Ach ja, der ESC…
Da war ja auch noch der Eurovision Song Contest, oder wie alte Leute immer noch sagen: Der Grand Prix.
Da können Sie übrigens fast einen Alterstest damit machen: Sagt jemand «Grand Prix», dann ist er mindestens 50, mindestens, vielleicht auch über 65 oder noch weiter, also praktisch scheintot, die coolen Jungen sagen «Song Contest» oder «ESC»; und wenn Sie mich jetzt ganz direkt fragen, was ich sage, für mich ist das immer noch der Grand Prix, und fertig.
Wobei natürlich das Grossspektakel heute nichts, nichts, nichts, aber auch gar nichts mit dem ursprünglichen Gesangswettbewerb zu tun hat.
Niente.
Rien.
Nada.
Am Anfang durfte jedes Land zwei Beiträge senden, damit das Programm voll wurde. Und beim ersten Mal gewann unser Lysschen (nicht die Queen, wo denken Sie hin, auch nicht die Taylor, die Assia). Die Schweiz ist also nicht – wie alle Leute tun – der Aussenseiter-Überraschungs-Gewinner, sondern der Urgewinner, Sieger der ersten Stunde.
Aber ich schweife ab, früher jedenfalls musste man füllen, heute geht die Vielzahl der Länder gar nicht in einen Abend und es braucht eine Vorrunde.
Und was auch nicht mehr so war wie einst, ist die Show.
Ich habe eine kleine Diskussion erlebt, ob ein Freundeskreis zur privaten ESC-Party (mit Fernsehen, Würstchen und Sekt) die blinde Freundin Anette oder den tauben Hubert einladen sollte. Ausser Würstchen und Sekt, von dem ja beide profitierten, hätte sie ja nur Akustisches und er nur Optisches.
Man entschied sich für Hubert, denn zusätzlich zu Sekt und Würstchen bekäme Hubert eine opulente Farben-, Flacker-, Kostüm- und Lichtshow, während Anette, die ja nichts sehe und umso besser höre, eben nicht auf ihre Kosten käme, von Würstchen und Sekt einmal abgesehen, aber da hätte man schon Kobe-Würstchen und Veuve Cliquot servieren müssen, was man natürlich nicht tat.
Das sagt doch schon alles: Ein Gesangswettbewerb, zu dem man lieber Taube als Blinde einlädt, hat seinen Namen nicht verdient.
Aber ich denke, das Blatt wird sich bald wenden. Denn irgendwann fällt der- oder diejenige auf, die das machen, von dem man sich einst abgrenzte.
Als die Nouvelle Cuisine aufkam, grenzte sie sich von der Hausmannskost ab. Man ging voller Stolz in Restaurants, die keine Spiegeleier und keinen Leberkäse servierten, sondern «Wachteleier auf Baldrian-Spiegel an Lachstranche». (Oder war es «Lachstranche AN Baldrian-Spiegel AUF Wachteleiern»?) Aber als alle Lokale plötzlich Fremdes und Ungekanntes AUF und AN irgendetwas Fremdem und Ungekanntem kochten, da punkteten die Restaurants, die eben wieder einfach gute Spiegeleier mit gutem Leberkäse mit einfach guten Bratkartoffeln machten.
Und wenn alle Künstlerinnen und Künstler zur Hinterhausener Triennale Mixed Media, Grenzübergreifendes, Performance-Mässiges und Objekte einreichen, dann steht der oder die eine, die eine simple Bleistiftzeichnung einsendet (aber natürlich eine sehr gute), als absolut auffällig, singulär und hervorragend (im wahrsten Sinne des Wortes) da…
Und beim ESC wird jemand siegen, der oder die sich einfach auf einen Stuhl setzt und ein schönes, klares und eindrückliches Lied singt. Weil der oder die so auffällt.
Ach ja, der ESC. Oder der Grand Prix, ich bin da immer noch old fashioned.
Böse Zungen sagen ja auch, dass Nemo nur gewonnen habe, weil er non-binär ist, aber das ist eine hässliche und gemeine Aussage – und wie bei allen hässlichen und gemeinen Aussagen ist natürlich etwas dran.
Wenn ich in einer Jury bin, und zwei Teilnehmende sind völlig gleich gut, aber ich kann eben nur einmal 9 Punkte vergeben und einmal 10, dann nehme ich die Person, mit der ich irgendein Zeichen setzen kann, die also non-binär oder trans ist, Migrationshintergrund oder eine körperliche Beeintröchtigung hat. Noch böser und noch hässlicher gesagt: Eine non-binäre Person aus einem afrikanischen Bürgerkriegsland, die im Rollstuhl sitzt, hätte jeden Wettbewerb schon gewonnen. Wenn sie saugut ist, bitte, bitte, verstehen Sie mich nicht falsch.
Vielleicht wäre es eine Lösung, dass jede Jury für jedes Land beliebig viel Punkte vergeben kann. Das wäre ein Klamauk, wenn dann verkündet würde, dass alle Nationen 0 Points erhalten, ähnlich der ältlichen Kultur-Damenriege in einem Sempé-Cartoon verkündet, dass ein regionaler Literatur-Preis «wegen der mangelnden Qualität der Einsendungen auch in diesem Jahr nicht vergeben wird».
Nun kommt der Grand Prix – der ESC, entschuldigen Sie mich – nächstes Jahr in die Schweiz und ich habe heute in Berlin in der U 7 kurz vor Herrmannplatz die ultimative Kopfbedeckung für diesen Anlass gesehen:
Einen hässlichen Topfhut mit schwarz-weissem Kuh-Design.
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