die Brücke über den Rhein gesperrt und das Tram ging nur bis Aeschenplatz.

Seit gestern fährt die Linie 15, «meine» Linie, die Strassenbahnlinie Nummer fünfzehn der Basler Verkehrsbetriebe, wieder normal. Was mich sehr freut.
Was übrigens nicht heisst, dass jetzt alle Trams normal unterwegs sind, es gab seit 20 Jahren keinen Tag, an dem alles normal war.

Wer jetzt aber denkt, ich sei total depressiv und unglücklich, der irrt sich. Denn ich bin nicht total unglücklich und depressiv.
Ich habe sogar ein wenig übertrieben.
Die «beklagten» Zustände sind natürlich gar nicht so «beklagenswert» und das ganze ist Jammern auf hohem Niveau.
Es gibt etliche deutsche, französische und italienische Städte, die würden sich über ein solches Tramnetz, verschlungen, schlangenförmig und kleeesk freuen. (Kleine Randbemerkung: Ich bin sehr, sehr, sehr stolz auf diese Neuschöpfung.) Denn bei Ihnen hat es nur vier Linien, die Linien 1,2,3 und 4; aber wenn man genau hinsieht, dann sind 1 und 3 sowie 2 und 4 eigentlich deckungsgleich und gabeln sich nur an den Enden. Die beiden Stränge 1/3 und 2/4 kreuzen sich dann rechtwinklig im Stadtinnern auf dem XY-Platz, von einem «Netz» kann also nicht die Rede sein.
Und die Baustellen? Seien wir doch froh, dass etwas gemacht wird. Und zwar ständig. Und zwar rechtzeitig. Man könnte natürlich ein Schienennetz auch verrotten lassen. Und dann nach 30 (in Worten: dreissig) Jahren merken, dass etwas getan werden muss. Wieso kommt mir da gerade die DB in den Sinn?

Seit heute fährt die Linie 15, «meine» Linie, die Strassenbahnlinie Nummer fünfzehn der Basler Verkehrsbetriebe, wieder normal. Was mich sehr freut.
Genauso freut mich, dass wir ein so kleeeskes Netz haben, das auch noch regelmässig gewartet wird…

Freitag, 6. Dezember 2024

Der digitale Nikolaus

Ich sprach: «O lieber Herre Christ,
meine Reise fast zu Ende ist;
Ich soll nur noch in diese Stadt,
Wo´s eitel gute Kinder hat.»
«Hast denn das Säcklein auch bei dir?»
Ich sprach: «Das Säcklein, das ist hier;
Denn Äpfel, Nuss und Mandelkern
Essen fromme Kinder gern.»

So spricht der Knecht Ruprecht im Gedicht von Theodor Storm.
Wir allerdings fragen uns, woher der gute Mann seine Informationen hat. Die Aussage, dass Äpfel, Nüsse und Mandeln von der Mehrzahl religiös geprägter Kinder geschätzt wird, ist doch etwas, das man genauer beäugen muss.
Heisst diese Aussage, dass fromme Kinder gerne diese Nahrung zu sich nehmen und sie so schönen Sachen wie Bonbons abschwören, oder heisst sie, dass fromme Kinder Boskop und Walnüsslein und Mandeln gerne haben, aber Schoggi und Karamell noch viel lieber? Und wie sieht es bei den ungetauften und heidnischen Kindern aus? Ist die Frömmigkeit Voraussetzung für die Liebe zu Äpfeln und Nüssen oder ist sie sogar die Folge davon?

Es fehlt hier statistisches Material. Man müsste nun entweder eine Umfrage machen, also eines der vielen Institute beauftragen, die 1000 ausgewählte Familien befragen, oder man könnte einfach die Daten der grossen Verteiler auswerten. Wenn unser Knecht Ruprecht recht hätte, müsste vor dem 6. Dezember bei COOP und MIGROS in Trubschachen im Emmental eine höhere Quote an Obst und Nüssen und ein geringerer als bei Schokolade zu finden sein, im Gegensatz zum Quartier Zürich-Nord. (Im Emmental sind ja alle fromm…) Aber wahrscheinlich ist das nicht so, überall essen Kinder gerne Schoggi. Und dafür spricht ja auch, dass ein grosser Keks-Hersteller und ein grosser Schokoladenfabrikant fest in evangelikaler Hand sind. – Weshalb ich sie als Schwuler boykottiere, aber das steht auf einem anderen Blatt…

Nun sind wir also bei den Daten.
Den elektronischen.
Den digitalen.
Und wir lesen noch einmal den Anfang des schönen Gedichtes:

Von drauß', vom Walde komm ich her;
Ich muss euch sagen, es weihnachtet sehr! –
Allüberall auf den Tannenspitzen
Sah ich goldene Lichtlein blitzen

Er kommt also aus dem Wald, aus der freien und unberührten Natur, unser guter Mann, er merkt Weihnachten an den Lichtern. Er hat keinen Zugang zur digitalen Welt und hat keinen Termin-Erinnerer.
Ganz anders unser

Nikolaus Digital

Der Digitalnikolaus ist permanent im Netz unterwegs und sammelt Daten. Daten, Daten, Daten und nochmals Daten. Der Digitalnikolaus weiss, ob im Emmental mehr Schoggi gekauft wird als in Zürich-Nord und kann eine ortsgenaue Verteilung der Nusskonsumation in der Schweiz oder der Apfelkonsumation in Baden-Württemberg erstellen. Der Digitalnikolaus kann klare Korrelationen zwischen Frömmigkeit und Mandelliebe oder zwischen Heidentum und Zuckersucht erstellen.

Er weiss aber noch viel mehr.
Durch das Auswerten der Einzeldatensätze, die die Kinder von heute, die Kiddies, Youngsters, die die 5-7jährigen bei Instagram, TikTok, WhatsApp, YouTube, usw., usw. usw. hinterlassen haben, kennt er jede und jeden so genau, dass er für jedes Kind in unserer digitalen Welt einen genauen Schuh-Inhalt kreieren kann.
So bekommt Anna (6) aus Bochum eine Lady Gaga-Barbie, weil sie sich auf TikTok 112-mal das Video mit eben dieser Lady Gaga-Barbie angeschaut hat.
So bekommt Jon (5) aus Bern einen Nike-Boxhandschuh, weil er sich das Video mit Mr. Monster auf You Tube angesehen hat, auf dem Mr. Monster den Mr. Vampyr, seinen Gegner, so richtig verdrischt.
Und Melissa (14) aus Wien bekommt das Schminkset, das eine Freundin in der WhatsApp-Gruppe so eindeutig empfohlen hat.
Der Digitalnikolaus weiss eure Wünsche, bevor ihr sie ausgesprochen habt!

Und wenn mal doch die Daten nicht ganz stimmten, wenn die Gaga-Barbie eigentlich eine Taylor-Barbie und der Boxhandschuh «Monster» eigentlich ein Handschuh «Killer» und das Schminkset auch nicht ganz OK ist, dann tröstet man und frau sich: Besser als die ollen Äpfel und die ollen Nüsse und die ollen Mandeln ist es allemal.
Und so muss man das Gedicht von Storm auch ein wenig umschreiben:

Vom WWW, da komm ich her;
Ich muss euch sagen, es weihnachtet sehr! –
Allüberall in euren Daten
Konnt´ ich eure Wünsch´ erraten

Ich sprach: «O lieber Zuckerberg
Fast zu Ende ist mein Werk
Ich soll nur noch in diese Stadt,
Wo´s Digital Geborene hat.»
«Hast dich denn auch gut informiert?
Und über alles Buch geführt?»
«Ja, es ist alles wohlgeraten.
Und ich habe alle Daten.»



 

 

 

 

 

 

 

 

 

Dienstag, 3. Dezember 2024

Ideen für Adventskalender

Seit Sonntag, seit dem 1. 12., dem ersten Dezember, öffnen wir wieder Türchen für Türchen, wir machen jeden Tag eine Pforte auf, am…
…Adventskalender.
Es ist erstaunlich, dass ich diesem Phänomen in all den langen Jahren noch keinen Post gewidmet habe. Denn in Kindergärten und Schulen, in Wohnstuben und Heimen, im Radio und im Fernsehen ist der Adventskalender ja nicht wegzudenken.

Historisch ist der Adventskalender eine sehr junge Sache, er ist viel jünger als die Tanne, die Kerzen und der Stern, er gehört in die bürgerliche Tradition des 19. Jahrhunderts, ist also – im Lichte der Geschichtsschreibung – etwas ganz «Neumodisches», dennoch kommt es uns so vor, als hätte es ihn schon immer gegeben.
Haben Sie einen Adventskalender?
Ich hatte einen ganz speziellen, eine Tanne aus Holz, die mein Vater ausgesägt und grün lackiert hatte, daran waren 24 Nummern aus Gold und 24 Nägel, und an eben diese Nägel wurden dann 24 Päckchen gehängt. Dieser Kalender hatte also alles, was eben die heutigen nicht mehr haben: Er war handgemacht, es war Liebe und Arbeit investiert worden und es wurde Arbeit und Liebe investiert, und er war ein absolutes Unikat. Heute kauft man schnell im Supermarkt, ein Ungetüm mit Mickey Maus oder Donald als Weihnachtsmann, wo hinter den Türchen viel ungesunde Chemie-Schokolade lauert…

Wollen Sie aber etwas Tolles, Originelles?
Ich habe hier noch drei wunderschöne Ideen für Sie. Sie müssten Sie aber schnell besorgen, da wir ja heute schon den 3. Dezember haben und Sie müssten dann auch beim ersten Male 3-4 Türen öffnen:

Der Adventskalender für klassisch Gebildete

Hinter den 24 Türchen des Kalenders, der einen Holzschnitt aus dem 17. oder eine Radierung aus dem 15. Jahrhundert trägt, sind kleine Zettel mit Sentenzen zu Leben und Welt, natürlich nicht nur in Deutsch, sondern auch in Lateinisch, Griechisch und Sanskrit und Altchinesisch. Hier warten Aphorismen und Sentenzen, Sprüche und Epigramme, von Horaz bis Goethe, von Konfuzius bis Platon, von Angelus Silesius bis Seneca. Natürlich fände man manchmal auch etwas Bonbon und Schokolade töller, aber darum geht es ja nicht. Die Aphorismen und Sentenzen, Sprüche und Epigramme, von Horaz bis Goethe, von Konfuzius bis Platon, von Angelus Silesius bis Seneca in Altdeutsch, Mittelenglisch, Altgriechisch, Sanskrit und Japanisch geben einem das Gefühl, so viel besser, gebildeter, so viel belesener und philosophischer als der ganze Plebs zu sein, sie heben einen moralisch und ethisch so sehr über die Masse, dass die ganze Adventszeit eine wahre Lust ist. Und wenn Sie gefragt werden, ob Sie heute auch eine Praline… Dann können Sie antworten: «Praline? Praline? Im Ernst: Praline? Wir hatten heute Sallust. Und gestern Schiller.»
Erhältlich bei:
www.vita-contempletativa-edition.ch; Kostenpunkt Sfr. 59,95

Der Luxus-Kalender

Diese Variante des Adventskalenders zeichnet sich dadurch aus, dass hier hinter jedem Türchen ein pures Luxusprodukt wartet. Er ist also nichts für arme Leute, sondern im Gegenteil für Reiche. Für Superreiche. Für Millionäre.
Hinter dem ersten Türchen verbirgt sich ein Gallé-Tässchen, das in Mintgrün und Blau einem Schmetterling nachempfunden wurde. Über das zweite, das ein Tuch aus Lotusseide, und das dritte, das eine aus einem Bernstein geschnitzte Marienfigur (14. Jahrhundert) enthält, geht es zum ersten Höhepunkt, das vierte Türchen, mit einer Damenuhr der Marke… Wir wollen aber nicht zu viel verraten.
Natürlich ist der Kalender nur etwas für Reiche, aber natürlich auch für Menschen, die bei der Herkunft der kleinen Stücke nicht so ganz genau hingucken. Man könnte sich ja überlegen, wie Marienfiguren aus dem 14. Jahrhundert da hineinkommen. Aber… es ist ja bald Weihnachten, und da denkt man an nichts Böses.
Erhältlich bei
www.luxusprodukte-fuer-superreiche.ch; Kostenpunkt Sfr. 16000000,--

Der gesunde Adventskalender

Hinter dem Bild von einem Meeresstrand warten nicht Schokolade und Zucker, sondern nur gesunde Dinge:
Kleine Dinkelriegel mit Ingwer.
In Bachblüten getränkte getrocknete Macadamianüsslein.
Vegane Amaranthplätzchen mit Lotusaroma.
So macht das Öffnen des Adventstürchens zwar keinen Spass, das wird aber aufgewogen von dem unendlich guten Gefühl, seinem Körper etwas Heilendes und Wohltuendes zu geben. Das Öffnen des Türchens wird idealerweise mit dem Spiel einer Klangschale begleitet und im Licht von Kerzen ausgeführt.
Erhältlich bei
www.gesunde-weihnachten.ch; Kostenpunkt: Gratis, Sie dürfen aber der nächsten Yoga-Schule gerne etwas spenden.

Seit Sonntag öffnen wir wieder Türchen für Türchen, wir machen jeden Tag eine Pforte auf, am Adventskalender.
In Kindergärten und Schulen, in Wohnstuben und Heimen, im Radio und im Fernsehen ist der Adventskalender ja nicht wegzudenken. Und es ist erstaunlich, dass ich diesem Phänomen in all den langen Jahren noch keinen Post gewidmet habe.

Was ich hiermit aber getan habe.





 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

  

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Freitag, 29. November 2024

Es gipfelte wieder... Warum wieder G20 usw. brauchen

Es gipfelt und gipfelte diesen Herbst wieder wie blöd. Permanent jetten und jetteten die Wichtigen der Welt von Konferenz zu Konferenz, von Gipfel zu Gipfel.

Da waren die Treffen von G8, G9, G20, G30, G17, G40 und was es sonst noch an G- gibt.
Da war die Welt-Klima-Konferenz.
Da waren die Gipfel zu Artenschutz, Tierschutz, Menschenschutz, Kinderschutz, und sonstigen Schützen. (oder heisst es «Schutze»?)
Da gab es die Hochalpen- und die Tiefsee-Konferenz.
Da tagten die UNESCO, die WHO, das WEF und die UNICEF, usw.

Es gipfelt und gipfelte diesen Herbst wieder blöd. Permanent jetten und jetteten die Wichtigen der Welt von Konferenz zu Konferenz, von Gipfel zu Gipfel.

Nun sind ja vor allem die Treffen, die sich um die negative Veränderung der Welt kümmern – oder sagen wir um ihre Rettung? – eine abstruse Sache. Im WWW (das übrigens immer tagt, nicht nur im Herbst) finde ich die Notiz:
Für Konferenzen legen Forschende aus aller Welt mehrmals im Jahr weite Distanzen zurück. Die CO2-Bilanz einer Konferenzbesucherin oder eines Konferenzbesuchers beträgt durchschnittlich 0,5 bis 1,5 Tonnen CO2-Äquivalenten für eine dreitägige Tagung.
Eine Klimakonferenz belastet nun selber das Klima. Das wäre so, wie wenn die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Welt-Hunger-Tagung dieselbe mit einem 8-Gang-Menü beginnen, aber das eventuell ist das auch genauso.

Es gipfelt und gipfelte diesen Herbst wieder wie blöd. Permanent jetten und jetteten die Wichtigen der Welt von Konferenz zu Konferenz, von Gipfel zu Gipfel.

Wofür nun der ganze Unsinn?
Antwort: Um miteinander zu reden.
Und zwar nicht auf den offiziellen Treffen.
Nein.
Die Treffen von G8, G9, G20, G30, G17, G40 und was es sonst noch an G- gibt, die Welt-Klima-Konferenz, die Gipfel zu Artenschutz, Tierschutz, Menschenschutz, Kinderschutz, und sonstigen Schützen, die Hochalpen- und die Tiefsee-Konferenz, die Meetings, die die UNESCO, die WHO, das WEF und die UNICEF usw. betrafen, dienten der Möglichkeit sich heimlich zu treffen.

Das ist nämlich gar nicht so einfach, wenn man miteinander reden sollte, aber das offiziell nicht kann. Denken wir doch an das spektakuläre Treffen von Ben Gurion und Adenauer.
«Er ist der Ältere». Mit diesen Worten schob der israelische Premierminister David Ben-Gurion am 14. März 1960 die Bedenken seiner Protokollbeamten beiseite und begab sich aus seiner Suite im 37. Stock des New Yorker Edelhotels Waldorf Astoria in den 35. Stock zur Präsidentensuite, in der sein deutscher Amtskollege, der deutsche Bundeskanzler, residierte. Ben-Gurion musste die Feuerleiter benutzen, weil Scharen neugieriger Pressefotografen die Flure und Aufzüge des Hotels so belagerten, dass kein Durchkommen mehr möglich war.
So steht es auf der Homepage der nach diesem ersten Bundeskanzler benannten Stiftung.
Grund war ein heikler, extrem heikler, sehr heikler: Israel brauchte Geld – und die BRD war bereit zu zahlen. «Reinwaschung! Nie!» schrie es in Zion, und «Erpressung!» schrie es in Bonn und ein offizielles Treffen wäre undenkbar gewesen.

Das sieht man ja auch heute, wenn Scholz mit Putin telefoniert, dann gibt das nur Ärger, wobei das Problem ja nicht ist, DASS er anruft, sondern das er es öffentlich macht. Die Devise muss doch heissen: Mit Putin reden, aber nicht über das «Mit-Putin-reden» reden.
Eine wunderbare Möglichkeit von nicht-offiziellen Treffen war auch die Beerdigung der Queen, da hielten der Präsident von Ghana und Steinmeyer ein «Treffen» ab, während sie auf die Kondolenzmöglichkeit warteten. Und sparten so CO2 und viel, viel, viel Geld. Nun wird leider Charles nicht sofort sterben. Er ist erst 76, und bis zu seinem Ableben ist es noch viel Zeit, die Windsors werden ja alle steinalt.

Das mit der Feuerleiter wäre übrigens heute nicht mehr denkbar, der arme Ben Gurion würde von Presse-Drohnen so umschwärmt, und auf der Leiter hätte er ja auch keine Fluchtmöglichkeit, dass er vielleicht abstürzen würde…

Es gipfelt und gipfelte diesen Herbst wieder wie blöd. Permanent jetten und jetteten die Wichtigen der Welt von Konferenz zu Konferenz, von Gipfel zu Gipfel.
Die Treffen von G8, G9, G20, G30, G17, G40 und was es sonst noch an G- gibt, die Welt-Klima-Konferenz, die Gipfel zu Artenschutz, Tierschutz, Menschenschutz, Kinderschutz, und sonstigen Schützen, die Hochalpen- und die Tiefsee-Konferenz, die Meetings, die die UNESCO, die WHO, das WEF und die UNICEF usw. betrafen, dienten der Möglichkeit sich heimlich zu treffen.

Und deshalb: Sie müssen sich gar nicht mit den schwachsinnigen Abschlusserklärungen abgeben. Auch nicht mit den Statements, die Sie hören. Die wichtigen Ergebnisse bekommen Sie nicht mit.
Warum?
Sie sind ein Scherzkeks. Geheime Treffen heissen so, weil sie geheim sind. Wenn sie angekündigt werden, dann sind sie das nicht mehr.

So nun muss ich zu einem Vorstellungsgespräch. Ins Café Reidinger. Ich werde mit dem Präsidenten von … die Übernahme des …chores besprechen.
Die Stelle ist noch nicht ausgeschrieben.
Nein.
Das lesen Sie nicht am Dienstag.
Scherzkeks.





  

 

  

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Dienstag, 26. November 2024

Wunderkinder?

Nach meinem letzten Post gab es etliche Reaktionen, die mir schrieben, dass junge Talente nichts besonders seien, und Hochbegabungen auch, das habe es immer gegeben, und man solle nur an Mozart und Gauß denken. Solle man.

Nun kommen Sie mir nicht mit Mozart.
Mozart, der angeblich schon mit drei Jahren die ersten Noten schrieb, Geigenstimmungen auf einen Sechzehntelton erkannte und kopiergeschützte Messen aus dem Gehör wiederholte. Mozart. Vieles ist wahrscheinlich vom karrieregeilen Vater dazugedichtet worden, aber geschenkt.
Mozart war natürlich ein Wunderkind.

Kommen Sie mir auch nicht mit Gauß. Wir alle kennen die Story. Ach, Sie nicht? Dann hier noch einmal in Kürze: Die Siebtklässler sollten die Zahlen von 1 bis 100 aufschreiben, damit sie unendlich lange beschäftigt wären und der Lehrer die Achtklässler mit einem Diktat quälen konnte, während die Fünftklässler lasen und die Sechstklässler Pause hatten (so war das früher in Dorfschulen…). Der junge Johann Carl Friedrich stand schon nach 5 Minuten mit dem richtigen Ergebnis da, brachte also den Plan gründlich durcheinander. Er hatte
1 plus 100 = 101
2 plus 99 = 101
3 plus 98 = 101
gerechnet, kam also auf 50 solche Gruppen und auf eine Summe von 5050. Und wurde aufgrund dieser Gedankenleistung aufs Gymnasium geschickt.
Soweit die Legende, wir wissen hier auch nicht, ob Johann Carl Friedrich die Geschichte nicht selber erfunden hat…

Nach meinem letzten Post gab es etliche Reaktionen, die mir schrieben, dass junge Talente nichts besonders seien, und Hochbegabungen auch, das habe es immer gegeben, und man solle nur an Mozart und Gauß denken. Solle man.

Nun möchte ich zwei Dinge noch dazu sagen.
Das eine ist, dass ja gerade die Schwemme von musizierenden, malenden, schreibenden, dirigierenden Babys, die Schwemme von zeichnenden, mimenden und von singenden Kleinkindern das Wunderkinder-Symptom unmöglich macht.
Mozart war eben der einzige in seinem Umfeld, der mit 4 schon Noten schrieb, die Gassenkinder und die Kinder seiner Amme taten das nicht. Gauß war eben DER in der Klasse, der auf den 101-Trick kam und die anderen Klassenkollegen eben nicht.
Wo bleiben denn die Wunderkinder in der Schwemme von Schwemme von musizierenden, malenden, schreibenden, dirigierenden Babys, in der Schwemme von zeichnenden, mimenden und von singenden Kleinkindern?
Wenn alle mit 10 schon die Neunte dirigieren, dann kann ich den, der es wirklich kann, nicht erkennen.
Wenn alle mit 15 schon den Master und den Doktor mit 18 machen, ist der Hochbegabte nicht mehr sichtbar.

Das Zweite:
Man weiss ja gar nicht, wie es weitergeht mit den Jungtalenten.
Nehmen wir mal eine junge Schriftstellerin. Wir nennen sie – damit man sie nicht erkennt – Katrin Vude. Katrin hat 1999 (also Jubiläum!) ihren ersten Roman veröffentlich. Der «Schneeroman» war ein Sensationserfolg. Eines der besten Bücher, das ich kenne.
So weit so gut.
Allerdings hat Katrin Vude seitdem nichts geschreibselt, was an die Qualität ihres Debüts heranreicht. Und das ist schon traurig.
Anne-Sophie Mutter war auch so ein Wunderkind, ein ewiges Wunderkind, bis ein tiefer Schicksalsschlag sie traf und ihr in einer harten Zeit die nötige Reife schuf: Der frühe Tod ihres Mannes und ihre Situation als «doppelte» Mutter, Mutter zweier Kinder. Sie selber sagt das übrigens so in dem wunderbaren Dokumentarfilm über sie, in dem sie mit der Journalistin und ihrem Hund wandert.
Nun können wir den Kindern aus der Schwemme von musizierenden, malenden, schreibenden, dirigierenden Babys, aus der Schwemme von zeichnenden, mimenden und von singenden Kleinkindern ja nicht alle die schlimmsten Schicksale wünschen, um zu reifen. Das wäre nun wirklich zynisch.

Nach meinem letzten Post gab es etliche Reaktionen, die mir schrieben, dass junge Talente nichts besonders seien, und Hochbegabungen auch, das habe es immer gegeben, und man solle nur an Mozart und Gauß denken. Solle man.
Nun kommen Sie mir nicht mit Mozart.
Kommen Sie mir auch nicht mit Gauß.

Übrigens hat Anton Bruckner erst mit 40 angefangen zu komponieren. Würde heutzutage wahrscheinlich nicht mehr gehen.

Freitag, 22. November 2024

Konzertflyer mit Kinderbildern

Wenn Sie ein Konzert besucht haben, und Sie streben dem Ausgang zu, dann stehen da manchmal Leute, die Zettel für andere Konzerte verteilen. «Flyern» nennt man das im Jargon, und es ist sehr üblich.
Es mag Ihnen zunächst komisch vorkommen, nach einem Mozart gleich wieder einen Flyer für einen Beethoven in die Hand gedrückt zu kriegen und nach einer «Schöpfung» gleich wieder eine Werbung für die «Jahreszeiten», aber die Flyer-Verteiler machen genau das, was Ihnen im Internet ständig begegnet: Wenn Sie eine Badehose bestellen, werden Sie die nächsten Tage mit Werbung für Badepants und T-Shirts überschüttet.
Wo findet man die interessiertesten Konzertgänger? Natürlich vor einem Konzertgebäude, nach einem Konzert.
Es wäre natürlich viel publikumserweiternder, diese Flyer nach einem Boxwettkampf zu überreichen, aber die meisten Leute würden die ja gleich wegwerfen.

Ich nehme – weil ich ein netter Mensch bin – die Flyer immer an.
In letzter Zeit bekomme ich aber immer mehr Bedenken. Was, wenn man so viele Zettel bei mir findet? Zettel mit…
Ich traue mich das jetzt kaum hinzuschreiben: Zettel mit Kinderbildern. Eine Sammlung von aktuellen Konzertflyern wirkt dermassen pädophil, dass es einem angst und bange wird.

Und ich meine hier gar nicht die traditionellen Knaben- und Mädchenchöre, die Jugendmusiken und Jugendkapellen, ich meine nicht die singenden Schulklassen und spielenden Kinder, ich meine nicht Ensembles, die aus vielen unter 18jährigen bestehen, ich rede von den Solisten.
Da ist Yan Yung (11), der mit Beethoven Violinkonzert debütiert.
Da sind Iwan und Nadia Borowski (7 und 9), die Mozart-Sonaten spielen.
Da ist Mitsuko Tamaguta (10), die sämtliche Préludes von Debussy spielt.
Und das ist das «Sehr junge usbekische Streichquartett», das auf ein Durchschnittsalter (!!!) von zwölf Jahren kommt. Und welches – natürlich, was denn sonst? – die «Grosse Fuge» spielt.

Ich nehme also diese Zettel nur noch selten an, aber ich wundere mich.
Ich wundere mich.
Ich wundere mich: Wann hat das angefangen?
Der Stuttgarter Pianist Stefan Sprung, der Anfang der 80er Jahre bei Dennemarck in Karlsruhe studierte – das ist jetzt nicht erfunden – schloss sein Grundstudium mit einem Konzert ab, bei dem er sämtliche Etüden op. 10 spielte. (Für Nicht-Klassikfans: Das ist Chopin.) Damals war das eine absolute Sensation, nicht eine, nicht zwei, nicht die Schwarze-Tasten-Etüde ODER die Revolutionsetüde, oder – was schon toll gewesen wäre – Schwarze Tasten- PLUS Revolution, nein alle 12 Stück, inklusive Schwarze Tasten, Revolution und jener lyrischen E-Dur-Etüde, die der Banause nur als Schlager «In mir klingt ein Lied» kennt…
Heutzutage bieten die Kids sämtliche Etüden Chopins (also die zwölf op. 10 UND die zwölf op. 25) zur Aufnahmeprüfung an.
Zur Aufnahmeprüfung!
Zur Aufnahmeprüfung!

Angeblich – aber das sind nur Gerüchte – haben die Konservatorien in Asien zwei verschiedene Arten von Wickelräumen, in dem einen wickeln die Studenten und Studentinnen ihre Kinder, im anderen werden Studentinnen und Studenten von ihren Eltern gewickelt.
Das ist natürlich ein böses Gerücht, aber bei anderen Dingen ist es ja schon schwierig mit dem jugendlichen Alter der Künstler. Sehr oft wird in der Schweiz nach einem Auftritt zu einem Apéro geladen, man steht herum und trinkt Weisswein und isst Knabbersachen, man stösst mit dem Künstler oder der Künstlerin an. – Aber wer passt auf, dass Nadia Borowski oder Yan Yung nur Coca-Cola trinken und nicht etwa Champagner wie die Erwachsenen?

Es gibt doch so etwas wie Reife…

Wir reden zurzeit ja immer über KI und was der Mensch ihr voraushat. Nun, eine KI spielt eine Etüde rein technisch sicher genauso gut wie ein 11jähriger, nein besser, denn sie macht keine Fehler. Sie interpretiert auch genauso gut, wenn sie sich alle Aufnahmen des Lehrers des 11jährigen anhört. Das Genuine, das Reife, das Genialische, das Wunderbare, das erreicht sie nicht.
Nie. Niemals.
Und der Kinderstar noch nicht.

Wenn Sie ein Konzert besucht haben, und Sie streben dem Ausgang zu, dann stehen da manchmal Leute, die Zettel für andere Konzerte verteilen. «Flyern» nennt man das im Jargon, und es ist sehr üblich.
Ich nehme – weil ich ein netter Mensch bin – die Flyer immer an.
In letzter Zeit bekomme ich aber immer mehr Bedenken. Eine Sammlung von aktuellen Konzertflyern wirkt dermassen pädophil, dass es einem angst und bange wird.