Freitag, 31. Januar 2025

Blut, Schweiss und Tränen

Ich bin von einigen auf den Passus «Blut, Schweiss und Tränen» angesprochen worden. Es scheint nicht mehr allen klar zu sein, wie es zu dem Dreiwortausdruck kam. Nun, da er so faszinierend ist, sei er hier noch einmal erklärt.

Zunächst das Merkwürdige: Eigentlich war es ein Vierer, nämlich «Blood, Toil, Tears and Sweat» (Blut, Mühsal, Tränen und Schweiss), der später zum Dreier verdichtet wurde. Churchill benutzte diese Ausdrücke am 13. Mai 1940 um die Menschen auf die kommende Zeit einzustimmen; und man gebraucht den Ausdruck einer Blut-Schweiss-Tränen-Rede immer wieder.
Was passierte im Mai 1940 im Unterhaus?
Etwas ganz Besonderes, ein Politiker sagte die Wahrheit. Er beschönigte nicht, er redete nicht von «Kleinigkeiten», von «Spaziergängen», Churchill sagte der Bevölkerung, die nächsten Jahre hielten für sie das Folgende bereit:
Blut
Mühsal
Tränen
Schweiss.

An dies sei doch einmal wieder erinnert, wenn wir uns die Damen und Herren in Berlin so anschauen. Verlogenheit scheint so sehr zur Politik in der BRD zu gehören, dass man das kalte Grausen bekommt.

Da ist die nette Dame, die einen Feldzug gegen alles gestartet hat, was nicht normale Familie ist, und eine normale Familie besteht aus Vater, Mutter und mehreren Kindern, auch einen Feldzug gegen praktisch alle Ausländer, dabei lebt sie mit einer Frau und deren Kindern als Ausländerin im Nachbarstaat.

Da ist die andere nette Dame, die ständig das Wort «Nachhaltigkeit» benutzt, dabei aber gefühlte 10000000000000 Meilen in der Weltgeschichte herumfliegt und jeden Tag ein neues Outfit trägt (unklar ist, was mit den alten Klamotten passiert…)

Da ist der Mann in den besten Jahren, der nicht müde wird, zu betonen, dass er den Kriegsdienst mit der Waffe verweigert hat, jetzt aber nicht umhin kann für Rüstungsausgaben von mindestens 3% des BIP zu plädieren. 

Da ist der andere Mann in den besten Jahren, der der Meinung ist, man müsse allen das Geld kürzen, die nicht von harter Arbeit leben, und man käme auch gut mit wenig Knete aus, er selbst entpuppt sich aber immer mehr als Luxusmenschlein, Hochzeit auf Sylt, fetter Schlitten, Wein-Kenner-Seminare und Mitgliedschaft im Golfclub.

Da ist der Industrielle, der vom (durch die Klimawandeldebatte hervorgebrachten) Boom bei den E-Autos profitiert, und zwar Milliarden schwer, und jetzt mit einer Regierung arbeitet, die den Klimawandel leugnet.

Da ist…
Da ist…
Da ist…

Die Reihe liesse sich beliebig fortsetzen.
Gut, das ist alles ein wenig überspitzt und ein wenig vereinfacht, alles ein bisschen pointiert, aber eine Glosse darf das.

Nun, wir müssen nun – wenn wir schon von allen Ehrlichkeit fordern – ehrlich sein. Churchill regierte in einer Art GroKo, eine Kriegskoalition, eine Regierung, die die verschiedenen Parteien und Ideologien vereinte. In dieser Situation darf man dann schon einmal ehrlich sein und die Wahrheit sagen.

Wenn man nämlich gewählt oder wiedergewählt werden will, dann ist das schwierig mit der Ehrlichkeit. Im Wahlkampf nach der Wende gab es zwei Politiker, der eine versprach «Blühende Landschaften» und malte ein vereintes, glückliches, schönes und reiches (!) Deutschland, das ganz ohne Mühe zu erreichen sei. Der andere (der Ehemann der Lady, die jetzt ihre eigene Partei gegründet hat) war ehrlich. Er hielt Blut-Schweiss-Tränen-Reden.
Und wer wurde gewählt? Der erste natürlich. Die Mär von Schwierigkeiten wollte niemand hören, Schwierigkeiten, die dann ja massiv kamen.
Wahlkampf ist also schlecht für die Ehrlichkeit. Aber das wussten Sie wahrscheinlich schon.
Was aber uns zur Ehrlichkeit zurückführen könnte, wäre Einheit und ein breiter Konsens.

Ich bin von einigen auf den Passus «Blut, Schweiss und Tränen» angesprochen worden. Es scheint nicht mehr allen klar zu sein, wie es zu dem Dreiwortausdruck kam. Kein Wunder, er wird ja auch nicht mehr benutzt. Interessant ist aber auch, dass das «Toil» («Mühsal») wegfiel, dabei wäre das ja nun spannend: Es ist das einzige Wort, das Aktivität ausdrückt, «to toil» heisst «sich abmühen», also schlicht und einfach sich anstrengen.
Was niemand will.
Aber was sicher nötig ist…



 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Dienstag, 28. Januar 2025

Gewalt als Integrationsvoraussetzung

Jaruslaw Bigotsch und Juroslaw Bogitsch kamen vor zwölf Jahren aus Grogusien in die Schweiz. (Für weitere Information www.grogusien.com )
Jaruslaw fand eine neue Heimat in der kleinen Gemeinde Tarpteln (SG), sein Kumpel Juroslaw kam in der Nachbargemeinde unter, in Tenzumt (SG), und alles wurde sehr gut. Sie fanden Arbeit, der eine in der örtlichen Bäckerei und der andere im Gemeindefuhrpark, sie lernten Deutsch und Schweizerdeutsch, und sie engagierten sich in Vereinen, Jaruslaw ist mit seinen muskulösen Beinen ein gefürchteter Stürmer für den FC Tarpteln, Juroslaw ist mit seinen 1,99 Metern im SC Tenzumt als Basketballer aktiv. Es war eine Bilderbuchgeschichte, bis…

…ja, bis sich vor fünf Jahren zwei Gruppen auf der Strasse von Tarpteln nach Tenzumt trafen.
Hier muss man nun kurz ausholen und berichten, dass sich die beiden Gemeinden spinnefeind sind. Niemand weiss genau, wieso, warum, weswegen und seit wann, aber die Feindschaft ist klar und deutlich. Einige Leute aus Tarpteln sagen, dass die aus Tenzumt 1876 einen Esel entführt hätten, diesen geschlachtet und gegessen, andere sagen, die aus dem Nachbarort hätten 1925 ihre Gülle in die Tarptelner Brunnen geleert. Einige Tenzumter behaupten, dass die aus Tarpteln sich 1899 ein Stück Land unter den Nagel gerissen hätten, andere, der Streit habe 1950 begonnen, als die zwei Schwinger aus den beiden Orten in der kantonalen Endrunde gestanden hätten, wobei man dem jeweils anderen Betrug vorwirft.

Es ist jedenfalls nicht leicht, dies zwischen Tarpteln und Tenzumt, und als es zu dem Treffen kommt, kann man schon schlimme Dinge ahnen. Beide Gangs, je 8 Männer, haben schon getrunken, sind ein wenig im Krawallmodus und es braucht nicht mehr viel.
Nun sind die beiden Osteuropäer, der eine in der Clique aus Tarpteln und der andere in der Clique aus Tenzumt, keineswegs erpicht, aufeinander einzudreschen. Sie versuchen zu deeskalieren. Es geht ihnen aber ein bisschen wie Tony in der «West Side Story», der auch das Schlimmste verhindern will, und dann doch Böses tut. Die Ermahnungen der beiden «Ausländer» heizen die Stimmung noch mehr auf, es kommt zu einer wüsten Klopperei, einer Schlägerei der übelsten Sorte, und am Ende haben sowohl Jaruslaw als auch Juroslaw einem Gegner die Nase gebrochen.
Die beiden Grogusier werden wegen Körperverletzung zu bedingten Strafen verurteilt (für Deutsche: auf Bewährung), da sie sich zuvor nie etwas zuschulden kommen liessen.

Nun sitzen beide (jeweils in ihren Gemeinden) in den Kommissionen, die für die Erteilung des Bürgerrechts zuständig sind, denn sowohl Jaruslaw als auch Juroslaw haben einen Antrag auf Einbürgerung in die Eidgenossenschaft gestellt, sie möchten den Schweizer Pass.
Hier muss meinen deutschen Lesern noch deutlich erklärt werden, dass in der Eidgenossenschaft die Gemeinde als politische und soziale Keimzelle eine entscheidende Rolle spielt, die Frage also ist, wie man sich in der Gemeinde, in der man wohnt, integriert hat, und diese sind viele kleiner als im «Grossen Kanton», es gab keine (saublöde) Gemeindereform.

Bei den Gesprächen mit den Gemeindeleuten kommt natürlich auch der Vorfall vor einigen Jahren wieder zur Sprache. Sie haben sich, so die Sprecher von Tarpteln und Tenzumt, natürlich zu Beginn falsch verhalten, hätten dann aber die Kurve noch gekriegt.
Man redet eine Stunde aneinander vorbei, denn die beiden Osteuropäer denken, dass «falsch» gleich Gewalt und «Kurve kriegen» gleich anständigem Verhalten in den letzten Jahren heisst, es braucht sehr, sehr, sehr lange, bis die beiden begreifen: Der Deeskalationsversuch war der Fehler, die gekriegte Kurve war der Nasenbeinbruch!
Eine dauerhaft gepflegte Feindschaft zum Nachbarort gehört zur eindeutigen Leitkultur der beiden Gemeinden.

Ja, liebe Leserin und liebe Leserin, das ist nun einmal so, wir reden viel von «Integration» und von «Leitkultur», aber wenn wir die Begriffe einmal genauer ansehen, dann schwimmen sie uns davon. Kann man nun wirklich sagen, dass es zum kulturellen Erbe von Tarpteln (SG) gehört, den Leuten im Nachbardorf auf die Fresse zu hauen? Weil die 1876 einen Esel entführten oder 1925 Gülle in die Brunnen leerten? Kann man sagen, dass es Kulturerbe der Tenzumter (SG) ist, den Menschen im anderen Ort die Nase zu brechen? Weil die 1899 sich ein wertvolles Stück Land unter den Nagel gerissen haben oder 1950 beim Kantonalen Schwingfest betrogen haben?

Ich habe vor einigen Jahren in einem Stuttgarter Hotel eine muffige, schlechtgelaunte, eine einsilbige und wortkarge, eine bruddelnde und maulende Rezeptionistin erlebt: «Was wellet Sie?» «Ich habe ein Zimmer reserviert.» «De Ausweis!»… Das Besondere war: Die Dame war Chinesin. Sie hatte nicht nur Schwäbisch gelernt, sondern auch alles Lächeln und alles Asiatisch-Höfliche abgelegt, und sich die muffige, schlechtgelaunte, die einsilbige und wortkarge, die bruddelnde und maulende Art der Nesenbach- und Neckartäler angewöhnt.
Dumm, dass gleichzeitig die Stuttgarter im Dienstleistungsbereich sich in Richtung Freundlichkeit entwickelt haben…

Schön, dass Basel eine wunderbare «Leitkultur» hat, friedlich, bunt, traditionell, stimmungsvoll und UNESCO-zertifiziert.
Am 10. März ist es wieder soweit.






 

 

 

 

 

 

 

 

  

 

Freitag, 24. Januar 2025

Kleinbasler Zeitung "auch fürs Grossbasel"?

«Du hast doch so viele Ideen, schreibe doch öfters», rät mir mein Kumpel Piet, als wir im Café Georg bei einem Tee und einem Mohnkrapfen zusammensitzen, «schreibe doch mehr, du könntest doch auch drei- oder viermal in der Woche etwas schreiben.» «Und wie soll das gehen?», frage ich, während ich einen grossen Schluck nehme, «das Ding heisst ja nun einmal Dienstag-Freitag-Glosse und das impliziert nun doch, dass es ZWEIMAL in der Woche erscheint.» «Na», schmunzelt Piet und er hat auch schon eine Lösung:
DIENSTAG-FREITAG-GLOSSE – JETZT AUCH AM MITTWOCH UND AM SONNTAG.
Ich verschlucke mich an meinem Mohnkrapfen und Piet muss den Heimlich-Griff anwenden, damit ich nicht im Café Georg mein Leben beende und dann weder am Dienstag, noch am Mittwoch, weder am Freitag noch am Sonntag mehr schreibe.
(Kleine Randbemerkung: Der Heimlich-Griff heisst nicht so, weil er heimlich angewendet wird, sondern weil ihn der amerikanische Arzt Henry J. Heimlich 1974 beschrieben hat.)

Auf dem Heimweg denke ich an «Millionär», das zweite Buch von Tommy Jaud – ja, ich lese auch solche Sachen, wie jeder Mensch, ich gebe es aber (im Gegensatz zu den meisten) zu – in dem der Protagonist, arbeits- und freundlos wie er ist, sich jeden Morgen in ein Internetcafé begibt, um dort Hotlines und Callcenter anzurufen und sich über die Produkte zu beschweren. So sind die Salzstangen nicht salzig genug und die Chips kommen nicht aus der Packung und das Waschpulver ist zu gelb und die Zahnpasta zu weiss. Eines seiner liebsten Das-regt-mich-so-auf-Themen ist eine Saucenmischung speziell für Blumenkohl, auf der «jetzt auch für Broccoli» gedruckt steht. Er diskutiert eine geschlagene halbe Stunde mit der Mitarbeiterin, wie das sein kann.

Aber wie kann das eigentlich sein? Teilweise ist ja – wie bei der Glosse – die Einteilung schon im Namen, wird gross verkündet. Wenn dann der Zusatz «auch» kommt, wird es sehr, sehr schwachsinnig.
Werden die Apotheken irgendwann Zecken-Impfungen anbieten, die «auch gegen Arthrose, Diabetes, Demenz und Husten» helfen?
Werden wir Hämmer kaufen, die «auch als Zange, Schraubenzieher und Löffel» einsetzbar sind?
Wird der Berlin-Museumspass auch in Köln und die Munich-Card auch in Kaiserslautern einsetzbar sein?
Ich hoffe nicht.

Als ich aus dem Café Georg heimkomme, liegt in meinem Briefkasten eine Gratiszeitung:

KLEINBASLER ANZEIGER
Jetzt auch im Grossbasel
DR VOGEL GRYFF DANZT AM 27. 1.

Hier muss man nun kurz etwas erklären; ich habe vor meinem Umzug ins Kleinbasel vor fast genau 11 Jahren (10. 2. 2014) geschrieben:
Worte wie "drüben", "die andere Seite", "das andere Ufer", "jenseits" bezeichneten in der Menschheitsgeschichte schon die verschiedensten Dinge. Waren in der Antike und im Mittelalter die Sphäre gemeint, die ein Verstorbener - von Charon ans andere Ufer gebracht - erreichte, meinte man im 19. Jahrhundert Amerika, in das so viele auswanderten. Im 20. Jahrhundert kippte die Konnotation zugunsten von des Deutschlandteiles jenseits der Mauer, "Geh doch nach drüben!", dieser Satz klingt vielen Altlinken immer noch im Ohr. Das andere Ufer, von dem so mancher Mann und so manche Frau kommt, muss ich wohl nicht erwähnen. ICH WUSSTE NICHTS VON DEINENNNN UFFERRRRNNNN! so Nina Hagen in "Der Spinner".
Eine weitere Bedeutung kursiert in allen Städten, die eine richtige und eine falsche Seite ihres Flusses haben. Die richtige ist dabei eben die richtige und wird nicht extra genannt, die andere bekommt eine Bezeichnung. "Jenseits Kochens" sagen die Schwäbisch Haller, so als ob der Kocher ein Ort wäre. "Wenigenjena" heisst es an der Saale und "Trastevere" am Tiber. Im Rheinland nennt man alles, was auf der Ostseite liegt «Scheel Sick». In Basel heisst die falsche Seite Kleinbasel, exakter Glaibasel, und dorthin werde ich am 19.2. umziehen, ich werde ans andere Ufer gehen, nach drüben, ins Jenseits, in eine neue Welt.

Der Kleinbasler Anzeiger jetzt auch für uns auf der richtigen Seite?
Die Krone wird dem ganzen ja noch mit dem Hinweis auf den Vogel Gryff aufgesetzt. Denn dieser Anlass ist DER Anlass der anderen Rheinseite, bewusst und ganz dezidiert. Die drei «Ehrenzeichen» wandern durch die Gassen und tanzen, der «Wild Maa» und der «Leu» und eben der «Vogel Gryff», aber eben nur auf dem Claraplatz, in der Rosentalanlage, in der Rheingasse und auf dem Messeplatz. Der Wilde Mann kommt am Morgen über den Rhein, wobei er konsequent und beharrlich und bewusst und dezidiert dem Grossbasler Ufer seine hintere Seite entgegenstreckt.
Nein, ein «auch» ist hier Quatsch.

Ich beschliesse, das Wort AUCH in bestimmten Situationen aus meinem Wortschatz zu streichen.
Die Dienstag-Freitag-Glosse wird weiterhin an genau diesen Tagen erscheinen.
Die Blumenkohlsauce wird für Blumenkohl verwendet.
Und gegen Zecken nehme ich eine spezielle Impfung.
Und die Kleinbasler Zeitung soll da verteilt werden, wo sie hingehört: Im Glaibasel.

In diesem Sinne, bis am…

…Dienstag.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Dienstag, 21. Januar 2025

10 Kubikmeter Papiermüll


Als ich am Dienstag, den 14. Januar meinen Papiermüll rausstellte, hatte ich fast ein wenig ein schlechtes Gewissen.
Es hatte sich über die Weihnachts- und Neujahrstage doch einiges angesammelt, an Papier und Verpackung, ausserdem hatten wir ja neue Klolektüre bekommen – ich schrieb darüber – und die 50 alten Heftchen der Marken «Glückspost», «Schweizer Illustrierte» und «Gala» mussten weichen. Zu allem Überfluss hatten wir auch noch unsere Kaffeemaschine ausgetauscht, und obwohl das Maschinchen nur die Grösse eines Handmixers hat, war die Verpackung so dimensioniert, dass auch ein Sofa hineingepasst hätte.
Ich hatte also ein schlechtes Gewissen, als ich das am 14. hinaustat, schliesslich gibt es arme Menschen, die den ganzen Krempel in einen Müllwagen stopfen müssen. Gut, sie werden dafür bezahlt, das ist wenigstens ein Trost.

Am Mittwochmorgen dann staunte ich nicht schlecht: Der Haufen hatte sich in der Nacht verfünffacht. Meine Nachbarn, meine Mietmieter hatten noch einmal die vierfache Menge dazugestellt. Grob überschätzt ergab sich hier ein Volumen von 10 m3.
10 m3.
In Worten: Zehn Kubikmeter.
Für solch ein Volumen gibt es unter www.my-mulde.ch, www.your-mulde.de und www.our-mulde.at schon ganz respektable Metallmulden für Bauschutt und Altwaren zu mieten, also die Dinger, die man vor ein Abbruchhaus stellt und dann im fünften Stockwerk Sachen in so ein Rohr schmeisst.
Als ich vor ein paar Jahren vom Leonhardsberg in die Hammerstrasse zog, hatte mein Hausrat ein Ausmass von 25 Kubikmeter. Nur so als Vergleich.

Als ich dann um 14.00 heimkam, war der ganze Haufen tatsächlich weg. Am Platz, an dem der ganze Papp- und Papier- und Kartonkrempel gewesen war, glaubte ich einen strengen Geruch wahrzunehmen. Und tatsächlich:
Es roch nach Blut.
Es roch nach Schweiss.
Es roch nach Tränen.
Mein schlechtes Gewissen bezüglich der Abfuhrmenschen war also nicht ganz unbegründet gewesen.

Um 14.30 wollten wir zu unserem Coiffeur, dem Herrn Arush, einem reizenden Inder, der für unglaublich wenig Geld uns unglaublich schön wieder hinbekommt.
Arush befindet sich in Gundeldingen, jenem Quartier, das nicht weit von unserem, aber getrennt durch die Eisenbahnausfahrt des Bahnhofs von unserem liegt. Gundeldingen (oder das «Gundeli», wie die Basler sagen) hat eine andere PLZ, aber die gleiche Abfuhrzone. Nein, halt, das ist jetzt falsch, wir sind E und die sind F, die beiden Zonen haben aber die gleichen Termine. Wieso? Also, Sie fragen aber genau, gut: Immer am Mittwoch wird Papier abgeholt, Basel hat 8 Zonen, aber es gibt nicht 8 Mittwöche (sic!) im Monat.

Jetzt sind wir aber abgeschweift. Diesmal IHRE Schuld.
Wir waren also auf dem Weg ins Gundeli, über den Eisensteg, der vom Peter-Merian über die Gleise führt, zum Tellplatz, da sahen wir es schon: Das Trottoir war voll mit Pappe, Papier und Karton. Wir liefen also auf der Strasse, aber auch dort stellten sich uns wahre Barrikaden entgegen. Hätten wir einen Friedrich Hecker bei uns gehabt, oder einen Bakunin, oder auch ein Mitglied der Pariser Commune, er hätte sich sofort mit einer Flinte bewaffnet an eine solche Barrikade gesellt und scharf geschossen.
Wir brauchten also circa 60 Minuten Zeit, um zu unserem Friseur zu gelangen, für einen Weg, für den wir sonst 15 Minuten brauchen.

Bei Arush angekommen, fanden wir den gesamten Laden, inklusive Schaufenster und Türe, unter einem Berg von Pappe, Karton und Papier, unter einer Mauer von Verpackung und Vermüllung begraben. Ich rief Arush an, und er stammelte, er sei so dankbar, dass ich anriefe, er könne die Tür nicht mehr öffnen, alles sei verrammelt, die Tür ginge nur nach aussen auf, und…
Wir brauchten nur 20 Minuten, um unseren armen Coiffeur aus seiner misslichen Lage zu befreien.
Unsere Haarschnitte, sowie die Nassrasur meines Mannes bekamen wir gratis.

In all dem Papiermüll waren mir immer wieder die gleichen Namen aufgefallen, deren Assonanzen allerdings ich noch nie bemerkt hatte:
Amazon
Galaxus
Zalando
Haben Sie das schon bemerkt, wie viel «A» hier drin ist? Alle Versandhäuser haben zwei «A».
Amazon
Galaxus
Zalando
Wahrscheinlich ist das so, weil wir den Laut «Aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaa» mit etwas Positivem, Schönem, mit etwas Herrlichem, Tollem verbinden. Von allen Vokalem regt scheinbar «A» am meisten zum Kaufen an.

Und hier kommt die Lösung für unser Müllproblem – denn dass wir ein Verpackungsproblem haben, dass es ein Problem ist, dass mausgrosse Dinge in elefantengrossen Verpackungen versandt werden, dass es ein Problem ist, dass wir auch alles gratis zurückschicken können, dass es ein Problem ist, wenn ein einzelner Haushalt 10 Kubikmeter produziert, dass es ein Problem ist, wenn man durch ein Quartier gar nicht mehr laufen kann, das sollte doch jetzt klar geworden sein – hier kommt die Lösung:
Wir verbieten Versandhaus-Namen mit «A» und erlauben nur noch «I» und «E», weil wir «Iiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiii» und «Eeeeeeeeeeeeeeeeee» mit Ekel verbinden.

Nächstes Jahr sollte dann der Berg am 15. Januar auf ein Minimum geschrumpft sein.
Natürlich: Der 14. Januar.
Es bleibt ja ein Mittwoch.

Freitag, 17. Januar 2025

Warum bekommt man politische Ansichten nur im Paket? Oder: Wo ist die Mitte hin?

Wenn ich mir die politischen Einstellungen, Möglichkeiten und Ansichten anschaue, dann werde ich immer ein wenig an das Linda-Experiment erinnert. Da wurden die Probanden mit der folgenden Frage konfrontiert:

Linda ist 31 Jahre alt, alleinstehend, aufgeschlossen und sehr intelligent. Sie hat Philosophie studiert. Als Studentin befasste Sie sich mit den Problemen von Diskriminierung und sozialer Gerechtigkeit und nahm an Anti-Atomkraft Demonstrationen teil.
Welche der folgenden Aussagen ist wahrscheinlicher?
A. Linda ist eine Bankangestellte.
B. Linda ist eine Bankangestellte und engagiert sich in einer feministischen Bewegung.

Intuitiv denkt man natürlich: B. Was ein bodenloser Quatsch ist. B ist eine Teilmenge von A, und dass eine Teilmenge wahrscheinlicher ist als die Gesamtmenge, ist völlig unmöglich. Und in anderem Zusammenhang würden wir das auch so sehen:
Es ist wahrscheinlicher, dass jemand Asiat ist als dass jemand Tibeter ist.
Es ist wahrscheinlicher, dass das Tier ein Wirbeltier als dass es ein Säugetier ist.
Aber bei der Linda geraten wir irgendwie so nett auf den Holzweg, und wir geraten so nett und so hübsch auf den Holzweg, ganz egal, ob wir von Stochastik viel Ahnung haben oder wir von Stochastik wenig Ahnung haben oder wir Stochastiklehrer sind, oder ob wir nicht einmal wissen, was Stochastik eigentlich ist.

Das Linda-Experiment ist einer der vielen, vielen, vielen Denkfehler, die wir machen. Und die mein lieber Namensvetter in seinen Büchern so wunderbar beschrieben hat. («Die Kunst des klaren Denkens», «Die Kunst des klugen Handelns») Dieser Fehler hat übrigens den schönen Namen «Conjunction Fallacy».

An diese Dinge muss ich nun immer denken, wenn ich mich mit politischen Sachen beschäftige:

Linda ist 31 Jahre alt, alleinstehend und in einer Grossstadt lebend. Sie hat sich, nachdem sie sich ausgiebig damit beschäftigt hatte, nicht gegen Corona impfen lassen und sieht die wachsende Aufrüstung sehr kritisch.
Welche der Aussagen ist wahrscheinlicher?
A. Linda ist Angestellte.
B. Linda ist Angestellte und wählt die AfD.
C. Linda ist Angestellte und wählt die AfD und gendert nicht.
D. Linda ist Angestellte und wählt die AfD und gendert nicht und leugnet den Klimawandel.
usw.
usw.
usw.
usw.

Wann hat das eigentlich angefangen, dass das eine mit dem anderen gekoppelt wurde und man gar nicht mehr aus den Schubladen herauskommt? Liegt das am Internet, das einem ja konsequent Zeug anbieten, immer nach dem Motto «Menschen, die das mögen, mögen auch jenes»? Das ist ja höchst fatal, wenn man einmal – nur zur Info – einen Beitrag von Roger Köppel angeklickt hat, dann wird man immer, ständig und allezeit mit Podcasts überschwemmt, in denen Putin verklärt wird, so als ob er kurz vor seiner Heiligsprechung stünde.

Wann hat das angefangen, dass uns die Mitte verlorengegangen ist? Es gibt ja scheinbar nur noch zwei grosse Lager, es gibt ja anscheinend nur noch «ganz da» oder «ganz dort».
Was ist mit Menschen, die Angst vor Panzer haben und das Generische Maskulinum vertreten, aber sich impfen liessen und Weidel für ein Scheusal halten? Was ist mit Menschen, die Putin für ein Schwein halten und dennoch für Verhandlungen sind?

Und genau dieses «Sitzen zwischen allen Stühlen» ist ja etwas, das man an wirklich grossen Geistern schätzt.
Angeblich gibt es im Himmel eine, die sogenannte «schräge» Wolke, in dem Charly Chaplin, Oskar Maria Graf und Alexander Issajewitsch Solschenizyn über gesellschaftliche Fragen diskutieren. Der eine einer der bösesten Hitler-Kritiker, aber dann von McCarthy verteufelt, der andere vor Hitler geflohen, aber vorher umworben, weil er mit seinem bayrischen Flair und seiner Seppl-Hose so gepasst hätte, der dritte Stalin-Freunden wie NATO-Denkern ein absoluter Dorn im Auge…

Wenn ich mir die politischen Einstellungen, Möglichkeiten und Ansichten anschaue, dann werde ich immer ein wenig an das Linda-Experiment erinnert. Wir denken stets, A und B gehören zusammen und C und D gehören zusammen, und dabei kann man A für richtig, B für falsch, C für nicht ganz richtig und D für nicht ganz falsch halten.