Freitag, 19. September 2025

Herbsttournee 2025 (2): Von Schlachten, Schraten und Schlechtwerden

Und weiter geht es mit Geschichten und Eindrücken der Reise durch Mähren und Westpolen.

Neue Einblicke in die deutsche Geschichte

Hradec Kràlovè war mir kein Begriff. Eine entzückende Kleinstadt im Nordwesten der Tschechischen Republik, ein kleines Städtchen mit Marienbrunnen, ovalem Hauptplatz und Kopfsteinpflaster. Erst als ich die deutsche Übersetzung des Namens erfahre, klingelt es in meinem Kopf: Auf Deutsch heisst das Königgrätz. Königgrätz – da war doch was? Ja, die Schlacht bei Königgrätz, 1866. Krieg Deutschlands gegen die Österreicher. Als ich aber zu meinem Handy greife und Wikipedia aufrufe, staune ich. Ich hatte im Kopf, dass die bösen Bayern fünf Jahre vor der deutschen Reichsgründung noch für die Österreicher kämpften, so haben wir das in der Schule gelernt, aber es waren eigentlich ALLE gegen die Preussen, die Sachsen, Hannover, die Badener und die Württemberger, und das stimmt mich nun doch ein wenig sauer, 1980 habe ich in einer Stuttgarter Schule noch zu hören bekommen, dass WIR Deutschen den Mehlspeisenessern eine auf den Sack gegeben haben, dabei waren wir Schwaben auf der anderen Seite. Das Deutsche Reich war vielleicht viel mehr ein preussisches Reich, als man denkt.

Schweizer kennen keinen Rübezahl

Wir machen einen Halt im Riesengebirge.
Das Riesengebirge (tschechisch Krkonoš, polnisch Karkonosze, gebirgsschlesisch Riesageberge oder Riesegeberche ist das höchste Gebirge Tschechiens und Schlesiens. (so Wikipedia)
Wir halten an den berühmten Adlerfelsen und haben anderthalb Stunden Zeit, durch diese ominösen und riesigen und imposanten Sandsteingebilde zu laufen. Ein wirkliches Erlebnis. Beim Ausgang steht eine grosse holzgeschnitzte Figur, mit der sich meine Jungs fotografieren lassen. Sie finden den gnomenhaften und verschmitzten Mann lustig, haben aber keine Ahnung, wen das darstellen sollte.
Es ist Rübezahl.
Rübezahl (tschechisch Krakonoš, polnisch Lyczyrzepa, ist der Berggeist (Schrat) des Riesengebirges. Um ihn ranken sich zahlreiche Sagen und Märchen. (so Wikipedia)
Es ist erstaunlich, dass diese Figur in meiner Jugend so präsent war, obwohl ich ja weit, weit, weit vom Riesengebirge entfernt aufgewachsen bin. Aber sie war präsent, präsent in Büchern und Filmen und Bildern, sogar im Märchengarten Ludwigsburg gab es eine Station. Wenn man «Rübezahl» rief, dann erschien er und sprach mit tiefer Bassstimme: «Willst du Gold und Edelstein? Ich zeig sie dir!» (dieselben erschienen), «Aber du bekommst sie nicht!» (sie verschwanden). Stuttgarter meiner Generation werden sich noch erinnern.
Ich selbst habe eine etwas mulmige Erinnerung: Auf meiner Rübezahl-LP gab es eine Geschichte mit einem Mann, der seinen abgeschlagenen Kopf dabeihatte, dazu erklang eine düster-dämonische Musik. Ich hatte nach dem Hören der LP (der Spieler stand im Wohnzimmer) nun immer Angst in mein Zimmer zu gehen, weil ich befürchtete, dort dem Mann mit dem abgehauenen Kopf zu begegnen…
Man findet jene LP übrigens heute immer noch im Netz, es ist die E 237 der EUROPA-Kinderserie aus dem Jahre 1969 (Boomer, Boomer, Boomer, Boomer, erinnert ihr euch?) und die düstere Musik war die «Halle des Bergkönigs» von Grieg.

Öffentliche Toiletten mit heissem Wasser

Huch, werden Sie sagen, was soll das denn? Aber lassen Sie mich erklären:
In Wroclaw (früher Breslau genannt) konzertieren wir im Nationalen Forum für Musik (Narodowe Forum Muzyki), und zwar tun wir das am 1. September 2025, praktisch genau 10 Jahre nach dessen Eröffnung am 4. 9. 2015. Das Forum ist ein riesiger, toller, supermoderner und superschöner Bau der Architekten Kuryłowicz & Partner, der mehrere Säle und zahlreiche andere Räume bietet – wir musizieren im «Roten Saal», nicht im «Grossen Saal», der wäre mit seinen 1800 Plätzen nun doch zu gross…
Nun aber zu den WC-Anlagen: Auch sie riesig, toll, superschön und supermodern, und sie haben Waschbecken, aus denen kochend heisses Wasser fliesst. «Wer braucht das denn?», werden Sie fragen. Ich brauchte das, denn als einer meiner kleinsten Sänger vor mir stand und die Hand vor dem Mund hatte, wusste ich im selben Moment, dass es nun zu spät war, eine vorgehaltene Tüte übersah und überspie (welch schönes Wort) er und so waren meinen ersten Aufgaben in der Schlesischen Hauptstadt (was Breslau/Wroclaw ist) die Reinigung meiner Sporttasche und ein fast kompletter Strip und ein neues Bekleiden. Die alten Kleider konnte ich nun im Nationalen Forum reinigen, da – wie oben gesagt – die WC-Anlagen heisses Wasser bieten. Die Kleider wurden übrigens komplett sauber. Ob das eine Idee von Herrn Kuryłowicz war? Ob ihm eine ähnliche Sache wie mir passierte? Wir wissen es nicht, er erlebte die Einweihung des Forums nicht mehr, er starb jung. Aber er hinterliess zwei Söhne (denen als Babys vielleicht auch einmal schlecht wurde…)

Am Dienstag mehr.

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