Dienstag, 16. März 2021

Gastroskopie

 „Gastroskopie“, sagt die beste Hausärztin von allen, als ich wegen eines üblen Refluxes bei ihr vorspreche, „Gastroskopie, das machen Sie bei Herrn Dr. Lamen, dann wissen wir mehr.“ Das sagt die beste Hausärztin von allen und lächelt mich an. Ich aber starre, japse und stammele: „Gastroskopie?“ Aber die beste Hausärztin von allen lächelt weiter.

Eine Gastroskopie, da habe ich bisher nur schreckliche Dinge davon gehört, so den Schlauch in die Nase oder den Rachen gestopft, das macht weh, höllisch weh, dazu Panik, das Gefühl zu ersticken, zu sterben, von vielen Freunden habe ich das gehört, eine Freundin sagte sogar, dass sie lieber noch mal DREI Geburten mitmachen würde wie EINE Magenspiegelung.

Aber die beste Hausärztin von allen lächelt weiter: „Das macht heute so, dass Sie schlafen, man versetzt Sie ins Reich der Träume, legt Sie Morpheus in die Arme und wenn Sie aus dem Reich der Träume wieder zurück sind und Morpheus´ Arme verlassen haben, dann sind Sie wunderbar ausgeruht und Dr. Lamen hat seinen Befund…

Beim weiteren Reden kommen wir darauf, warum das früher nicht möglich war, warum generell so viele Behandlungen schmerzhaft und eklig waren. Und damit meinten wir gar nicht nur die Operationen, bei denen man nicht mehr aufschneidet, sondern irgendwo durch ein Löchlein in den Körper witscht und ein paar Stents legt oder ein wenig Blinddarm herausnimmt, sondern so simple Sachen wie Zahnarzt.

Zahnarzt.
Das Horror- und Schreckensbild meiner Jugend – ich habe neulich schon darüber geschrieben – denn vor 50 Jahren wurden alle Kariesbehandlungen grundsätzlich ohne Betäubung gemacht. Das Fragen nach einer Spritze, vor allem wenn es von einem Jungen kam, galt als verweichlicht, unmännlich, unehrenhaft, unindianerhaft und schwul. Und weil man ja nicht als verweichlicht, unmännlich, unehrenhaft, unindianerhaft und schwul gelten wollte, ertrug man die Schmerzen beim Bohren, auch wenn einem die Tränen die Wangen hinuntertropften und hinunterliefen, man war hart, männlich, ehrenhaft, indianerhaft und nicht-schwul.

Aber selbst beim Friseur, das erzähle ich der besten Hausärztin von allen, und während ich es erzähle, müssen die beste Hausärztin von allen und ich herzhaft lachen, selbst beim Friseur wartete das Grauen, denn man kannte noch nicht diese Krepppapierabdichtungen um den Hals, die abgeschnittenen Haare purzelten in den Halsausschnitt, blieben dort und juckten den ganzen Tag…

Warum war früher alles so schmerzhaft und kompliziert?
Ja, liebe Leserinnen und Leser, so war es nämlich. Früher war NICHT alles besser, wie Sie immer behaupten.
Sie sagen, früher war mehr Salz in der Wurst und mehr Milch in der Sahne.
Sie sagen, früher waren die Winter noch richtig kalt und die Sommer warm.
Sie sagen, früher…
Dabei können Sie das gar nicht belegen, für viele Angaben gibt es überhaupt keine Statistiken, und selbst wenn:
Vielleicht will man gar nicht so viel Salz in der Wurst und vielleicht vertragen die Knochen und Gelenke die kalten Winter gar nicht.
(„Früher war mehr Lametta“, sagt Opa Hoppenstedt bei Loriot und für mich ist das ein klarer Fortschritt, denn ich finde Lametta grässlich.)

Warum war früher alles so schmerzhaft und kompliziert?
Bei den Stents- und Blinddarmoperationen kann ich es verstehen, da war man technisch nicht so weit, man konnte nicht irgendwo durch ein Löchlein in den Körper, aber warum gab es keine Spritze beim Zahnarzt? Doch, die örtliche Betäubung gab es, beim Zähneziehen gab es sie, beim Kieferorthopäden gab es sie, bei den Weisheitszähnen gab es sie, nur nicht beim Bohren, da galt sie als unehrenhaft, unindianerhaft und schwul. Und, ganz ehrlich gesprochen, es gab in den 60er Jahren schon dehnbares Krepppapier, die 1000000000 Haare in meinem Nacken, kratzend und juckend, juckend und kratzend, waren unendlich unnötig.

Nein.
Ich glaube, der Schmerz und die Plage beim Arzt waren gewollt.
Denn:
Sie entlasteten das Gesundheitssystem.
Und deshalb sollten wir sie wieder einführen.
Früher war klar, wenn du zum Doktor gehst, wird es weh machen, wird es schmerzen, wird es sehr, sehr, sehr, sehr unangenehm sein.
Magenprobleme? Kannst gerne zum Gastroenterologen, aber es wird bös, so den Schlauch in die Nase oder den Rachen gestopft, das macht weh, höllisch weh, dazu Panik, das Gefühl zu ersticken, zu sterben.
Schmerzen in der Leistengegend? Kannst gerne kommen, aber wir schneiden dich auf, lange OP, grosse Narbe und du wirst lange im Spital und in der Reha verweilen.
Und dann ging man eben nicht. Punkt. Deshalb: Führen wir doch dieses System wieder ein, die Krankenkassen werden es uns danken.

„Gastroskopie“, sagt die beste Hausärztin von allen, als ich wegen eines üblen Refluxes bei ihr vorspreche.
„Gastroskopie?“
Aber die beste Hausärztin von allen lächelt.



















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