Freitag, 25. November 2022

Ich bin... Ich fühle mich... / die Verleihung der GOLDENEN MAUS

Ich hatte neulich einen wilden Traum. In meiner (neuen!) Küche hatten sich Mäuse angesiedelt. Nachdem ich ein paar Tage zugeschaut hatte, wie die Biester meinen Käse klauten, meinen Schinken stibitzen, meine Nüsse nagten und meine Äpfel assen, sagte ich mir, das müsse aufhören und enden. Das könne ja nicht sein, dass die Nager alles wegnagen. Also überlegte ich mir, wie ich das Käseklauen, das Schinkenstibitzen, wie ich das Nüssenagen und Äpfelessen stoppen könne. Ich beschloss, zunächst einen milden und gewaltfreien Weg zu gehen: Ich stellte mich vor die (Inzwischen 20) Tiere und rief: «Ich bin eine Maus! Lasst uns reden! Ich bin einer von euch!»
Ich wartete eine Weile, dann erscholl aus dem Brotkasten eine Antwort: «Nein, bist du nicht.» «Doch», rief ich erneut, «ich bin eine Maus!» «Nein», tönte es jetzt aus dem Käseschrank: «Du bist ein Homo Sapiens, wir sind Mäuse, unsere Interessen sind diametral entgegengesetzt. Du kommst nicht umhin, Fallen aufzustellen.» «Ohne Fallen werdet ihr weiterhin meinen Käse klauen, meinen Schinken stibitzen, meine Nüsse nagen und meine Äpfel essen?» «Ja, ohne Fallen werden wir weiter deinen Käse klauen, deinen Schinken stibitzen, deine Nüsse nagen und deine Äpfel essen.»
Schweissgebadet wachte ich auf.

Bei einer Tasse Kaffee dachte ich über meinen Traum nach. Zunächst hatte ich noch kurz überlegt, ob ich dieses Lehrstück gesellschaftlicher Gegensätze einer marxistischen Strassentheatertruppe anbieten sollte, es wäre ja ein Agitprop-Sketch par excellence. Ich malte mir sogar schon die Schauspielerinnen und Schauspieler mit Mausmasken aus – so eine Mausmaske, wie der Täter im Tatort, also der Tatorttäter vom 20. 11. 2022 trug.
Dann aber fiel mir ein, dass ich gar keine marxistischen Theatertruppen und keine Agitprop-Künstler kenne, sie scheinen in der Schweiz auch nicht so häufig zu sein, wir haben ja nicht einmal mehr eine ordentliche kommunistische Partei…

Dann dachte ich bei einer zweiten Tasse Kaffee über diesen Satzanfang «Ich bin…» nach.
Er funktioniert eben nicht immer, aber manchmal funktioniert er. Bei Kennedy zum Beispiel hat er funktioniert. Er stellte sich am 26. Juni 1963 in Berlin hin und gab seine Solidarität mit den Worten bekannt:
ICH BIN EIN BERLINER.
Der Satz ging um die Welt und ist auch heute noch in den Ohren vieler Leute.
Bei Charlie Hebdo hat es auch funktioniert, wie viele Leute trugen nach dem 7. Januar 2015 T-Shirts oder Buttons mit
JE SUIS CHARLIE.
Allerdings: Von einigen wirkte der Satz merkwürdig, zum Beispiel von all den Pfarrern, Bischöfen und Kardinälen, denn Charlie Hebdo hatte Pfarrer, Bischöfe und Kardinäle oft genug angegriffen und der Klerus hatte das Satiremagazin genauso oft zum Teufel gewünscht…

Bei der dritten Tasse Kaffee (zu meinem Kaffeekonsum siehe Post vom 3. 5. 2022) formuliere ich ein Gesetz, dass als das HERTER`SCHE AXIOM in die Geschichte eingehen wird:

Sätze, die mit Ich bin…, I am…, Je suis…, Io sono…, usw. beginnen, kommen nur an, wenn siehe entweder stimmen (also wenn man das Gesagte wirklich ist) oder aus einer tiefen, glaubwürdigen Solidarität herrühren. In jedem anderen Fall sind sie pure Heuchelei.

Und im Sinne dieses Axioms und in Erinnerung an meinen Traum stifte ich einen Negativpreis, die GOLDENE MAUS. Die GOLDENE MAUS wird an Personen verliehen, die durch einen falschen Gebrauch von Ich bin…, I am…, Je suis…, Io sono… sich der Heuchelei schuldig gemacht haben und eine peinliche Vorstellung geliefert haben. Die GOLDENE MAUS ist mit 30 Tomaten (faulig und geworfen) dotiert. Natürlich geht die GOLDENE MAUS auch an solche Deppen, die sich als XY fühlen, also ihre Sätze mit I feel... beginnen.

So.
Sie müssten nun nicht lange raten, wer die GOLDENE MAUS 2022 bekommt.
Trotzdem wollen wir es spannend machen:
Trommelwirbel…
Ich zücke das Couvert.
Fortgesetzter Trommelwirbel…
Ich öffne das Couvert.
And the winner is:

Gianni Infantino.
Begründung: Mit seiner Rede bei der Pressekonferenz, bei der er angeblich zum Asiaten, Afrikaner, Wanderarbeiter, Sportler und Schwulen wurde, hat er ein dermassen wüstes Beispiel von Heuchelei und Hochstapelei abgegeben, dass einem jeden anständigen Menschen die Haare zu Berge stehen. Wenn Gianni ein Herz für alle diese Menschen hätte, dann hätte er a) die WM nicht Qatar vergeben oder würde b) den Kataris ein bisschen Beine machen und hätte c) dem DFB erlaubt, die Binde zu tragen. Nein, sein I feel..-Gefasel war abscheulich.

Eben kommt ein Anruf vom Marxistisch-Leninistischen-Revolutionären Komitee Nordwestschweiz (MLRKM). Das MLRKM möchte meinen Traumtext. Scheinbar liest nicht nur Bill Gates mit, wenn ich schreibe. Ich müsste allerdings – das sei Partei bzw. Komitee-Linie, klar bekennen, dass ich zu ihnen gehöre, also das ich Marxist sei.
Ich sage dem Mann, er könne sich…

Sonst kann ich die GOLDENE MAUS 2023 gleich mit selber verleihen.



 

 

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