Als ich meinen letzten Post schrieb, war ich sehr erstaunt, bei dem Wort
Schirmvergesser
die rote Linie zu bekommen.
«Schirmvergesser», das ist doch einer wichtigsten Begriffe. Kaum ein Mensch hat in seinem Leben seine Brille oder seinen Geldbeutel im Restaurant oder im Bus liegen lassen, aber Regenschirme verliert jeder ein paar im Leben.
Keiner hat das so schön auf den Punkt gebracht wie Kishon:
«Nimm meinen Regenschirm, Liebling», sagte meine Gattin, «aber, bitte, verlier ihn nicht!» Jedesmal, wenn ich mit einem Regenschirm das Haus verlasse, wiederholt sie diese überflüssige Mahnung. Wie ein Papagei. Wofür hält sie mich? Für ein unmündiges Kind? «Teuerste», sagte ich mit einem unüberhörbar sarkastischen Unterton, «wann habe ich jemals meinen Regenschirm verloren?» «Vorgestern», lautete die prompte Antwort.
Mich trifft diese Stelle so, weil ich selbst so ein Schirmvergesser bin. Die Anzahl der Regenschirme, die ich an den unmöglichsten Stellen und Orten vergessen habe, ist inzwischen wahrscheinlich vierstellig.
An einem Tag vor vielen Jahren, als ich noch in Freiburg-Kappel wohnte, war Regen angesagt und ich nahm einen Knirps mit. Der Schirm hätte folgende Reise zurücklegen sollen: Kappel – Littenweiler (Bus), Littenweiler – Freiburg HBF (Tram), Freiburg HBF – Basel Bad. Bf. (Zug), Basel Bad. Bf. – Kunstmuseum (Tram), Kunstmuseum – Bischofshof (Fuss), dann Aufenthalt im Bischofshof, nach der Arbeit: Bischofshof – Kunstmuseum (Fuss), Kunstmuseum – Basel Bad. Bf. (Tram), Basel Bad. Bf. – Freiburg HBF (Zug), Freiburg HBF – Littenweiler (Tram), Littenweiler – Kappel (Bus). Eine unerschöpfliche Vielfalt von Möglichkeiten, einen Regenschirm liegenzulassen! Und wissen Sie, wie weit er kam? Na, wahrscheinlich ahnen Sie es längst, er kam nicht einmal in die Strassenbahn von Littenweiler zum Bahnhof. Ich liess in ihm Ortsbus 17 von Kappel nach Freiburg liegen…
Wer mich kennt, wird sich wahrscheinlich nun fragen, warum ein doch so organisierter und ordentlicher Mensch wie ich ständig seinen Parapluie irgendwo liegen lässt. Wahrscheinlich ist das eine Hinterlassenschaft meiner Grossmutter. Sie war ein Schöngeist, eine Ästhetin, eine verhinderte Sprachgestalterin und Sammlerin von edlen Gegenständen, sie war eine absolute und fanatische Philanthropin, aber auch eine hemmungslose Träumerin und Phantastin. Ich habe von ihr drei Dinge übernommen:
* Ein Band mit allen Wagner-Texten aus dem Jahre 1920
* Die Liebe zu Rainer Maria Rilke
* Die Tendenz Schirme zu vergessen.
Die Anzahl von Parapluies, die meine Oma vergass, bewegt sich sicher in einem fünfstelligen Bereich…
Als ich an meinem letzten Post sass, war ich extrem verblüfft, bei dem Wort
«Schirmvergesser»
eine rote Linie zu bekommen. Übrigens auch bei «Regenschirmvergesser», genauso bei «Schirmverlierer» oder bei «Regenschirmverlierer». Inzwischen habe ich natürlich alles meinem Wörterbuch hinzugefügt. Denn «Schirmvergesser», wie auch «Regenschirmvergesser», «Schirmverlierer» oder «Regenschirmverlierer» das sind doch wichtigste Begriffe. Kaum ein Mensch hat in seinem Leben seine Brille oder seinen Geldbeutel im Restaurant oder im Bus liegen lassen, aber Regenschirme verliert jeder ein paar im Leben.
Es stellt sich vielen Leuten nun die Frage, warum die Psychologie, warum die Psychotherapie sich dem Phänomen des Schirmvergessens so wenig widmet.
Dabei ist die Antwort doch so klar: Die Psychologie, genauso wie die Psychiatrie und Therapie hat so viel mit anderen Störungen zu tun, dass sie für solche Lappalien einfach keine Zeit hat.
Sie wollen Beispiele?
Geschätzte 80% der Menschen unter 25 sind handysüchtig. Schüler erzählen mir von ihren Bildschirmzeiten, und mir wird schwindlig davon. 12 Stunden, 14 Stunden, 16 Stunden, alles keine Seltenheit. Nein, nein, nein, nein, ich rede nicht von PRO WOCHE, ich rede von PRO TAG. Ich habe einmal geschrieben, dass die Online-Nutzung nur das Fernsehen abgelöst hat. Das war falsch, denn vor dem TV sass man nur zwischen ca. 18.30 und Sendeschluss. Das Handy wird vor dem eigentlichen Erwachen in die Hand genommen und erst beim Einschlafen aus den Fingern gelegt…
Die Zahl krankhaft narzisstisch gestörter Menschen hat sich in den letzten Jahren verdreifacht. Die Veranlagung für einen Narzissmus gab es natürlich immer, aber nicht die Möglichkeiten. Früher konnte man sich zwar vor den Spiegel stellen und schreien «Bin ich schön!», aber man konnte nicht Fotos von sich im Sekundentakt verschicken.
Und Handysucht und Narzissmus sind nur zwei Aspekte in dem riesengrossen Spektrum zwischen Burnout und Paranoia.
Wir könnten es so auf den Punkt bringen:
Sie vergessen Regenschirme? Das ist völlig normal. Und wenn Ihr einziges Problem ist, pro Woche 2 Parapluies zu verlieren, dann…
…ja dann sind Sie so was von psychisch gesund, dass es kaum auszuhalten ist.
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