Freitag, 12. August 2022

Der 9 Euro-Irrtum

Hatten Sie bisher einen schönen Sommer? Sind Sie auch ein wenig herumgefahren? Mit deutschen Verkehrsmitteln? Mit dem 9 Euro-Ticket?
Also, wir haben unser Juli-9 Euro-Ticket weidlich genutzt. Wir waren in Oldenburg unterwegs, wir sind von dort nach Bremen, Leer und Dangast gereist, danach benutzten wir das Ticket in Kassel, Frankfurt und Stuttgart. Allerdings – das muss man deutlich sagen – war das 9 Euro-Ding für uns eine zusätzliche Erleichterung, wir wären niemals mit dem Auto die Tour gefahren, was vor allem daran liegt, dass wir gar kein Auto haben. Nein, wir hätten sonst 1-, 2-, 3- oder 4-Tage-Tickets gekauft, für 1, 2, 3 oder 4 Zonen des Oldenburgischen, Kassler, Frankfurter oder Stuttgarter Verkehrsverbundes, das wäre gegangen, wäre aber sehr umständlich gewesen.
Wir haben also kein CO2 gespart, sondern hatten es einfach einfach. (Schönes Wortspiel, ich bekomme die rote Linie…)

Nun kommt aber das Interessante (oder eben nicht Interessante):
95% der Leute, die das 9 Euro-Ticket benutzt haben, haben dafür nicht das Auto stehen lassen, sondern haben es entweder anstatt eines Monatstickets gebraucht oder haben ZUSÄTZLICHE Fahrten gemacht. Und diese ZUSÄTZLICHEN Fahrten, diese 9 Euro-Spontanreisen, diese ÖV-Spritztouren, diese Billigfahrten ins Blaue, sind ein Riesenproblem.
Denn:
Diese ZUSÄTZLICHEN Fahrten, diese 9 Euro-Spontanreisen, diese ÖV-Spritztouren, diese Billigfahrten ins Blaue haben (natürlich) den CO2-Verbrauch erhöht.
In der Summe heisst das:
Das Neuneuroticket hat das Umweltproblem vergrössert. Was nicht geplant war.

Es stellen sich nun zwei Fragen:
Erstens: War das nicht immer schon, von vornherein und die ganze Zeit klar?
Zweitens: Wenn das schon immer, die ganze Zeit und von vornherein klar war, warum hat man es dann gemacht?

Stellen wir uns einmal vor, Sie wollen die Sauferei in Ihrer Gemeinde verringern. Die Sauferei, die zum Problem geworden ist, weil Betrunkene randalieren, weil sie dennoch Auto fahren und weil sie die nächtliche Ruhe stören. Nun haben Sie eine grandiose Idee: Alle nichtalkoholischen Drinks werden 3 Euro günstiger verkauft. Tolle Idee, aber sie wird nix bringen, wenn überhaupt, werden die Leute zusätzlich zum Bier noch Wasser trinken. Oder sie werden sich für 1,50 eine Cola bestellen, in die sie dann ihren Wodka kippen. Glaubt wirklich irgendein Mensch, dass ein gestandener Alkoholiker sich vom Saufen abbringen lässt, wenn man ihm gratis Mineralwasser spendiert?

Stellen wir uns einmal vor, Sie wollen die Lesekultur fördern und die Handysucht bremsen. Nun treiben Sie immense Geldmittel auf und starten eine Wahnsinns-Aktion: Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Gemeinde fahren alle Haushalte ab und schenken allen Leuten ein Buch. Was wird passieren? Ein minimal, minimalst, ein winziger, ein winzigster Teil wird Ihnen sagen: «Danke, ich wollte immer schon mehr lesen, jetzt tue ich es mal…». Ein grösser Teil hat das Buch schon oder (Supergau für den Buchhandel!) spart sich nun den Kauf, den man tätigen wollte. Der grösste Teil nimmt das Buch und legt es ab, zu den drei Büchern, die man schon hat (darunter die damals vom Pastor aufgezwungene Traubibel).

Stellen wir uns einmal vor, Sie setzen den Eintritt der örtlichen Schwimmbäder auf null. Wie viele Couchpotatos locken Sie damit ins Hallenbad, um 25 oder 50 Meter-Bahnen zu ziehen? Niemand. Die Jedentagschwimmer frohlocken, sie sparen sich wertvolles Geld, die Nichtsportler bewegen sich keinen einzigen Zentimeter vom Sofa weg.

Stellen wir uns einmal vor…
Stellen wir uns einmal vor…
Stellen wir uns einmal vor…
Ich denke, Sie haben es kapiert.

Es ist nicht das Geld, das Menschen hindert, statt dem Auto den Bus zu nehmen. Es ist nicht der Preis, der einen veranlasst Schnaps statt Wasser zu trinken. Es sind nicht die Ausgaben, die einen vom Buch weg zum Handy treiben und es liegt nicht an den Kosten, dass nicht mehr Leute Sport machen.
Insofern wird in allen Fällen nur die Klientel gefördert, die eh auf der eigenen Seite ist.

Hatten Sie bisher einen schönen Sommer? Sind Sie auch ein wenig herumgefahren? Mit deutschen Verkehrsmitteln? Mit dem 9 Euro-Ticket?
Also, wir haben unser Juli-9 Euro-Ticket weidlich genutzt. Wir waren in Oldenburg unterwegs, wir sind von dort nach Bremen, Leer und Dangast gereist, danach benutzten wir das Ticket in Kassel, Frankfurt und Stuttgart.
Aber Sie und ich haben wahrscheinlich kein Zehohhzwei eingespart.

Schade.





 

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