Freitag, 28. Juni 2024

Was machst du in den Ferien?

«Was sind deine Pläne für die Ferien?», so werde ich in diesen Tagen gefragt. «Es gibt keine.» So lautet meine – nicht ganz korrekte – Antwort.

Mit «Plänen» meinen die Leute natürlich Reisen. Lange Reisen. Grosse Reisen. Weite Reisen. Reisen, zu denen die 5 Sachen gehören, die ich in den Südamerika-Posts erwähnte: Geld wechseln, Pass nötig, langer Flug, ewiger Grenzübertritt und Impfung. So gesehen machen wir nix. Gut, eine Woche Stuttgart mit Ausflügen in die Umgebung, jene Umgebung, die mein Partner noch nicht kennt und die ich auch schon 30 Jahre nicht gesehen habe: Marbach, Esslingen, Ludwigsburg. Aber für viele zählt das eben nicht, weil man für Baden-Württemberg keinen Pass benötigt, kein Geld wechseln muss, man muss sich nicht impfen lassen und kann nicht fliegen.

«Was sind deine Pläne für die Ferien?», so werde ich in diesen Tagen gefragt. «Es gibt keine.» So lautet meine Antwort.

Warum muss man eigentlich im Sommer wegfahren? (Oder wegfliegen) Wenn ich um 10.00 in meinem geliebten St. Jakob-Bad (genannt das Joggeli) bin, dann ist es das zehnmal schöner als in jedem Hotel auf Gran Canaria. Ich habe eine Bahn für mich allein, ich habe ca. 70 qm Liegefläche, die Sonne scheint, die Vögel singen und in der Cafeteria bekomme ich einen Espresso ohne anzustehen. Und am späteren Nachmittag macht man dann noch einen langen Spaziergang am Rhein entlang, der eh jeden Ganges und Nil toppt, und abends isst man mit Blick auf Park neben blühenden Hortensien. Auf dem eigenen Balkon.

«Was sind deine Pläne für die Ferien?» «Es gibt keine.» So lautet meine – nicht ganz korrekte Antwort.

Ich weiss, dass das alles jetzt furchtbar spiessig klingt. Aber ich bin in einem Alter, in dem man sich jede Spiessigkeit erlauben kann. Und wenn Sie mir jetzt sagen, dass ich wahrscheinlich den Juli und den August mit Arztterminen vollgepflastert habe…
Dann haben Sie völlig recht.
Ich beginne am 8. Juli mit einer Darmspiegelung. Die spendiert nämlich der Kanton, und ich bin – trotz meines langen Aufenthaltes in der Schweiz – immer noch so ein Schwabe, dass ich Dinge, die es gratis gibt, nicht auslassen kann. Ausserdem soll man ja, wenn man über 55 ist… Wobei das eine seltsame Sache ist: Einerseits schiessen die Gesundheitskosten immens in die Höhe, immer mehr und immer mehr, andererseits müsste ein Mensch über 55 praktisch die ganze Zeit beim Doktor verbringen; aber nicht, weil er krank ist, nein, sondern weil er routinemässig seinen Körper zum Abchecken preisgibt: Darmspiegelung, Magenspiegelung, Blutwerte, dermatologische Untersuchung, urologische Untersuchung, Blutwerte, Augeninnendruck, Sehtest, Blutwerte, Dentalreinigung und Zahnkontrolle. (Das klingt jetzt fast wie ein Rap, vielleicht sollte ich einen Text für die Fanta 4 machen, immerhin sind die ja Smudo und Thomas D auch schon in dem Alter, also ganz korrekt ist Smudo am 6. März 56 geworden und Thomas D wird das am 30. Dezember.)
Darmspiegelung also, dann lasse ich aber Magenspiegelung aus, auch den Dermato- und Urologen, auch den Augenarzt, ich begebe mich im August noch zu einer Blutwertekontrolle nach einer Eiseninfusion vor 2 Wochen und Zahn mache ich auch noch.

«Was sind deine Pläne für die Ferien?», so werde ich in diesen Tagen gefragt. «Es gibt keine.» So lautet meine – nicht ganz korrekte Antwort.

Die Frage ist überhaupt, warum diese Frage gestellt wird.
Vielleicht einfach aus nagender Neugier. Man hat sich ja inzwischen daran gewöhnt, dass man via Instagram oder Facebook einfach alles über den anderen oder die andere weiss. Und da alle sonstigen Leute schon längst ihre Pläne gepostet haben, Fotos der «supergeilen Beach-Ressorts», die sie gebucht haben, Fotos der Städte, die sie bereisen werden, ja zum Teil sogar Bilder ihrer Flugtickets, sind natürlich Leute, die sich bis Juni in Schweigen hüllen, unglaublich nervend. («Wo fährt der Rolf eigentlich hin? Wieso weiss ich das nicht?»)
Vielleicht aber auch aus dem guten Gefühl, das sich ergibt, wenn man etwas Tolleres vorhat als der andere, wenn die eigene Reise ganz aufregend wird im Lichte der kleinen anderen. Der Schuss kann natürlich nach hinten losgehen, nehmen wir an Andreas hat «nur» Südfrankreich gebucht und fragt mich, wo ich hinfahre, und ich sage «Stuttgart», dann kommt er sich wie der Weltreisende vor; sage ich allerdings «Marianen», dann hat er verloren…

Ich werde gefragt, wie meine Pläne für die Ferien lauteten, und ich muss offen und ehrlich zugeben, dass es keine solche gebe – was nicht ganz korrekt ist.

An einem wunderschönen Tag im Juli (oder August), nicht am 8. 7. (Darm), auch nicht am 5. und 7. 8. (Eisenkontrolle und Nachbesprechung), auch nicht am 6. 8. (Zahn), werden wir noch eine längere Tagestour mit der SBB machen – Ziel noch unbekannt. An jenem Tag werden wir ein befreundetes Ehepaar einladen, nach Genf oder ins Tessin reisen und dabei die Tageskarten auf den Kopf hauen, die ich von der SBB als GA-Besitzer erhielt. Die Schweizer Bundesbahnen haben nämlich ob der immer schlechter werdenden Qualität ihres Angebotes ein so schlechtes Gewissen, dass sie mir ständig Gutscheine schicken.

«Was sind deine Pläne für die Ferien?», so werde ich in diesen Tagen gefragt. «Es gibt keine.» So lautet meine – nicht ganz korrekte – Antwort.
Denn:
Wenn ich zu der 1 Woche Stuttgart, meinen Arztterminen und der SBB-Reise noch ein paar Einladungen und das Umräumen unseres Räumchens rechnen, wird in diesen 5 Wochen doch ganz schon viel los sein…

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

  

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Dienstag, 25. Juni 2024

Wir klicken zu schnell

Die Fritz-Meier-Stiftung erhielt eine Anfrage der «Jugendkapelle Hochhausen», in der sie um die Finanzierung eines Schlagzeugs, auch genannt Drumset, gebeten wurde. Abgeschickt wurde diese vom Präsidenten mit sämtlichen Vorstandsmitgliedern im CC. Hugo Müller, der Präsident, erwähnte in seinem Schreiben an Gerhard Schmidt, den Leiter der Stiftung, dass ja der Sohn von Johann Liebermann, einem Mitglied des Stiftungsrates, auch in der Jugendkapelle spiele, Trompete.
Nach einem Tag erschien eine Mail eines der Vorstandsmitglieder, in der er dem Präsidenten vorwarf, ein kleiner Schussel zu sein und Dinge zu verwechseln. Nicht der Sohn von Liebermann, die Tochter der Stiftungsrätin Lohmann spiele bei ihnen, und zwar Saxophon.
Blöderweise bekam das auch Schmidt mit, den der Gute hatte auf «Allen Antworten» gedrückt.

Ich selbst erhielt einmal eine SMS:
«Schickst du mir noch das Rezept für die Renaissance-Torte, die du zu Mamas Geburtstag gemacht hast?»
Tatjana
Zunächst stutzte ich sehr, denn ich kenne natürlich Tatjana, aber ihre Mutter kenne ich keineswegs, ich habe sie noch nie getroffen, ich habe auch erst recht nicht eine Renaissance-Torte zu deren Wiegenfest zubereitet, was auch immer eine Renaissance-Torte sein mag. Dann fiel mir der Name von Tatjanas Schwester ein, sie heisst Roxana. Die gute Tatty musste einfach um eins im Adressbuch ihres Handys verrutscht sein.
Das schrieb ich ihr dann auch:
«Willst du das Rezept von mir oder von Roxana? LG Rolf»
Und ich hatte recht.

Schwieriger war es für meinen Kollegen Hubert, der von Marc, einem Cellisten, mit dem er ein paar Mal zusammengearbeitet hatte – sie hatten damals Mailadressen ausgetauscht, um Fahrten zum Konzertort gemeinsam zu planen – vier Fotos geschickt bekam.
Es handelte sich um Körper-Detailaufnahmen. Sie verstehen, was ich meine? Nicht? Gut, dann muss ich deutlicher werden: Der Cellist hatte Bilder von seinem Penis gesendet. Nun ist Hubert durchaus schwul, und sicher nicht prüde, aber er hatte mit diesem Cellospieler nie wirklich geredet und auch kein Bier getrunken. Zudem waren die Fotos hässlich, denn das Glied schien wie von einer Hautkrankheit befallen. Und: Waren die Bilder überhaupt für ihn?
Wie geht man nun mit so einer Situation um? Ignorieren? Antworten? Und was? Hubert entschied sich für das Tür-ins-Haus-fallen-Modell:
«Lieber Marc. Du hast mir Penisbilder geschickt. Waren die für mich oder für jemand anders? Wenn sie für mich waren, dann muss ich dir sagen, dass mir dein Schwanz nicht gefällt, er sieht irgendwie krank aus. Gruss H.»
Es stellte sich dann heraus, dass Marc die Bilder jemand anderes schicken wollte, der Computer hatte Adressen angeboten, und Marc hatte falsch geklickt.
Der andere Adressat war übrigens ein Urologe, der Cellist litt wirklich an einer genitalen Dermatose.

Wir klicken zu schnell.
Wir klicken zu hastig.
Wir klicken zu unüberlegt.
Wir wählen aus dem Adressbuch und vertun uns sehr schnell zwischen «Jon» und «John» und «Jona» und «Joni».
Wir drücken ständig «Allen antworten» ohne zu schauen, wer eigentlich alles sich im Verteiler befindet.
Wir sind viel zu schnell.

Ein alter, weiser Mensch gab mir einmal den Rat: «Wenn du dich über jemand richtig ärgerst, dann schreibe ihm einen Brief, einen bösen, direkten, vielleicht auch frechen und bissigen Brief. Aber dann schicke ihn nicht ab! Schicke ihn nicht ab! Lege ihn auf deinen Schreibtisch, lasse ihn dort über Nacht liegen, schlafe gut und fest, und dann lese den Brief durch, und wenn du mit dem Inhalt immer noch einverstanden bist, dann kuvertiere ihn ein, frankiere ihn und bringe ihn zum Briefkasten.» Der gute, alte und weise Mann konnte sich damals nicht vorstellen, wie schnell man heute mit Reaktionen ist. Übrigens ginge das mit dem Über-Nacht-auf-dem-Schreibtisch-lassen auch heute, die Mailprogramme haben einen Ordner namens
ENTWÜRFE
den wir allerdings nur benützen, wenn uns die Zeit fehlt – oder wenn der ICE mal wieder in ein Funkloch fährt und wir nicht senden können.

Wir klicken zu schnell.
Wir klicken zu hastig.
Wir klicken zu unüberlegt.

Das machen sich ja auch die vielen bösen Menschen zunutze, die uns schreckliche Mails schicken.
Da haben wir angeblich eine Sendung bestellt, die jetzt im Zoll festhängt, und jetzt müsse man HIER einfach klicken…
Da ist das GA angeblich abgelaufen, und jetzt sind alle Zugänge gesperrt und alle Fahrten in allen Verkehrsverbünden unmöglich, und jetzt müsse man HIER einfach klicken…
Und bitte lachen Sie jetzt nicht über die Klicker, ich habe das auch getan, solange es um PayPal ging (ich habe kein PayPal), eine Erbschaft in Australien (ich habe keine Verwandte dort) oder meine Gebäudeversicherung (ich habe keine Immobilie), aber als neulich wirklich auf eine Sendung gewartet wurde, als es um das GA ging, das ich habe, da hätte ich fast – fast(!) geklickt, zum Glück merkte man schnell, dass rdxfdtebrk@gmail.com keine amtliche Adresse sein kann.

Wir klicken zu schnell.
Wir klicken zu unüberlegt.

Die Fritz-Meier-Stiftung hat übrigens der Jugendkapelle klargemacht, dass sie sehr an ihrem Informationsmanagement arbeiten müssen.
Und das Drumset dann doch bezahlt.



 



 

 

  

  

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Freitag, 21. Juni 2024

Es kam... Nemo

Am letzten Montag stand das kleine Städtchen Biel Kopf: Nemo präsentierte sich auf einer kleinen Bühne dem Volk und es gab Autogramme und Selfies für Jung und Alt. Schon Stunden im Voraus hatten die Leute ausgeharrt und vor allem die Vor-Teenager waren so aufgeregt, dass sie auf Befragung durch Journalisten, warum sie nun hier warteten, kaum einen geraden Satz hervorbringen konnten:
«Das isch so cool, so cool, so cool, igg bi so ufgrägt.»
«Mi Schwöschter mit em in d`Schuel…»
«Igg muess Selfie mitem»
«Kraaaaaiiiisch»
Man hatte das Gefühl, hier wäre der Papst zu einer Horde Nonnen in der Tundra gekommen, die seit drei Jahren keinen Geistlichen sahen, geschweige denn einen Bischof, und nun kommt Franziskus persönlich in die Schneesteppe.
Man hatte das Gefühl, hier warteten Groupies auf die wiedervereinigten Beatles, allen Unkenrufen zum Trotz, dass das ja ob des Todes gewisser Bandmitglieder nicht möglich sei.
Man hatte das Gefühl, Charles UND Silvia UND Willem-Alexander und noch ein paar Königinnen und Könige würden bald eintreffen und Spenden für die bedrohte Tierwelt sammeln.
Aber es war kein König, kein Beatle und auch nicht der Papst.
Es war Nemo.

Denn Nemo ist Bieler.
Ja, der Nemo, der den ESC gewann, den ESC gewann als erste non-binäre Person, kommt aus dem schnuckeligen kleinen Städtlein am gleichnamigen See.

Biel also.
Biel/Bienne ist eine Stadt im Schweizer Kanton Bern. Sie liegt am nordöstlichen Ende des Bielersees im Seeland und ist mit 55'070 Einwohnern die zehntgrösste Stadt der Schweiz. Biel ist die grösste zweisprachige Stadt der Schweiz und nach Bern die zweitgrösste Stadt des Kantons.
(Wikipedia)
Ich mag Biel sehr, aber das steht hier gar nicht zur Debatte. Dennoch mache ich mich sehr häufig über die Zweisprachigkeit lustig, die die lustigsten Blüten treibt. So behaupte ich, dass die Bielerinnen und Bieler auch zweisprachig träumen, quasi mit Untertiteln, aber das streiten sie natürlich ab. Fest steht aber, dass alle Haltestellen im Bus-Screen (Tram gibt es keines) immer in beiden Sprachen geschrieben werden, auch wenn es wirklich unnötig ist:
Dufourstrasse – Rue Dufour
Tellplatz – Place Tell
Zentrum – Centre
usw.
Aber wir schweifen ab…

Der Hype um Nemo, der sich am letzten Montag entlud, hat natürlich ganz klare wirtschaftliche Gründe. Man weiss, dass das Kennen eines Städtenamens immense Vorteile bringt.
Ein Beispiel:
Die Schmidt AG aus Wolfsburg und die Meyer AG aus Herford bewerben sich um einen Auftrag in Frankreich. Schmidt hat nun einen Riesenvorteil: Man kennt den Namen Wolfsburg, und was man kennt, muss ja irgendwie OK sein. Herford kennt man nicht, es sei denn, man hat in Geschichte promoviert, Schwerpunkt 17. Jahrhundert (es war immer wieder Schauplatz im Dreissigjährigen Krieg), aber welcher Firmenboss hat schon seinen Abschluss in Geschichte gemacht? Man kennt Wolfsburg, und man kennt es sogar als Industriestandort, dass Schmidt und Meyer in der Solartechnik arbeiten und nicht in der Automobilbranche, spielt hier keine Rolle.
Schmidt hat also bessere Chancen, nur weil man die Stadt kennt.

So ist nun auch die Begeisterung zu verstehen, die Zweitligisten in Deutschland auslösen, wenn sie in die erste Bundesliga aufsteigen und vielleicht und eventuell sogar in internationalen Ligen spielen.
Wer würde eine Maschine aus Hinterdübingen kaufen? Aber wenn man Hinterdübingen kennt, weil der FC Hinterdübingen letztes Jahr in die 1. Bundesliga aufgestiegen ist und nun auf Platz 5 es sogar mit anderen internationalen Vereinen zu tun bekommt, dann sieht das vielleicht anders aus.
Wer würde Software aus Vorderkotzingen kaufen? Aber wenn man Vorderkotzingen kennt, weil der EHC Vorderkotzingen letztes Jahr die deutsche Eishockey-Meisterschaft gewonnen hat, dann kann das alles ändern.

Es geht also um Wirtschaft und Geld.
Wie immer.
Und wenn Biel dann aus noch den Song Contest AUSTRÄGT, auch wenn man dafür erst eine Halle für 500 Millionen bauen müsste, das wäre gut investiertes Geld.

Am letzten Montag stand das kleine Städtchen Biel Kopf: Nemo präsentierte sich auf einer kleinen Bühne dem Volk und es gab Autogramme und Selfies für Jung und Alt. Schon Stunden im Voraus hatten die Leute ausgeharrt und vor allem die Vor-Teenager waren so aufgeregt, dass sie auf Befragung durch Journalisten, warum sie nun hier warteten, kaum einen geraden Satz hervorbringen konnten.
Und dann erschien der Sohn der Stadt – Nemo.
Und sang noch einmal sein Lied.

Es heisst übrigens «The Code», was eher auf die Verbindung zur Software schliessen lässt…







 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Dienstag, 18. Juni 2024

EM und Saufen?

Diese Geschichte ist jetzt wirklich wahr und passiert:
Vor Jahren wurde ich in Freiburg von einem Dortmund-Fan angesprochen, wo es eine nette Kneipe gebe.
Dies wäre ja eigentlich noch keine ungewöhnliche Sache gewesen, wenn nicht drei Dinge mich etwas stutzig gemacht hätten:
Erste Tatsache: Der BVB-Typ war schon knülledicht, er lallte und hatte auch Mühe, sich aufrecht auf den Beinen zu halten, er musste im ICE schon einige Bierchen und Korn zu sich genommen haben.
Zweite Tatsache: Es war erst 11 Uhr morgens.
Dritte Tatsache: Das Spiel Freiburg gegen Dortmund begann erst um 16.00.

Ich fragte mich nun schon, was dieser Fussballfan überhaupt an der Dreisam suchte. Denn – ganz frank und frei und ganz ehrlich gesprochen – wird er vom Spiel ja wenig mitbekommen haben. Irgendwann ist man ja so hackedicht, so zu, dass man vielleicht noch die Farben der Trikots erkennt, aber vom genauen Spielverlauf nichts mehr sieht. Und solche Finessen wie «Ecke oder nicht», «Elfmeter oder nicht» usw. kann man dann sicher nicht mehr beurteilen.

Ich denke, ich werde auch so etwas ihm geantwortet haben, so in der Richtung, dass es in der Innenstadt von Freiburg genügend Beizen gebe, dass er aber eine kleine Saufpause einlegen müsse, um dem Spiel folgen zu können.
Ich weiss nicht, wie es ausging. Eventuell hat er nur wenig von der Partie gesehen. Eventuell auch nix, weil er mit Alkoholvergiftung in der Uniklinik lag…

An diese Story musste ich wieder denken, als schon am Donnerstag die Schotten in München einfielen. «Wir saufen München leer» war ihr Schlachtruf, und weil sie dem dünnen bayrischen Bier nicht trauten – heisst nicht zutrauten, sie richtig knülle zu machen – hatten sie genügend Flaschen eigenen schottischen Whiskey mitgenommen.
Wie viel diese Herren (jawohl, es sind halt doch meist Männer) nun vom ersten Spiel der EM gesehen haben, das wissen die Götter. Gut, vielleicht war es auch gut, wenig zu sehen, so, wie die schottische Mannschaft auseinandergenommen wurde.

Es gehe um den Sport, erklären mir ernsthafte Fans immer wieder. Gut, wenn es nur um den Fussball und nicht um Saufen und Randale geht, könnte man ja die Stadien und die Umgebung der Stadien alkoholfrei machen. Nein, am besten die ganze Stadt: Wenn in X am Tag Y das Achtel- oder Halbfinale der EM stattfindet, dann gibt es in X einen Tag vor Y bis einen Tag nach Y kein Bier, keinen Wein und keinen Schnaps.

Nun könnte man mir zwei Dinge vorhalten:
Zum einen, dass ich vor drei Jahren über das Thema Alkohol noch ganz anders geschrieben hätte.
Geschenkt.
Stimmt natürlich.

Zum zweiten könnte man sagen, dass ja auch im Kulturbetrieb nicht immer allein die Kultur im Mittelpunkt stehe…

Schauen wir uns einige Bereiche doch mal an.
Die klassische Vernissage ist eine Ausstellungseröffnung in einer Galerie, bei der der Künstler anwesend ist, ein Kunsthistoriker eine launige Rede hält, der Galerist die Menschen begrüsst und auf die Gäste ein Buffet mit weissem Tuch, Unmengen an Schampus und Weisswein, sowie Nüsse, Schnittchen, Salzstängel und Cracker warten. Nun kann man immer wieder Leute beobachten, die zwar bei Weisswein und Schampus kräftigst zuschlagen, auch bei Nüsse, Schnittchen, Salzstängel und Crackern, die aber den Künstler ignorieren und auch dem Kunsthistoriker nicht zuhören. Und auch die Bilder würdigen sie keines Blickes. Und genau diese Leute trifft man aber auf fast jeder Vernissage. Sie sind am 4. Juni in der Galerie Meyer, am 11. Juni im Kunstraum Apoll, am 18. Juni in der Space Gallery und am 25. Juni im Forum Neue Kunst, und an keinem der Termine, nicht am 4. Juni in der Galerie Meyer, nicht am 11. Juni im Kunstraum Apoll, nicht am 18. Juni in der Space Gallery und nicht am 25. Juni im Forum Neue Kunst schauen sie die Kunstwerke wirklich an, sondern machen sich über Getränk und Büffet her. Und sind dann manchmal auch echt angeheitert, so angeheitert, dass sie Künstler, Galerist und Kurator erzählen, dass sie eigentlich schöne Blumenbilder viel, viel, viel, viel töller fänden wie das abstrakte Geschmier.

Wie sieht es bei der Oper aus? Wahrscheinlich sind hier die echten Fans doch mehr als bei der Bildenden Kunst. Denn Gläser müssen ja im Foyer bleiben, und wenn man keinen Verdi mag, dann sind zwei Stunden erster und zweiter Akt, zwei Stunden dritter und vierter Akt doch sehr, sehr lange, nur um vorher, hinterher und in der Pause sich mit Weisswein vollzuschütten.

Bei Rockmusik ist es allerdings anders, hier werden Alkohol und Drogen konsumiert, vor der Stage und auf der Stage. Und das muss man dem Fussball lassen:
Die Spieler sind alle nüchtern.
Alle.
Alle ohne Ausnahme. Wer nur ein Bier in der Kabine tränke, der wäre weg vom Fenster.

Vor Jahren wurde ich in Freiburg von einem Dortmund-Fan angesprochen, wo es eine nette Kneipe gebe. Der BVB-Typ war schon knülledicht, er lallte und hatte auch Mühe, sich aufrecht auf den Beinen zu halten, er musste im ICE schon einige Bierchen und Korn zu sich genommen haben. Es war erst 11 Uhr morgens. Das Spiel Freiburg gegen Dortmund begann erst um 16.00.

Man kann nur hoffen, dass das bei der EM die Ausnahme bleibt…