Neulich bekam ich ein ganz reizendendes Mail:
Sehr geehrter Kunde
Jeder von uns ist nur ein Mensch, keiner ist ein Roboter, wir sind alle Humanoide und Humanoide machen Fehler. Wir auch und Sie auch und nun ist Ihnen ein ganz kleiner, aber für uns bedeutender Fehler unterlaufen: Irgendwie haben Sie es versäumt, die Rechnung mit der Nummer Tz635498 zu begleichen. Das ist nicht schlimm, keine Sorge, keine Bange und kein Missmut, wir sind überhaupt nicht böse auf Sie, nein, nein, es wäre nur für uns ganz toll, wenn Sie die Summe von 567,-- jetzt bezahlen würden. Wir müssen halt auch Miete zahlen, und dann die Löhne und Lohnnebenkosten, da können wir leider auf das Geld nicht verzichten, tausendmal sorry. Seien Sie also ein Schatz, seien Sie lieb, seien Sie ein Darling und zahlen Sie
Tausend Küsschen und liebe Grüsse
FORTIFER Internethandel AG
Obwohl das ja lieb und nett gemeint war, grauste es mir so ein kleines bisschen, irgendwie war das zu süsslich, zu honighaft, das hatte etwas Schleimiges und Schlieriges, das war irgendwie falsch und unecht. Ich sprach mit Hugo, einem Freund, von dem ich wusste, dass er auch regelmässig bei
FORTIFER bestellt, darüber und – siehe da – auch er hatte eine Mahnung bekommen, die allerdings ganz anders aussah:
Kunde!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
Sie Schweinebackenhundesau haben Rechnung Zz863452 nicht bezahlt. Gut, wir können auch anders. Wenn Sie nicht heute – und das heisst heute, genau heute – die 377,-- blechen, dann passiert etwas Schlimmes, etwas ganz Schlimmes.
Wir wissen, wo Sie wohnen…
Wir wissen, wo Ihr Auto steht…
Marschieren Sie also sofort zur Bank und berappen, sonst ist das vielleicht das letzte Mal, dass Sie irgendwo hingegangen sind.
Sie Arschgesicht.
Nun gesellte sich Hägu, ebenfalls ein FORTIFERer, zu uns. Als wir ihn fragten, ob er zufällig mal eine Mahnung in letzter Zeit bekommen habe, kramte er auf seinem Handy in den Mails und zeigte uns die folgende:
Liebe Kundin/lieber Kunde
Wir haben für die Rechnung Rr273545 noch keinen Zahlungseingang feststellen können. Bitte begleichen Sie den Betrag von 235,-- bis zum 4.11.2020 um weiteren Mahnungen und auch Mahngebühren zu vermeiden.
mit freundlichen Grüssen
das FORTIFER-Team
Nun waren wir alle sehr ratlos. Warum schickte diese Firma ganz verschiedene Mahnbriefe? Warum der einen Person einen zuckersüssen, schleimigen und honigtropfenden, der anderen Person einen Text, der ja nun fast (oder mehr als fast?) den Tatbestand einer massiven Drohung erfüllte und mit dem man zur Polizei gehen könnte, und der dritten Person ein ganz normales Standard-Schreiben (der Pleonasmus ist gewollt…)?
FORTIFER gibt auf seiner Homepage eine Hotline an, wir stellten eines unserer Handys auf laut und wählten 0700 800 900. Nach 15 Minuten und gefühlten 2000x Tracy Chapmans Fast Car hatten wir Irene-Schlaepfer-was-kann-ich-für-Sie-tun an der Strippe und Frau Irene-Schlaepfer-was-kann-ich-für-Sie-tun erklärte uns den Sachverhalt: Es sei ein Test, man habe – so Irene-Schlaepfer-was-kann-ich-für-Sie-tun – drei verschiedene Briefe abgeschickt und schaue nun, welche Kundinnen und Kunden am schnellsten zahlen. Das Experiment gehe bis Februar 2021, aber das Resultat zeichne sich jetzt schon ab: Der Schleimbrief löse fast sofortige Zahlungen aus.
Wir bedankten uns bei Frau Irene-Schlaepfer-was-kann-ich-für-Sie-tun und legten auf und schüttelten unsere Köpfe, also jeder seinen eigenen.
Was ist das für eine Welt? Werden die Menschen so wenig gelobt, so wenig gehätschelt, so wenig liebgehabt, dass sie auf Nettigkeiten hereinfallen, die nur Tricks sind? Ist nicht eine Zahlungserinnerung eine sachliche Sache, und muss wie alle Sachen als sachliche Sache behandelt werden? Wie kann es sein, dass so eine honigsüsse Pampe den Menschen sanft die Gurgel hinabläuft, eine honigsüsse Pampe, die mir selbst nur das Kotzen hervorriefe?
Der Welt ist verrückt.
Ich müsste kurz etwas für den Schluss nachschlagen, also kurz auf Google, geht aber nicht, weil mein WLAN gerade ausgestiegen ist. Und ich lese:
Sie sind nicht verbunden. Aber das Netz ist nicht das Gleiche ohne Sie.
Was für ein Honig, was für ein Schleim.
Und – im Gegensatz zu der Geschichte oben – ist es wahr.
P.S. Wir telefonierten mit dem auf LAUT gestellten Handy zuhause, nicht in einer Kneipe oder im Tram. Sonst würde ich ja zu den Menschen gehören, die mir auf den Keks gehen (Post Schonagonnen 2 vom 29.9.2020)
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