Dienstag, 4. November 2025

Die Verben-Titel-Bücher aus dem Hanserverlag

Es gibt eine Buchreihe im Hanser Verlag, die ich sehr liebe. Alle ihre Titel sind Verben von Alltagstätigkeiten und in einem Umfang von ca. 100 Seiten wird über dieses Thema essayistisch geschrieben. Bisher las ich

«Wohnen» von Doris Dörrie
«Altern» von Elke Heidenreich
«Lieben» von Emilia Roig
«Essen» von Alina Bronsky und
«Schlafen» von Theresa Enzensberger

Weitere werden folgen.

Das Spannende an der Reihe ist, dass die Bücher die Themen nicht immer streng behandeln, sondern eine grosse Freiheit herrscht. Während Dörrie und Heidenreich ihr Thema relativ allgemein angehen, schreibt Bronsky sehr persönlich, wir erfahren sehr viel über russisches und hessisches Essen (zum Beispiel warum ein «belegtes Brot» für Nicht-Deutsche keine Mahlzeit ist…). Enzensberger schreibt eigentlich mehr über Schlaflosigkeit als über Schlafen, da sie selbst an Insomnie leidet, ist das ganz logisch. Und Roig? Ja, die driftet ein wenig sehr ab, das geht dann am Ende auch noch zum «Tiere lieben», «Pflanzen lieben» und «den Kosmos lieben». Na ja.

Ich hatte nun die Idee, dem Hanser Verlag ein Manuskript meinerseits anzubieten. Sie können sicher erraten, um was es gehen sollte:
SCHWIMMEN
Ich konnte drei Argumente ins Feld führen, warum mein (noch zu schreibendes) Buch dort verlegt werden sollte:
Ich kann gut schreiben.
Ich kann gut schwimmen.
Lange war der «Herter-Röcker-Lörcher» als technisches Grundlagenbuch DER Renner der wissenschaftlichen Abteilung des Hanser-Verlages. Es gibt also eine Verbindung.

Die Antwort des Verlages war aber relativ ernüchternd. Auch sie führten drei Argumente ins Feld, die klar gegen mein Projekt sprachen:
Ich sei keine Frau.
Ich sei nicht prominent.
Die Einreichungen zu den Neuauflagen des «Herter-Röcker-Lörcher» seien relativ abstrus gewesen.

Wie nun damit umgehen?
Ich bin keine Frau, das kann ich nicht ändern. Und merkwürdigerweise werden alle Bücher dieser Reihe von AutorINNEN geschrieben.
Ich bin nicht prominent, das könnte das Buch «Schwimmen» ändern, aber hier haben wir ein Catch22-Problem, ich müsste prominent sein, um das Buch zu schreiben, das mich dann auch wieder berühmt macht.
Das Argument mit dem «Herter-Röcker-Lörcher» konnte ich nicht ganz entkräften, ich WEISS, dass viele Ideen ziemlich seltsam waren, ich habe ja neulich in dem Post über Emeriti (3. Oktober 2025) darauf hingewiesen.

Ich habe nun beschlossen, eine eigene Reihe ins Leben zu rufen. Die Reihe wird genauso wie die Hanser-Reihe aus essayistischen Werken im Umfang von ca. 100 Seiten sein. Allerdings werden die Verben alle eher dem negativen Spektrum angehören. Folgende Bücher erscheinen hier vor meinem geistigen Auge:

«Lügen» von Donald Trump
«Überfallen» von Vladimir Putin
«Hassen» von Bernd Höcke
«Beeinflussen» von Elon Musk

Haben Sie Lust, sich an der Serie zu beteiligen? Noch ist niemand konkret angefragt.
Und folgende Titel sind noch ganz unbelegt:

«Saufen»
«Rauchen»
«Verblöden»

Sie müssen einfach ein Mann sein, ob prominent oder nicht, ist egal.





 

Freitag, 31. Oktober 2025

Bitte immer so Tatorte wie am Sonntag!

Nun hat mich dieses Mal doch eine positive (!) Realität eingeholt, das ist ja manchmal auch möglich. Ich wollte eigentlich einen Post über die deutsche Krimi-Misere schreiben und wollte mit der Umtextierung eines Liedes beginnen.

Das Lied, an das sich wahrscheinlich nur die Boomer erinnern, war ein Schlager von Rudi Carell, den er mit seinem unvergleichlichen (künstlichen) niederländischen Akzent nach der Melodie von «City of New Orleans» von Arlo Guthrie sang:

Wann wird`s mal wieder richtig Sommer?
Ein Sommer, wie er früher einmal war,
So mit Sonnenschein von Juni bis September
Und nicht so kalt und so sibirisch wie im letzten Jahr.

Ich wollte dieses Lied nun noch einmal umtexten:

Wann wird`s mal wieder richtig Krimi?
Ein Krimi, wie er früher einmal war,
So mit Mörder, den man sucht und dann auch findet
Und nicht so kryptisch, wie der letzte Tatort war.

Ich wollte nun von den guten alten Wallace-, und Christie- und Holmes, von den Poirot- und Marple, ich wollte von den Highsmith- und Maigret-Krimis schwärmen, Krimis, in denen man nicht von vornherein weiss, wer der Möder (oder die Mörderin) ist, in denen man raten darf und grübeln, in denen dann am Ende alle im Salon versammelt werden – und der Detektiv (die Detektivin! Es gab ja Marple…) allen die Abläufe mitteilt. Und am Ende war es immer der oder die Unverdächtigste. Oder wie Reinhard Mey sang:

Der Mörder war wieder der Gärtner,
und der plant schon den nächsten Coup.
Der Mörder ist immer der Gärtner,
und der schlägt erbarmungslos zu!

Nun aber hat die ARD am Sonntag, den 26. 10. einen Tatort gesendet, der allen meinen Wunschkriterien entsprach. Und am Ende versammelte im Krimi «Letzte Ernte» die Kommissarin Lindholm (alias Maria Furtwängler) alle Beteiligten im… nein, im Salon nicht, aber im Schuppen (der ja auch Tatort war) und klärte auf.
Und nebenbei…
Ganz nebenbei…
Wirklich nur nebenbei…
Nebenbei erfuhr man einige Dinge über die wirtschaftlichen Sorgen und Probleme der Apfelbauern im Alten Land.

Ach, könnte das doch immer so sein! Ach, könnte das wieder Standard werden! Ach, wäre das schön!
Schön wie bei den guten alten Wallace-, und Christie- und Holmes, bei den Poirot- und Marple, schön wie bei den Highsmith- und Maigret-Krimis, die ich alle so liebe.

Ich möchte keine Tatorte und auch keine Polizeirufe 110 mehr, in denen alle Polizisten 1.) gestörter sind als die Mörder, 2.) alle ihre Leichen im Keller haben und 3.) sich diese Vergangenheiten dann auch noch ständig in die Ermittlungen mischen.
Ich möchte nicht mehr sehen, dass die beiden Polizisten vor 20 Jahren einen Fall falsch gelöst haben und seither nicht nur schlaflos, sondern auch erpressbar sind.
Ich möchte nicht mehr sehen, dass der obskure Anwalt, der sich in den Fall mischt, der Vater der Tochter der Polizistin ist, was sie aber nicht weiss.
Ich möchte nicht mehr sehen, dass die Kollegin des Ermittlers vor 17 Folgen gestorben ist (weil die Schauspielerin aufhören wollte) und der Ermittler seitdem einfach nur noch gaga handelt.
Ich möchte nicht mehr sehen, dass die Mutter der Kommissarin eine gesuchte RAF-Terroristin ist.

Nein, liebe ARD. Weiter wie am Sonntag!
Ich texte mein Lied auch um:

Es wurde mal wieder richtig Krimi!
Ein Krimi, wie er früher einmal war,
So mit Mörder, den man sucht und dann auch findet
Und nicht so kryptisch, wie der vorvorletzte war.



 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

  

 

 

 

 

 

 

Dienstag, 28. Oktober 2025

Stadtbild?

Der Bundeskanzler schafft es doch immer wieder, eine unnötige Diskussion vom Zaune zu brechen. Ich sage nur „Stadtbild“.
Stadtbild.
Die Wogen schlugen hoch, es gab Demonstrationen und Kundgebungen, bis sich Friedrich Merz dann doch entschloss, ein wenig zu präzisieren: Es geht um die Sicherheit, oder das Fehlen von Sicherheit, das man am Stadtbild erkennt. Oder eigentlich geht es um das Gefühl des Fehlens von Sicherheit. («Fragen Sie meine Töchter.»)

«Stadtbild» ist ein schwieriger Begriff.
Wenn ich durch Basel laufe, dann stören mich auch bestimmte Dinge im Stadtbild. Am meisten stören mich die riesigen Hochhäuser, die eine Schweizer Pharma-Klitsche errichten liess, aber gegen die kann ich nichts machen.
Manchmal stört mich auch die Gruppe am Claraplatz, die da fröhlich grölt und säuft, manchmal, vor allem, wenn ich daran denke, dass dort Männer ihre Söhne mitnehmen, welche lieber eine Ausbildung machen sollten, aber ich schweife ab; wenn mich diese Gruppe stört, dann kann ich einfach weggucken, was ich bei den Hochhäusern der Pharma-Klitsche nicht kann, sie sind dermassen omnipräsent, dass ein Wegschauen unmöglich ist.
Stören mich Ausländer im Stadtbild? Natürlich nicht, ich bin ja selbst einer. Die Gruppe am Claraplatz – das muss man auch einmal klar sagen – besteht praktisch nur aus Einheimischen.

Es kommt nun immer auf den Blickwinkel an. Ich habe die Frage in die Runde geworfen, ob eine Gruppe von 20jährigen Männern aus Afrika das Stadtbild stören würde. Klares Nein. Deutliches Nein. Ein Votum war: «Natürlich nicht. Wenn es Sommer ist, und sie Tanktops tragen, dann ist das doch unglaublich reizvoll.» Und dann gackerten Detlef und Jens los…Vielleicht war die Runde, in die ich die Frage warf, doch die verkehrte. Ich hätte das Thema nicht gerade in der Plüschbar «Pink Panther» ansprechen sollen.

Aber Spass beiseite.

Mit der ungeschickten und dämlichen Erwähnung seiner Töchter – Merz ist ja unglaublich stolz darauf, wieder einmal ein führender Politiker MIT Kindern zu sein – hat er doch etwas Wahres angesprochen: Es geht um die Sicherheit von Frauen. Das heisst es geht um das Gefühl der Sicherheit von Frauen.
Wir könnten ja einmal den Test machen, wir fragen die «Töchter», vielleicht auch die «Enkelinnen», vielleicht auch die «Mütter» und «Grossmütter», wo sie sich unsicher bzw. sicher fühlen:
daheim, in der eigenen Wohnung, im eigenen Bett
bei der Privataudienz bei einem männlichen Mitglied des europäischen Hochadels
im Sport-Einzeltraining in der Turnhalle
beim Heimweg durch den Park, wo zehn 40jährige Syrer stehen
nachts beim Umsteigen am Bahnhof, zehn 18jährige Afrikaner stehen
Das Gefühl der Unsicherheit wird – egal wie die Umfrage ausfällt – nicht unbedingt mit der Realität übereinstimmen. Daheim fühlt man sich natürlich sicher, obwohl doch sehr viele junge Frauen von männlichen Familienangehörigen missbraucht werden, da ist der Übeltäter sehr, sehr nahe. Der gleiche Sachverhalt trifft auch auf den Sporttrainer zu, hier denkt man, der tut einem nix, aber der Missbrauch im Sport ist noch einer der ganz grossen dunklen Sachverhalte. Und ein gekröntes Haupt? Das muss doch anständig sein, vorbildlich, ritterlich, beschützend, es muss «höflich» sein (schliesslich kommt das Wort von «Hof»). Menschen wie Prinz Andrew, der ehemalige spanische und der jetzige schwedische König zeigen, dass das eben nicht so ist.
Und die Syrer und die Afrikaner? Würde ich meine Hände ins Feuer legen? Natürlich nicht, schliesslich sind es – auch Männer. Wobei ich glaube, dass 18jährige vor toughen Frauen eine unglaubliche Angst haben.

Müssen wir also unser «Stadtbild» ändern? Alle rausschmeissen? Alle reinlassen? Wir müssen gucken, dass alle Menschen, egal woher, egal wo, egal wie, sich an die Spielregeln halten – nicht mehr und nicht weniger.

Noch eine nette Anekdote zum Abschluss: In der U-Bahn neulich in Berlin stehen junge Araber für uns drei «Alten» auf. Ohne Verzögerung, mit freundlichem Lächeln. Der eine erklärt uns (in makellosem Deutsch mit Kreuzberger Akzent), da, wo er herkomme, habe man Respekt vor dem Alter und benehme sich auch so.
Ist das jetzt gut oder schlecht? Soll er dieses prächtige Verhalten ablegen und sich «integrieren»? Denn bei uns steht man ja nicht mehr auf, er sei denn, die 90jährige mit Stock bittet flehentlich darum…



Freitag, 24. Oktober 2025

Berlinreise (2): Von Busverspätungen, Schwimmbädern, Amazon und tollem Theater

So, hier noch die versprochene zweite Ladung an Berlin-Impressionen, einfach mal so, ohne konkrete Abschnitte und Überschriften...

Ich ging jeden Morgen schwimmen. Das ist nun nix Neues, nix Spannendes. Spannender ist vielleicht nur, wohin ich ging. Ich fuhr nämlich jeden Morgen mit dem 194 von der Haltestelle Pflügerstrasse zum Ostkreuz und von da mit der S-Bahn zum Bahnhof Springpfuhl, um am Helene-Weigel-Platz in die Schwimmhalle Helmut Behrend zu gehen.

Warum ?
Weil in Berlin eine Schwimmbad-Wüste ausgebrochen ist. Berlin hat fast 40 Hallenbäder, davon sind etliche wegen Renovierung geschlossen, etliche öffnen erst am Nachmittag, etliche sind nur von 6.00 – 8.00 geöffnet, um dann Schulen und Vereinen zur Verfügung zu stehen. Die nächste Schwimmhalle von der Pflügerstrasse wäre das «Wellenbad am Spreewaldplatz», das zurzeit saniert wird (nachdem es seit gefühlt 8 Jahren geschlossen ist, die erste Zeit überlegte man, ob man das Geld findet, das brauchte eine ganze Weile, nun wird es sicher bis 2040 nicht zugänglich sein).

Nach Marzahn also. Man könnte von der Pflügerstrasse auch einfach sitzenbleiben, dann würde die Reise aber 70 Minuten gehen (eine Strecke). Besser ist es natürlich, vom Bus auf die S-Bahn zu wechseln.
Denn:
Die Busse in Berlin sind eine Katastrophe. Ich habe mir während der Woche an der Spree geschworen, nie mehr, niemals mehr, zu keiner Zeit und an keinem Tage über die Busverbindungen der BVB zu lästern. (Zur Erklärung: Die BVB sind die Basler Verkehrs-Betriebe, die BVG ist die Berliner Verkehrs-Gesellschaft.) In Berlin gibt es zwar Busfahrpläne, aber die sind reine Fiktion, dass ein Bus wirklich zur auf dem Zettel angegebenen Zeit erscheint, ist zum letzten Male am 4. Juni 2015 passiert, auf der Linie 109 an der Haltestelle U-Bahnhof Uhlandstrasse.

Wenn ich am S-Bahnhof Ostkreuz die Treppe hinunterkam, konnte ich an der Anzahl der Menschen erkennen, wie viele Busabfahrten man im Rückstand war. Oft kamen dann drei bis vier Busse hintereinander.
Fand man aber in Bus 1, Bus 2, Bus 3 oder Bus 4 einen Platz, dann war noch längst nicht gesagt, dass Bus 1, 2, 3 oder 4 nun auch tüchtig weiterkommen. Eine Fahrt, die auf der App mit 30 Minuten angegeben wird, kann locker, locker, locker 60 Minuten dauern.
Vier Faktoren beeinträchtigen das ordnungsgemässe Fahren der Linien:
zähflüssiger Verkehr
parkende Autos
Umleitungen
Fahrradfahrer

Und natürlich Lieferverkehr – vor allem Amazon!
Für Leute, die auf dem Land leben, auf dem Dorf, die sozusagen zwischen Scheune und Kuhstall ihr Leben fristen, und für die jede Fahrt in die Stadt ein Riesenaufwand ist, der auch Zeit kostet, Zeit, die man mit den Kindern verbringen könnte oder zum Fenster putzen, ist das ja ok. Aber in der Metropole?
Die Anzahl aller Läden in Berlin kann man natürlich nicht eruieren. Aber das Internet nennt mir über 200 Buchläden. Also ca. 16 in jedem Bezirk und ca. zwei in jedem Ortsteil. Kein Grund, irgendetwas bei Amazon zu ordern. Denn das ist ja das Paradoxe: Die Touristen freuen sich so, endlich einmal richtig shoppen zu gehen, denn zuhause gibt es ja nix mehr, keine Läden, weil alle alles online bestellen, aber hier in Berlin…aber wehe, die Ansässigen hier machen das Gleiche wie die in Pasewalk oder Jüterbog.

Wir waren in vier (in Worten vier, in Zahlen 4) wunderbaren Vorstellungen. «Das Dinner» im Deutschen Theater, «Die Möwe» in der Schaubühne (mit einem unglaublich riesigen Baum als Bühnenbild), bei «Familie Flöz» im BE (eine Truppe, die pantomimisch mit Masken spielt, unglaublich gut) und in der «Zauberflöte» in der Deutschen Oper. Alles kraftvolles, vitales, spannendes, alles gekonntes und erfreuliches, alles professionell gemachtes Theater, das nur zwei Fragen zurücklässt:
Warum geht das anderswo nicht genauso? / Zum Beispiel in Basel?
Warum will man das kaputtsparen? (Man hat lange nix gehört, aber es ist zu hoffen, dass der Kultur-Rotstift wieder in der Versenkung verschwindet…)
Dass die Papagena beim Mozart zwei ihrer Einsätze verpasste, schmälerte die Begeisterung nicht, eine Papagena muss ja vor allem schauspielern, die junge Koreanerin bekam dennoch Bravorufe, obwohl etliche Töne fehlten.

So, das waren ein paar Impressionen von der Spree und von der Havel.
Berlin ist immer eine Reise wert.









 

Dienstag, 21. Oktober 2025

Berlinreise (1): Vom Botanischen Garten oder: Die Viktoria-Seerose ist ein Märchen


Ach, werden Sie sagen, jetzt ist der schon wieder vereist, ist der eigentlich nie daheim, hat der immer Urlaub? Sie vergessen vielleicht, dass schon wieder Zeit vergangen ist, und Sie vergessen eines: Die Tournee nach Tschechien und Polen war kein Urlaub, auch wenn es schön war, eine Konzertreise mit 70 Sängern und sechs Konzerten ist Arbeit.
Nun aber waren wir eine Woche in Berlin, und da will ich Sie doch ein bisschen teilhaben lassen. Heute wird es um den Botanischen Garten gehen.

Zum Botanischen Garten habe ich eine besondere Beziehung. Meine Mutter wuchs in Lichterfelde in der Tulpenstrasse auf (in der Nähe des Parkes heissen alle Strassen nach Blumen) und der Botanische Garten war eines der wichtigsten Spaziergangziele – wenn Grosspapa vom Büro nach Hause kam, dann war immer eine Stunde Spaziergang angesagt. Aber auch wenn man mit S-Bahn wegfuhr, dann war «Botanischer Garten» der nächste S-Bahn-Bahnhof.

Ich war sicher in meiner Kindheit etliche Male im Hortus Botanicus, ich kann mich aber daran nicht mehr erinnern. Im 21. Jahrhundert war ich dreimal dort, einmal mit meinem Ex (merkwürdigerweise kann er sich nicht mehr an diesen Besuch erinnern...), zweimal mit meinem jetzigen Partner.

Beim ersten Mal gingen wir durch den ganzen Park inklusive Gewächshäuser – nur die Attraktion der Einrichtung, der Star der Truppe, die Schönheit schlechthin war nicht zu sehen, weil ihr Bassin leckte: Victoria cruziana, die Riesenseerose, auf deren Blättern ein Kleinkind sitzen kann.

Beim zweiten Male kamen wir nicht weit, von der Tulpenstrasse herkommend, kamen wir bis zu den Absperrungen, die niemand zu den Gewächshäusern liessen, wir gingen dann einmal um den Teich, um dann im wunderbaren «Landhaus» Aprikosenkuchen zu essen. Natürlich sahen wir auch jenes Mal die Attraktion der Einrichtung, der Star der Truppe, die Schönheit schlechthin nicht.

Dieses Mal freuten wir uns aufs Landhaus und den Aprikosenkuchen, der, da wir vom Königin-Luise-Platz ausgingen, der Endpunkt sein sollte. Das Restaurant war aber geschlossen, wir machten dann im Café Viktoria im Gewächshaus eine Pause, auch dort war der Kuchen (nicht Aprikose, sondern Zwetschge) herrlich – liegt wahrscheinlich daran, dass die Beizen vom gleichen Mensch betrieben werden. Und die Attraktion der Einrichtung, der Star der Truppe, die Schönheit schlechthin? War auch im Oktober 2025 abgeriegelt, wieder leckte ein Becken.

Fazit:
Bitteres Fazit:
Die Attraktion der Einrichtung, der Star der Truppe, die Schönheit schlechthin, die Riesenseerose Victoria cruziana mit ihren 3 Meter durchmessenden Blättern, die 100 Pfund tragen, sie existiert nicht.
Es ist ein Fake.
Eine Lüge.
Alle Menschen, die behaupten, sie gesehen zu haben, lügen. Sie lügen so, wie die Tausenden von Touristen, die auf der Wartburg den Lutherschen Tintenfleck gesehen haben wollen. Den es ja auch nicht gibt.

Aber die Wahnsinns-Kakteen, die herrlichen Farben der Blumen, all das Grün und Oliv, das alles ist ja auch ganz schön.
Heiter waren für uns noch zwei Schilder. Das erste prangte im Gewächshaus:

BITTE SETZEN SIE KEINE HAUSTIERE IN DEN GEWÄCHSHÄUSERN AUS

Anscheinend kommt es ständig vor, dass Besucher ihre Wellensittiche, ihre Schildkröten, Zierfische und Reptilien einfach irgendwo im Botanischen Garten lassen. Sie haben das Gefühl, dass ihre inzwischen ungewollten und ungeliebten Lieblinge dort in Steglitz ganz gut passen würden. Was man nicht bedenkt, sie finden meist keine Nahrung, und das Klima stimmt auch nicht immer, die Tiere gehen erbarmungslos ein. Es schon absurd, auf was für Ideen die Menschheit kommt...

Das zweite Schild, war noch skurriler. Auf einer Fussgängerbrücke über den Amerika-Teich war zu lesen:

!!!!!!!!
AUF DER BRÜCKE MAX. 10 PERSONEN ZULÄSSIG
---------
MAX. 10 PERSONS ALLOWED ON THE BRIDGE

Oh, armes Deutschland, wenn nun auch die Fussgängerstege marode sind und die Belastung begrenzt werden muss. Später diskutierten wir dann noch die Frage, wie man feststellt, wenn die Brücke kracht und die Versicherung nicht zahlt, WER die 11. Person war...

Insgesamt muss man aber sagen, der Botanische Garten ist einer der schönsten im deutschsprachigen Raum und ein absolutes Muss. Gehen Sie hin! Besuchen Sie ihn! Aber erzählen Sie mir nicht, Sie hätten die Seerose gesehen...

So viel für heute, am Freitag die zweite Ladung.


Freitag, 17. Oktober 2025

Losverfahren! Wir sollten überall auslosen

O Fortuna
wie der Mond
von wechselhafter Art!

Die deutsche Bundesregierung hat eine fundamental tolle Idee in die Runde geworfen und auf den Weg gebracht:
Die Männer, die in den Wehrdienst müssen, sollen ausgelost werden.
Nach einigem Nachdenken und Grübeln, nach einigem Stirnrunzeln finde ich inzwischen, dass das gar keine schlechte Idee ist. Nein, man sollte das Losverfahren auf ALLE Bereiche des täglichen und öffentlichen Lebens anwenden. Ich möchte Ihnen hier einige Beispiele vorstellen.

RENTE

Die Rentenkassen sind leer? Die neue Idee: Die Renten werden ausgelost. Das Verfahren wird auf folgende Art vor sich gehen:
Mit 65 beantragen Sie nach vielen, vielen, vielen Jahren Arbeit in die Rente zu gehen. Ihr Name kommt in die Lostrommel. Nun wird gezogen, und zwar in einem Verhältnis 1 zu 2, das heisst auf ein Los «Rente» kommen zwei Lose «Nichtrente». Die 33,33% Glücklichen kommen in eine neue Lostrommel, die anderen arbeiten weiter. Jedes Jahr können diese nun wieder eine Rente beantragen und auf die Lotterie hoffen. Allerdings gibt es eine Deckelung des Alters, mit 80 bekommt dann doch jede und jeder sein oder ihre Rente – wenn er oder sie dann noch lebt, aber das ist eben Fortuna!
Und die Glücklichen? Ja, die müssen noch einmal in die Lostrommel, denn nun wird die Höhe der Rente gezogen. Es gibt (zu gleichen Teilen) 30%, 40%, 50% und 60% des letzten Gehaltes. Wem das nicht reicht, der darf natürlich auf die Rente verzichten und das nächste Jahr noch einmal das Glück versuchen. Aber Achtung! Aber Achtung! Man kommt wieder in die ERSTE Trommel, also muss man sich überlegen, ob man nicht jetzt eine Rente von 30% akzeptiert, bevor man nächstes Jahr gar nichts hat.

O Fortuna!
Stets nimmst du zu
und nimmst du ab;
schmähliches Leben!

STEUER

Es wird seit langem diskutiert, ob man die in Deutschland ausgesetzte Vermögenssteuer nicht wieder einführen soll.
Ja, unbedingt wieder einführen, aber per Los! Und das geht folgendermassen:
Jedes Jahr wird zunächst ein Steuersatz gezogen (von 10% bis 70%). Die Ziehung des Steuersatzes wird zum medialen Ereignis hochstilisiert und zu einer kleinen Fernsehshow, man könnte die legendäre Karin Tietze-Ludwig wieder engagieren, sie ist ja erst 84 und sieht immer noch blendend aus, und sie würde mit ihrem legendären Lächeln die magischen Worte sprechen:
«Der Aufsichtsbeamte hat sich vor der Sendung vom ordnungsgemässen Zustand des Ziehungsgerätes und der Kugeln überzeugt.»
Ist der Steuersatz festgelegt, dann werden aus den 100 reichsten Leute in der BRD die gezogen, die Vermögenssteuer in diesem Jahr zahlen müssen.

O Fortuna!
Erst misshandelst
dann verwöhnst du
im Spiel des Geistes Schärfe.
Dürftigkeit,
und große Macht
lässt du wie Eis zergehen.

ORGANSPENDE

Ja, ja, ja, auch hier! Wir haben zu wenig Spenderleber, Spenderniere, Spenderherz, Spenderlunge. Was liegt näher, als uns Spenderleber, Spenderniere, Spenderherz, Spenderlunge durch ein Losverfahren zu sichern. Sobald der Totenschein ausgefüllt ist, wird ausgeknobelt, ob die Organe zu Verfügung stehen. Klar ist, dass nur tote Menschen in die Lotterie kommen, es wird also niemand – wie bei Monty Python – vor Ihrer Tür stehen und ihre Leber, Ihr Herz oder Ihre Niere wollen.

Furchtbares Schicksal du
und eitles,
du kreisendes Rad,
schlimm dein Wesen,
nichtig dein Glück.

Aber – wenn wir jetzt so weit gedacht haben – warum losen wir nicht die ganzen Politiker aus und lassen das mit den Wahlen? Warum nicht? Denn – mal ganz ehrlich:
Schlechter als diese Bundesregierung könnte eine AUSGELOSTE es auch nicht machen…



Dienstag, 14. Oktober 2025

Überall Openair! Der Offenluft-Unsinn

Wir haben im August im Raum Passau die Burg Mumpfing angeschaut. Bei einer Führung im kleinen Kreis (wir waren nur 8 Personen) erklärte Johannes Alois Duppler-Fidelmoser, der Leiter der Burg, die Geschichte der Grafen von Mumpfing und die baulichen Eigenheiten der Anlage, die mit Burggraben, Zugbrücke, mit Mauern und Zinnen, die mit einem 20 Meter hohen Turm und einem Palas aus dem 12. Jahrhundert doch recht imposant ist. Am Ende konnten wir Fragen stellen. Es gab nun einige Dinge zu Geschichte und Architektur, aber dann kam die Frage, die den Guide kurzfristig sprachlos machte:

«Wann sind die Konzerte?»

Es stellte sich heraus, dass die Fragende davon ausging, auf jeder Burg und auf jedem Schloss, in jedem Kreuzgang und in jedem Kloster fänden Open Air-Konzerte statt. Und so ganz unrecht hat die Dame ja auch nicht. Johannes Alois Duppler-Fidelmoser musste der Enttäuschten mitteilen, dass auf Burg Mumpfing eine solche Konzertreihe noch nicht geplant sei.
Ihr Erstaunen war grenzenlos.

Beim an die Führung anschliessenden Imbiss, ein Imbiss, der dort «Brotzeit» genannt wird, fingen wir an, eine Konzertreihe für Burg Mumpfing zu planen. Bei der angeregten Diskussion stellte ich fest, dass alle acht Führungsteilnehmer davon ausgingen, die Musik müsse zum Ambiente passen, man müsse also auf einer Anlage, die mit Burggraben, Zugbrücke, mit Mauern und Zinnen, die mit einem 20 Meter hohen Turm und einem Palas aus dem 12. Jahrhundert doch recht imposant ist, auch entsprechende Stücke finden. Das könne allerdings ein Mittelalter-Programm mit Fidel und Flöte und viel Schlagwerk genauso wie ein Programm des Historismus bedeuten, ebenso könne man sich auch einen kompletten Avantgarde-Abend denken, quasi im Kontrast.

Mit unserer Planung – das musste ich nun den anderen Teilnehmenden sagen – waren wir den meisten Open Air-Standorten voraus. Da heisst es nämlich:
Bekanntes Orchester
Solisten mit vielen Preisen
Stücke, die allen gefallen
Melodien zum Mitsingen
Ob irgendwas zu einer Anlage, die mit Burggraben, Zugbrücke, mit Mauern und Zinnen, die mit einem 20 Meter hohen Turm und einem Palas aus dem 12. Jahrhundert doch recht imposant ist, passt, ist wurscht.

Einer der seltsamsten Abende lief neulich auf 3sat: Die Mezzosopranistin Elīna Garanča sang, begleitet vom Kammerensemble CHAARTS, Stücke aus «Carmen». Dazu spielten die Musiker Sätze aus den Carmen-Suiten. Alles phänomenal. Alles grandios. Die Sängerin IST einfach die Carmen und die Musiker waren super – ohne Dirigent.
Und wo fand das Ganze statt?
Auf Neuschwanstein.
An diesem Ort, pseudogotisch und mittelaltergetränkt, passte der Bizet wie eine mediterrane Tarte neben eine Rindsroulade. Zudem regnete es die ganze Zeit und es war kalt, die Zuschauer waren in Regenumhänge gehüllt und die Musiker hatten Schaffell überm Frack, was dem Ganzen noch zusätzlich eine skurrile Note verlieh.

Auf jeder Burg, auf jeden Platz gab es diesen Sommer ein Offenluft. Dabei muss man, müsste man ja eigentlich stets von einem Halb-Offenluft reden; denn die Musiker sind immer unter Dach, das Publikum ist Wetter und Stürmen ausgesetzt.
Hier zeigt sich ein dann ein kleiner Unterschied zwischen Klassik-Offenluft und Rock/Pop-Offenluft:
Bei Klassikkonzerten liegt der Grund für die Abdeckung der Musiker in dem Wert ihrer Instrumente, wer könnte es verantworten, wenn eine sauteure Geige, ein teurer Flügel, ein unbezahlbares Horn dem Regen anheimgegeben würden? Kein ernstzunehmender Musiker ist bereit, bei Regen und Schnee zu spielen. Auch die Zuhörerinnen und Zuhörer machen sich da nicht gut, man hat ja schliesslich keine Sommerhemden und Kleider von Armani und Gucci gekauft, um sie unter Regenumhängen und Pelerinen zu verstecken.
Anders bei Rock/Pop-Konzerten, hier ist es die Technik, die die Bands unter das Dach zwingt, wer schon einmal einen Kaffee auf seinen Computer geleert hat, weiss, wie stark Elektronik unter Nässe leidet; das Publikum allerdings ist hier anders, Regen, Schnee, Sturm, Hagel, Wind gehören dazu, man WILL nass werden, man WILL im Schlamm baden, man WILL es kalt haben. Ein Wacken ohne dreckige Kleider, ein St. Gallen ohne Regen und Sturm wäre nur der halbe Spass…

Aber ist das ganze Offenluft nicht Quatsch? Schon nach dem ersten hätte man aufhören sollen. Das fand nämlich vor 4000 Jahren im heutigen Palästina statt. Die Josua Brass Combo spielte vor Jericho. Mit verheerenden Folgen für die Stadt, sie haben sicher davon gehört. Im Mittelalter durften deswegen Blech und Schlagzeug ihre Openairs nur VOR der Kirche machen, innen wurde schöne und leise Musik gemacht.

Wir haben im August im Raum Passau die Burg Mumpfing angeschaut. Und der Burgführer Johannes Alois Duppler-Fidelmoser machte uns klar, dass auf SEINER Burg der Offenluft-Unsinn nicht mitgemacht würde.