Dienstag, 1. April 2025

Pazifismus ist ungeil

Ich blicke auf ein Foto aus den Achtzigerjahren:
Die Aufnahme zeigt einen jungen Mann, der sich ein Doppel-Pappschild, ein sogenanntes Sandwich umgeschnallt hat, er trägt normale Kleidung, ist aber weiss geschminkt. Im Hintergrund, wir befinden uns aller Ansicht nach auf einem Parkplatz, tummeln sich weitere Personen mit Schildern. Auf dem Sandwich des jungen Mannes können wir lesen:

JEDE MINUTE WIRD AUF DER WELT 1 MILLION FÜR RÜSTUNG AUSGEGEBEN.

Es handelt sich also offensichtlich um einen Friedensaktivisten vor einer Friedensdemo. Wir erinnern uns: Das gab es damals. Menschen, die keine Waffen wollten. Menschen, die an den Frieden glaubten. Menschen, die gegen die Pershings demonstrierten. Menschen, die in Mutlangen blockierten. Es gibt noch einen anderen Namen für sie:
Pazifisten.

Aber wenn ich jetzt so dieses Foto betrachte, dann muss ich zugeben, dass diese Leute schon extrem ungeil waren.
Der junge Mann trägt seine schwarzen Haare in einer ganz unmöglichen Topffrisur und
hat eine langweilige Drahtbrille auf der Nase. Seine Statur ist OK, aber athletisch ist sie nicht, dafür sind seine Schulter zu hängend und seine Arme nicht kräftig genug. Er wirkt wie ein Bubi, der wahrscheinlich immer einen Preis der «Stiftung Humanismus Heute» gewinnt, vielleicht auch bei «Jugend forscht» oder «Jugend musiziert», der aber sicher, sicher, sicher keine Pokale auf seinem Wandregal hat, weder in Leichtathletik noch in Schwimmen oder einer Mannschaftssportart.
Ungeil.

Könnten Sie sich vorstellen, dass eine Frauenfigur in einer Oper singt:
Zivildienstleistende, Zivildienstleistende
Sind schöne Burschen
und dass sie sich später einem solchen in die Arme wirft, der ihr zuflüstert:
Wir wollen eine Zucht von Kriegsdienstverweigerern anlegen!
Nein, sicher nicht.
Es ist auch nicht so, Marie singt im «Wozzeck»:
Soldaten, Soldaten
Sind schöne Burschen
Und der Tambourmajor singt
Wir wollen eine Zucht von Tambourmajoren anlegen!

Könnten Sie sich vorstellen, dass eine Kapelle den «Marsch der Krankenpfleger» spielt? Oder einen «Aufmarsch der Altenpfleger»? Oder den «Tanz der Heilerziehungspfleger»?
Sicher nicht.
Aber dass der «Marsch der Dragoner» oder «Ulanen reiten durchs Tor» oder «Schwere Kavallerie» gut klingt, das ist jedem klar.

Pazifismus ist eben ungeil.
Wie eben Abrüsten auch viel langweiliger ist als Aufrüsten.
Aufrüsten heisst ja, dass etwas passiert, dass etwas geschieht, da wird Stahl geformt und Eisen gegossen, da wird Technik entwickelt und werden Apparate gebaut, da wird getestet und probiert, und dann knallt es bumst es, das ist stark und männlich, und es macht allen Freude.
Abrüsten dagegen heisst ja, dass hier Dinge verschrottet werden, Dinge, die geformt und gegossen und gebaut wurden, Dinge, in die Firmen und Erfinder Schweiss und Mühe gesteckt haben, Dinge, die ja auch Geld gekostet haben, Dinge, die dann einfach weggeworfen werden.
Wie traurig muss sich eine Rakete fühlen, die sich ihr Leben lang auf den Einsatz freut, freut, zu krachen und zu rumsen und bumsen, und dann einfach auf dem Schrottplatz landet.

Und nun mal ganz ehrlich: Haben Sie nicht auch Freude an Filmen wie «Herr der Ringe» oder «Braveheart» oder «Robin Hood»? Und würden Sie diese Filme auch anschauen, wenn die Protagonisten Bauern wären, die friedlich ihr Land bestellen? Nach dem Motto «Im Märzen der Bauer»? Und ist dann, wenn dem so ist, der Spruch «Schwerter zu Pflugscharen» nicht ein totaler Blödsinn? Mit was soll Aragorn denn kämpfen?

Nein.
Wir sind froh, dass solche Demonstrationen wie auf dem Foto nicht mehr stattfinden, nicht mehr stattfinden, einfach weil sie ungeil sind. 

P.S.
Der Satz JEDE MINUTE WIRD AUF DER WELT 1 MILLION FÜR RÜSTUNG AUSGEGEBEN stimmt natürlich nicht mehr. Inzwischen ist es viel, viel, viel mehr.

P.P.S.
Der ungeile junge Mann auf dem Foto bin natürlich ich. Aufgenommen im Frühjahr 1985 in Schwäbisch Hall.

 

 

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