Das Lateinische kennt das Wort «orbis».
Dieses schöne Wort bedeutet so viel wie Kreis, Rundung, aber auch Umkreis und Kreislauf, sowie Erdkreis und Weltkreis. Sie kennen vielleicht den Segen, den der Papst, der Pontifex an Ostern über die Brüstung schmettert: «Urbi et Orbi» – der Stadt und dem Erdenrund wird hier der Segen zugesprochen. Die Frage, die sich zurzeit stellt, ist, ob der Papst, der Pontifex in Zukunft «Urbi et Orbi sine Germania» (also: Stadt und Erde ohne Deutschland) rufen muss, aber das führt uns ganz, ganz, ganz, ganz weit vom Thema weg und muss an anderer Stelle erörtert werden.
Von «orbis» leitet sich nun «orbita» ab, die Bahn, das Gleis, das Wagengleis und von diesem schönen Nomen das Adjektiv «exorbitant». Das Internet meint hierzu:
Worttrennung: ex·or·bi·tant, Komparativ: ex·or·bi·tan·ter, Superlativ: ex·or·bi·tan·tes·ten Aussprache : [ɛksʔɔʁbiˈtant]
Bedeutungen: gewaltig, außerhalb der Maßstäbe, außergewöhnlich, enorm
Herkunft: aus dem Französischen im 18. Jahrhundert entlehnt; von «exorbitans», Partizip Präsens des Verbs «exorbitare» von der Bahn, vom rechten Weg abweichen“
Synonyme: aussergewöhnlich, horrend, gewaltig, übertrieben
Das wäre alles nun nicht spannend, wenn dieses Wort nicht gefallen wäre, und zwar an prominentester Stelle:
Der Bugesumi Karlchen Lauterbach (ja, ja, ja, mal wieder der, aber ich habe schon lange nix mehr über ihn gebracht) will diejenigen unterstützen, die von Long-Covid und Corona-Impfschäden betroffen sind. Für ein solches Programm sei er «quasi in den Haushaltsverhandlungen», hatte der Minister an einem Sonntag im ZDF angekündigt. Für Corona-Impfschäden hafte vereinbarungsgemäß der Staat, sagte Lauterbach, es wäre aber «wertvoll», wenn sich auch die Arzneimittel-Hersteller beteiligten. «Denn die Gewinne sind ja exorbitant gewesen. Und somit wäre das tatsächlich mehr als eine gute Geste, sondern das könnte man erwarten.»
Das ist nun wirklich sensationell. Erstaunlich, dass das eher irgendwie unterging. Das Sensationelle ist nicht, das Wie oder das Wo oder das Warum, sondern das Das. Meint, dass es nicht sensationell ist, wo und warum Lauterbach das sagt, sondern dass er überhaupt dieses Wort in den Mund nimmt.
Denn:
Die «exorbitanten» Gewinne von Firmen gehören zu den Sachen, die völlig klar sind, über man aber nicht spricht.
Haben Sie – um ein Beispiel zu nennen – erlebt, dass der Pontifex vor dem «Urbi et Orbi» über seinen Stuhlgang spricht, dass er z.B. sagt: «Heute morgen konnte ich richtig gut aufs Klo.» Oder: «Ich bin seit Tagen verstopft.» Natürlich wissen wir, dass auch das Oberhaupt der Katholischen Kirche eine Verdauung und einen Darm hat, aber er redet natürlich nicht darüber.
Haben Sie erlebt, dass ein Machthaber im Staate XY nach der Wahl offen zugibt, dass er gefälscht und gefakt hat? Natürlich weiss jede und jeder, dass die 95% für ihn und die 5% für die Gegenkandidatin nicht ganz sein können, aber es ist fast nicht möglich, dass er so darüber redet.
Haben Sie heute schon den Satz «die Sonne ist heute Morgen aufgegangen» gehört?
Haben Sie heute schon den Satz «ich muss ständig atmen, sonst sterbe ich» gehört?
Haben Sie heute schon den Satz «wenn ich jetzt das Buch loslasse, fällt es zu Boden» gehört?
Haben Sie heute schon den Satz «meine Fenster sind durchsichtig» gehört?
Haben Sie heute schon den Satz «mein Hund bellt manchmal» gehört?
Selbstverständliche Dinge werden nicht genannt – normalerweise. Und so ist es erstaunlich, dass Karlchen das so deutlich sagt.
Betreiben wir nun noch einmal Sprachwissenschaft:
Wenn wir «exorbitant» von seiner Grundbedeutung her deuten, dann heisst es nicht nur riesig und gross und massig, sondern könnte auch bedeuten, dass hier etwas aus dem Gleis gelaufen ist, das hier – um es besser zu sagen – Dinge aus dem Ruder laufen…
Während ich hier so fröhlich über Karlchen philosophiere, fällt mir natürlich noch eine andere Verwendung für das Wort ein:
Die CS.
Auch hier könnte man ja fröhlich formulieren:
Die Verluste der Credit Suisse waren exorbitant (aus dem Ruder gelaufen), denn sie war exorbitante (aus dem Ruder gelaufene) Risiken eingegangen und hatte in exorbitanten (aus dem Ruder gelaufenen) Gefahren gewirtschaftet. Dafür erhielten die Manager Gehälter, die exorbitant (aus dem Ruder gelaufen) und Boni, die exorbitant (aus dem Ruder gelaufen) waren. Die UBS kauft nun zu einem exorbitant schlechten (aus dem Ruder gelaufenen) Preis und der Staat schiesst exorbitant viel zu.
Auch hier passt das sehr schön.
So, so viel Sprachwissenschaft für heute.
Wie fanden Sie dieses Mal die Glosse?
Aber sagen Sie bitte nicht…
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