Dienstag, 5. November 2024

Wahlen und Unregelmässigkeiten

Bei jeder Wahl und bei jeder Abstimmung kommt es zu «Unregelmässigkeiten» – das ist gar nicht zu vermeiden.

Ein Freund von mir zog vor vielen, vielen Jahren, als die LINKE noch eine wilde und neue Partei war, in ein sehr konservatives und sehr biederes Quartier. In der nächsten Bundestagswahl wählte er die LINKE. Nun gab es in Deutschland die etwas heikle Gepflogenheit, dass die Ergebnisse pro Wahllokal veröffentlicht wurden – ich weiss nicht, ob das heute noch so ist, ist aber doof, wenn man als Neuling in ein Dorf zieht und dann etwas wählt, was noch nie genommen wurde, dann weiss jeder, es war der neue, aber ich schweife ab… Jedenfalls hatte die LINKE in der Aufstellung 0 Stimmen – heisst de facto, man hatte seine Stimme einfach weggeworfen: Zu peinlich für ein biederes und konservatives Quartier, zu schrecklich in einem Wohnviertel, in dem die CDU auf 90% kommt.

Bei jeder Wahl und bei jeder Abstimmung kommt es zu «Unregelmässigkeiten» – das ist gar nicht zu vermeiden.

Im Frühherbst 2016 nahm ich an einer Vereinsversammlung teil, in der sehr delikate Dinge besprochen und entschieden werden sollten. Man konnte hier nicht einfach so erscheinen, man musste seine Mitgliedschaft nachweisen, sprich, man musste auf einer Liste eingetragen sein und erhielt eine Stimmkarte, die man in die Höhe strecken musste. Bei der ersten Abstimmung (Tagesordnung) bemerkten wir, dass der Mann in der Reihe vor uns eine gefälschte Pappkarte in den Raum hielt. Wir nahmen sie ihm weg. Wie er sich hineingeschmuggelt hatte, blieb ein Rätsel…

Bei jeder Abstimmung, bei jeder Wahl kann es zu Dingen kommen, die nicht ganz «korrekt» und ganz «regelmässig» laufen.

Was würden Sie von einem Land halten, das mit -stan endet und bei dem während in dessen Hauptstadt es zu einem totalen Chaos kommt? Was würden Sie von Allistan, Paaristan oder Garnixstan, wenn in Allistan, Paaristan oder Garnixstan nicht einmal in der HAUPTSTADT ordentlich gewählt. Wenn zum Beispiel – um so etwas einmal völlig aus der Luft zu greifen – es zu wenig Wahlzettel hat, die Wahllisten an den falschen Orten sind, und zudem in der ganzen Metropole ein Marathon stattfindet, der einen Transport zusätzlicher Wahlzettel und Listen unmöglich macht? Nun, das ist passiert, aber nicht in Allistan, Paaristan oder Garnixstan, sondern in Berlin.
Gut, ich könnte jetzt, an den letzten Post anknüpfend und fröhlich feixend sagen, in Frankfurt wäre das nicht passiert, mache ich aber jetzt nicht.

Bei jeder Wahl… Sie wissen es.
Man findet also immer, stets und alleweil ein Haar in der Suppe, man findet immer etwas, was nicht läuft, man findet eine Störung.

Welche Auswirkungen hatten nun die Unregelmässigkeiten, die ich beschrieben habe?

Die LINKE kam damals in den Bundestag, und zwar durch drei Direktmandate, es war also völlig wurscht, ob sie 2,9%, 3,4%, ob sie 4,9% oder 5,2% erhält. Dass die Stimme meines Kumpels verschwand, war sehr ärgerlich, hatte aber auf die Zusammensetzung des Bundestages keinen Einfluss.

Welchen Einfluss hatte die gefälschte Stimmkarte? Vielleicht waren es sogar noch mehr, man weiss es ja nicht, wer da alles noch zurechtgeschnittene Pappkarten in die Luft hielt. Fest steht, «unsere» Seite hatte, das zeigte die erste Abstimmung über die Tagesordnung schon ganz klar, eine satte Mehrheit von circa 30 Stimmen, da konnte man noch so viele Kärtchen in die Luft halten.

Und was war in Berlin? Man schämte sich. Man schämte sich noch mehr. Man schämte sich bis zum Äussersten – und liess dann nachwählen. Ja, die Wahl wurde in einigen Berliner Wahlkreisen wiederholt, und sie änderte an der Zusammensetzung des Bundestages nix. Gar nix.

Bei jeder Wahl wird man nun etwas finden, was nicht lief, aber in 99,9% der Fälle ist das ein kleines, kleines, kleines Haar in der Suppe, das am Ausgang der Wahl nichts ändert.

Folgende Dinge müssen aber noch gesagt werden:

Wenn in Allistan, Paaristan oder Garnixstan ein Ergebnis von 54% zugunsten des seit 40 Jahren autoritär regierenden Präsidenten herauskommt, sind wir sehr schnell dabei, mit der Opposition «Wahlbetrug!» zu rufen. Wir kommen gar nicht auf die Idee, dass die Menschen ihren Präsidenten wiedergewählt haben. Und zwar aus einem Grund: Es geht ihnen wirtschaftlich gut. Seit 40 Jahren. Also macht man keine Experimente. Mal ganz ehrlich, sagt sich der Bauer in den Weiten von Allistan, Paaristan oder Garnixstan, soll ich weniger Fleisch und Konfitüre auf dem Teller haben, nur weil ein paar Schwule sich unterdrückt fühlen? Oder weil meine Leserbriefe zensiert werden? Schwule hat es nur in der Hauptstadt, und schreiben tue ich eh nicht (das letzte Mal in der Schule).
Man kann es auch so sagen:
ERST KOMMT DAS FRESSEN, DANN KOMMT DIE MORAL.

In den USA ist es schwieriger.
Das absolut kafkaeske Wahlsystem begünstigt die Fälle, in denen eine ganz kleine Gruppe entscheidet. Wenn es hart auf hart kommt, hängt es an EINEM County. Das war – Achtung, bitte! – 2020 nicht der Fall.
Eher der Fall war es 2004, als die Sache nur an Florida hing. Und hier kam nun der Vorwurf des Wahlbetruges von linker Seite.
Ja.
Ja.
Ja, lieber von mir sonst so verehrter Herr Michael Moore, mit der Idee, die Wahl 2004 sei «gestohlen» und mit deiner Weigerung Bush «President» zu nennen, hast du uns einen Bärendienst erwiesen. Die Idee von gestohlenen Wahlen überhaupt in die Welt zu setzen, war verkehrt.

Bei jeder Wahl und bei jeder Abstimmung kommt es zu «Unregelmässigkeiten» – das ist gar nicht zu vermeiden.
So wünsche ich den USA ein EINDEUTIGES Ergebnis, ein Ergebnis, bei dem man das eine Foto, auf dem ein Wahlhelfer einen Stimmzettel zerreisst, getrost weglassen kann…





 

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