Jeden Morgen kämpfe ich mit dem Fahrer der Buslinie 4 von Solothurn einen stummen Kampf, einen Kampf, den mal ich oder mal er gewinnt, aber dennoch immer ein ernster Fight, gewissermassen ein Kampf auf Leben und Tod.
Wenn der Chauffeur mich durch die Unterführung auf den Bus zurennen sieht, dann wirft er einen Blick auf seine sekundengenau gehende Uhr: Ist es erst 7 Uhr 46 und 30 Sekunden, hat er verloren, ich werde den Bus erreichen, ist es 7 Uhr 47, dann fährt er los, auf die Sekunde genau und ich habe das Nachsehen. So sind die Spielregeln und ich füge mich natürlich darein.
Jeden Morgen kämpfe ich mit dem Fahrer der Buslinie 4 von Solothurn einen stummen Kampf, einen Kampf, den mal ich oder mal er gewinnt, aber dennoch immer ein ernster Fight, gewissermassen ein Kampf auf Leben und Tod.
Habe ich aber den Bus erreicht, dann ist noch lange nicht Schluss, nein, der Kampf geht weiter, weiter in noch mehreren Runden:
Runde 1: Wenn ich um 7 Uhr 46 und 30 oder 40 oder 50 Sekunden zum Gefährt gelange, dann muss ich sofort, im nächsten Moment und augenblicklich einen Sitzplan finden und mich blitzschnell setzen, denn um 7 Uhr 47 startet der Bus, und zwar in einem Start, auf den die Herren Verstappen und Alonso wirklich neidisch wären…
Runde 2: Wenn wir die Haltestelle Amthausplatz verlassen, dann muss ich sofort, im nächsten Moment und augenblicklich die Haltewunschtaste drücken, denn irgendwann akzeptiert der Chauffeur meinen Haltewunsch nicht mehr, er fährt mit hämischem Grinsen weiter.
Runde 3: Um wirklich aussteigen zu können, muss ich rechtzeitig vor dem nächsten Haltepunkt, meinem Haltepunkt, genannt «Zentralbibliothek» aufstehen. Dummerweise ist kurz vor dem Haltepunkt eine scharfe Kurve, und der Chauffeur fährt mit vollem Karacho in diese hinein, ja, er versucht mich so auf den Fahrzeugboden zu werfen.
Runde 4: Habe ich mich festgehalten – bisher gelang mir das meistens – hat der Fahrer noch eine Chance: Er macht an der Zentralbibliothek eine Vollbremsung, eine Bremsung, auf die Verstappen und Alonzo auch sehr neidisch wären. Stehe ich jetzt noch, habe ich es geschafft.
Jeden Morgen kämpfe ich mit dem Fahrer der Buslinie 4 von Solothurn einen stummen Kampf, einen Kampf, den mal ich oder mal er gewinnt, aber dennoch immer ein ernster Fight, gewissermassen ein Kampf auf Leben und Tod.
Mittags aber geht es weiter. Nun habe ich aber die besseren Karten: Ich kann den Unterricht so beenden, dass es mir auf jeden Fall reicht, vor dem HBF hat es keine Kurve, man muss nicht den Knopf drücken (am Bahnhof halten alle Busse immer) und er kann auch keine Vollbremsung machen.
Also alles gut, es sei denn…, es sei denn…, es sei denn es regnet, denn dieser Haltepunkt hat kein Wartehäuschen. Schirm? Da ich ein notorischer schlimmer Schirmvergesser bin, habe ich nie einen dabei. Der Fahrer der Linie 4 kann also mit übler, teuflischer und bestialischer Genugtuung erleben, wie ich als nasser Pudel in seinen Bus steige. Natürlich hat der Eingang der Zentralbibliothek eine Möglichkeit, im Trockenen zu warten. Aber diese Möglichkeit ist 20 Meter von der Haltestelle entfernt. Und selbstverständlich würde jener Chauffeur diesen Warteort nicht als Ich-warte-hier-auf-den-Bus-Ort sehen, er würde mit grösstem Genuss und mit übler, teuflischer und bestialischer Genugtuung vorbeifahren.
Natürlich kann man den Chauffeur irgendwie verstehen. Sein sturer, verbissener Hass auf alle Fahrgäste kommt ja nicht von ungefähr. Der sture, verbissene Hass auf Passagiere hat eine lange Geschichte. Ja, einst ist er sogar mit dem Wunsch in die Ausbildung gestartet «Kontakt mit Menschen zu haben». Aber er hat viel erlebt:
Schulkinder, die der Auffassung sind, dass der Bus der Linie 4 der richtige Ort ist, um ihre Happy-, Floppy- und Poppy-Menus amerikanischer Fastfoodketten zu vertilgen, und ganz sicher der richtige Ort um die Reste der Happy-, Floppy- und Poppy-Menus zu hinterlassen.
Menschen, die so laut mit dem Handy telefonieren, dass er keine Durchsagen der Zentrale versteht, zum Beispiel die, dass er ab Amthausplatz eine Umleitung fahren soll.
Ältere Damen, die ihn jeden Haltepunkt fragen, wann sie aussteigen müssen, und es dann nicht tun – direkte Nachfahren der Lady aus «Ein Wagen von der Linie 8», die nach dem «Max-Weber-Platz, bittschön» fragt.
Betrunkene.
Junkies.
Rocker.
Aber es ist trotzdem ungerecht, dass sein Fahrgasthass, sein Passagierhass dann gerade mich trifft. Ich esse keine Happy-, Floppy- und Poppy-Menus im Bus, ich lasse mein Smartphone in der Tasche, ich frage nach keinen Haltestellen. Ich trinke keinen Alkohol, nehme keine Drogen und habe keine Rocker-Tendenzen.
Warum ich?
Aber das ist die falsche Frage, sein Hass braucht ein Opfer und das bin nun eben ich. Und es steht bisher in unserem Fight immerhin 56:8 für mich…
Ich habe vor ein paar Wochen einen Artikel gelesen, der eine spannende Überschrift trug:
WIE KANN UNSER ÖV (NOCH) BESSER WERDEN?
Ich hätte zwei Vorschläge, die relativ einfach zu bewerkstelligen wären:
Erstens: Psychologische Betreuung nicht nur von Polizisten, Feuerwehrleuten und Sanitätern, sondern auch von allen Mitarbeitenden des Öffentlichen Verkehrs.
Zweitens: Überdachung sämtlicher Haltestellen – mit einem kleinen, simplen Dächle.
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