Freitag, 18. Juli 2025

Stadt und Energieunternehmen schreiben mir unnötige Briefe

 



Dieser Mailverkehr ist absolut echt – nur die Mailadressen sind gefälscht und die Angaben entfernt.

From: roebhe@bluewin.ch
To: iwan.rothaus@iwb.ch
Betrifft: KN xxxxxxxx
Referenz xxxxxxxx
Guten Abend, ich soll in der X-strasse xx Parterre den Zähler xxxxxxxx ablesen. Ich finde diesen nicht, ich finde nur Zähler, die direkt senden.
Mit freundlichen Grüssen
Rolf Herter

From: iwan.rothaus@iwb.ch
To: roebhe@bluewin.ch
Guten Tag Herr Herter
Vielen Dank für Ihre Anfrage.
Ihr Stromzähler wurde nach dem Versand der Karten gewechselt. Die Karten können Sie daher entsorgen.
Wie Sie korrekt schreiben, müssen Sie den Stromzähler künftig nicht mehr selbst ablesen. Der neue Zähler übermittelt die Zählerstände zum gewünschten Zeitpunkt automatisch an uns.
Für weitere Fragen stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung.



From: roebhe@bluewin.ch
To: iwan.rothaus@iwb.ch
Lieber Herr Rothaus
Vielen Dank für Ihre Mail. Der Ablesezettel ist entsorgt. Ich fände es aber gut, wenn Sie in den Häusern, in denen Sie die Zähler wechseln, eine klare Botschaft in die Briefkästen legen würden: FALLS NOCH EIN ABLESEZETTEL KOMMT; BITTE DEN IGNORIEREN
Ich stelle mir meine Freundin M.U. im Gotthelfquartier vor, die dort allein lebt - mit 90. Sie würde verzweifeln und 3 schlaflose Nächte haben, wenn sie den Zähler nicht findet und nicht korrekt handeln kann.
Liebe Grüsse Rolf Herter

Auf die Antwort warte ich bis heute. Die Idee mit dem Zettel finde ich dennoch bis heute gut, ich stelle mir vor, wie andere Leute reagierten (oder bin ich der einzige Blöde, der nicht gecheckt hat, dass die Zähler nicht mehr da sind?).
Wenn nur ein paar Hundert bei der IWB anrufen, oder mailen, oder schreiben entsteht ja ein ungeheurer Aufwand.

Ich staune noch über diesen Schildbürgerstreich, da wartet schon der neue auf mich:
Die Stadt Basel verleitet ihre Bürger zu stromsparendem Verhalten – und belohnt dieses auch! Jedes Jahr bekommt jede Bürgerin und jeder Bürger einen Bonus überwiesen (in den letzten Jahren stets 60,--). 2025 passierte nun ein Fehler; vielen Personen zahlte man den Betrag doppelt.
Was nun?
Es wäre ein leichtes gewesen, über die Medien, die Presse, den Rundfunk und das Fernsehen die Botschaft zu senden:
HALLO LEUTE! WER DOPPELT BEKOMMEN HAT, KRIEGT 2026 DAFÜR NIX.
(Nein, natürlich nicht in ARD und ZDF, aber in der BaZ, Telebasel und Radio Basilisk…)

Stattdessen bekomme ich (ja, ich gehörte auch zu den «Gewinnern») einen Brief, den ich hier zitieren möchte:

Sehr geehrter Her Herter
Stromspar-Bonus Basel - freiwillige Rückzahlung der fehlerhaften Auszahlung
Bei der diesjährigen Auszahlung des Stromspar-Bonus an die Basler Haushalte ist ein technischer Fehler aufgetreten, weshalb einigen Haushalten der Bonus doppelt ausbezahlt wurde. Auch Sie haben den Bonus doppelt erhalten. Dafür entschuldigen wir uns bei Ihnen.
Sie haben zwei Möglichkeiten:
1) Sie können den zu vielausbezahlten Betrag freiwillig zurückzahlen und erhalten nächstes Jahr wie gewohnt die jährliche Bonuszahlung.
2) Sie zahlen den zu viel ausbezahlten Betrag nicht zurück und erhalten nächstes Jahr keinen Bonus respektive nur den Differenzbetrag zum nächstjährigen Bonus.
Wenn Sie die Variante 1wählen und den zu viel ausbezahlten Betrag freiwillig zurückzahlen, bitten wir Sie. CHF 60.- auf das untenstehende Konto zu überweisen.
Bitte geben Sie beider Rückzahlung Ihre achtstellige SFB-Nr. xx.xxx.xxx an, damit die Zahlung korrekt zugeordnet werden kann.
Freundliche Grüsse
Luzius Myrtius

Dem ist doch eigentlich nichts hinzuzufügen! Welch ein Aufwand! Welch ein Buchungswahnsinn!

Es wird viel über Bürokratieabbau geredet. Und damit meint man meist die Streichung von irgendwelchen Vorschriften. Aber ein erster Schritt wäre doch:
Wir schauen, dass wir unnötige Kommunikation vermeiden.
Denn Buchungen müssen kontrolliert werden.
Buchungen müssen verbucht werden.
Mails müssen gelesen werden.
Mails müssen beantwortet werden.
Anrufe müssen entgegengenommen werden.
Vieles könnte man vermeiden. 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Dienstag, 15. Juli 2025

Einsilbige Bücher lesen

 
Ich schreibe ja immer auf, was ich gelesen habe.
Man kann das nerdig finden, sogar sehr nerdig, aber manchmal ist es gar nicht schlecht, zum Beispiel, wenn ich nach dem Titel eines Buches suche, wenn ich aber auch den Autor vergessen habe, sonst würde ich es ja in meinem perfekt alphabetisch sortierten Bücherregal finden. (Sie erinnern sich? Post vom 24. Juni: ...Ich bin ein ordentlicher Mensch. Meine Bücher stehen in alphabetischer Ordnung, Böll steht bei Böll und Mann steht bei Mann, wobei natürlich der Autor des «Untertanen» vor seinem Neffen Klaus und dieser vor seinem Vater Thomas steht. Innerhalb der Autoren leiste ich mir Unordnung...)
Wenn ich also Autor und Titel vergessen habe, wie neulich von diesem wunderbaren, herrlichen, lustaufitalienmachenden Roman, der auf Sizilien spielt, aber ich noch weiss, dass ich es von meiner Freundin E. im August 2024 geschenkt bekam und auch sofort las, dann finde ich es – es ist übrigens «Noto» von Adriano Sack.

In meiner aktuellen Liste finden sich zufällig viele einsilbige Bücher, was mich irgendwie an eine Zeit vor etlichen Jahren erinnert, als ich 5 Monate lang absichtlich nur einsilbige Bücher las.
Bitte verstehen Sie «einsilbig» nicht falsch! Ich meine nicht mürrische, muffige, mufflige, ich meine keine wortkarge, unwirsche, keine maulfaule, böse, keine sauertöpfische Bücher, sondern einfach Bücher mit einem Titel, der nur aus einer Silbe besteht:
Daniel Goetsch: X
Nicola Reiter: Firn
Thea Dorn: Trost (aus den aktuellen Büchern)
Thomas Bernhard: Frost
Christoph Meckel: Licht
Justin Cronin: Zwölf (aus den früheren)

Einsilbige Bücher also.
Sie können nun einwenden, dass es verrückt ist, einsilbige Bücher zu lesen, aber darf man nicht ein wenig verrückt sein?
Es gibt eine Kunstsammlerin, die Bilder sammelt, auf denen ein Quadrat zu sehen ist, und die auf diese Weise eine beachtliche Kollektion konkreter Kunst zusammengetragen hat. Sie heisst Hoppe-Ritter. Ja, Ritter, wie Ritter Sport. Und nun ist die Kollektion und das herrliche Museum in Waldenbuch schon gar nicht mehr so verrückt, quadratisch, praktisch, gut.
Ich kannte einen Numismatiker, der gleichzeitig Goetheaner war und nur Münzen aus Ländern, Zeiten und Städten sammelte, in denen Goethe einmal war (gibt es ja genug). Ich fand das leicht bescheuert, aber meine anthroposophischen Freunde fanden das nicht. Auf jeden Fall wäre seine Münzkollektion als Kantianer wesentlich kleiner gewesen…
Ein Freund von mir liest nur Bücher von toten Autoren, und zwar von welchen, die schon eine Weile gestorben sind, am besten so ca. 50 bis 100 Jahre, also Kafka, Fallada oder Mann und ähnliche. «Nicht nur tot, sondern mausetot», so seine Rede.

Aber ist das wirklich so verrückt?
Angesichts einer Riesenmenge ist selektives Verhalten – und sei es nach einem witzigen Kriterium – doch gar nicht so doof.
Ich kenne keine Sammlerin und keinen Sammler, der durch alle Länder, Zeiten, Stilrichtungen und Maler kreuz und quer sammelt. Entweder jemand sammelt den sammelt den Künstler X.Y., oder Linolschnitte oder Kunst aus Rumänien, oder eben Kunst mit Quadrat, aber niemand sammelt ALLES.
Die Zahl der verschiedenen Münzen, die es in Europa in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts und Anfang des 19. Jahrhunderts gab, ist nicht zu ermitteln, aber sie muss riesig sein, immerhin konnte jedes kleine Fürstentum seine eigenen Dinger prägen, warum also dann nicht diese Goethe-Beschränkung?
Und das mit den mausetoten Autoren ist auch nicht doof: Über die schlechten mausetoten Schriftsteller hat Herr Chronos ja schon den milden Mantel des Vergessens gebreitet.

Was man aber auch klar sagen muss: In bestimmten Bereichen hat jeder Mensch das Recht auf Selektion.
Wenn ich Lust habe, lese ich nur einsilbige Bücher, sammle quadratische Kunst, sammle Münzen aus der Goethe-Zeit oder lese nur mausetote Autoren. Oder esse nur Nudelgerichte. Oder fahre immer nach Holland in Ferien. Oder schwimme nur in Seen.
Schwieriger wird es bei anderen Dingen:
«Ich vermiete nur an Deutsche.»
«In meiner Firma arbeiten nur heterosexuelle Menschen.»
usw.
Hier muss man dem Selektionsverhalten dann doch ein grosses Fragezeichen entgegenschleudern.

Noch ein kleiner Nachtrag:
Ein winziges Manko haben die einsilbigen Bücher, es gibt Titel doppelt und dreifach. Dass ein zweiter Autor ein Buch mit dem Titel «Wie Grischa mit einer verwegenen Idee beinahe den Weltfrieden auslöste» veröffentlicht, das ist fast unmöglich, solch ein Titel bleibt unique. Aber «Licht» gibt es gleich dreimal: Von Christoph Meckel. Von Anthony McCarten. Und von Kathrin Gross-Striffler. Und von Serge Haroche.
(Wer die beiden letztgenannten auch immer sein mögen.)



 


Freitag, 11. Juli 2025

Der Laden "Tutti Frutti" ist Geschichte

Am 7. Juli fand im «Tutti Frutti», in einem (ehemaligen) Laden im Basler Quartier Gundeldingen (von den Einheimischen «Gundeli» genannt) eine denkwürdige Trauerfeier statt: Man gedachte Ingeborg Hermann, der Inhaberin des Geschäftes, die am 17. Juni mit über 85 Jahren verstorben war. Die Abschiedsfeier für Frau Hermann war auch die Abschiedsfeier für den Laden. Den Laden, den so viele Basler schmerzhaft vermissen werden.

Das «Tutti Frutti» war eine Legende, jeden Tag geöffnet, und offen bis tief in den Abend, man bekam dort eigentlich alles, was der Mensch liebt: Brot und Kuchen, Mineralwasser, Alkohol, Zigaretten, Eis, Butter, Konfitüre, Wein, Bier, Wurst oder Käse.
Meine Berliner Leserinnen und Leser werden jetzt aufstöhnen: Das «Tutti Frutti» ist natürlich in ihren Augen einfach ein Spätkauf, ein «Späti», wie die Spreeathener sagen, ca. 1500 gibt es in Kreuzberg, Neukölln, Spandau usw., aber selbst im grossen Berlin werden Spätis mit Inhaberinnen über 80 nicht die Regel sein…

Ich war (leider) nicht sehr oft im Laden von Ingeborg Hermann.
Nach meinen Schwimmbadaufenthalten pflege ich mir meistens ein Eis zu gönnen. Im letzten Sommer hatten sie im Gartenbad St. Jakob eine Tiefkühltruhe von «Ice Dream», einer Marke aus naturbelassenen Zutaten, die extrem lecker (und gesund, so weit Eis gesund sein kann) ist. Leider vergassen die Betreiber im Bad meistens meine Lieblingssorte nachzubestücken, sodass ich bei Frau Hermann vorbeischaute.
Wenn ich den Laden betrat, lächelte sie mir von irgendeiner Ecke zu und wünschte mir einen guten Tag, was ich auch tat. Ich ging zur Truhe, nahm mir mein Eis und stapfte zur Kasse. Sie nahm, wenn sie sah, dass ich etwas gefunden hatte, den gleichen Weg, allerdings schlurfend und langsam, so wie eine leicht bucklige Mitte-80-Frau zur Kasse geht. Ich zahlte (das Glace war noch billiger als im Bad…) und wir wünschten uns einen guten Tag.
Ich bedaure, nicht mehr mit ihr geredet zu haben.

Am 7. Juli fand im «Tutti Frutti», in einem (ehemaligen) Laden im Basler Quartier Gundeldingen (von den Einheimischen «Gundeli» genannt) eine denkwürdige Trauerfeier statt: Man gedachte Ingeborg Hermann.
Leider fand diese Feier nicht wirklich «im Laden» statt, also im originalen Interieur und mit vollen Regalen, sondern in einem «Laden im Umbau» mit Leiter an der Wand und Farbrollen, denn Frau Hermann hatte «Tutti Frutti» schon im Januar aus Gesundheitsgründen geschlossen.

Warum wird ein solch tolles Geschäft nicht weitergeführt?
Die Antwort liegt auf der Hand: Aus finanziellen. Frau Hermann musste von dem Geschäft nicht leben. Wenn Sie ehrlich rechnen, und wenn Sie Miete, Einkauf, evtl. Angestellte, Stromkosten, Versicherungen, etc., etc., etc. mit hineinnehmen, dann kommen Sie auf einen Stundenlohn, der jeder Beschreibung spottet.
Was wird hineinkommen? Was wird hineinkommen in dieses baulich tolle Geschäft, ein richtiger Eckladen mit Türe an der Spitze mit drei Stufen und an jeder Seite zwei grossen Fenstern?
Es gibt für mich mehrere Varianten:

Schlimmste Variante: Ein Geldwäsche-Nagelstudio
Die Vision, dass in dem wunderbaren Raum Metalltisch aufgestellt werden, an denen irgendwelche jungen Asiatinnen sitzen, die angeblich auf Kundschaft warten, diese Vision erregt in mir einen derartig grossen Brechreiz, dass ich sie sofort wieder ausblenden muss.

Schlimme Variante: Ein Design- oder Architektur-Büro
Auch hier stelle ich mir Tische vor, aber natürlich Vitra®-Tische an denen Vitra®-Stühle stehen. Darauf sitzen junge, dynamische Menschen, die an wahnsinnig wichtigen und wahnsinnig spannenden und wahnsinnig flotten Projekten arbeiten. Also, man geht davon aus. Denn wissen kann man es nicht – ihre Laptops und Tablets sind stets so gedreht, dass keiner den Bildschirm sieht. Wahrscheinlich gamen die meisten oder sind auf Social Media.

OK-Variante: Ein «Halbjahr-Geschäft»
Ein «Halbjahr-Geschäft» ist ein Laden, der nur ein halbes Jahr existiert. Er verkauft ein hippes Produkt, meist kulinarisch, das man einmal toll findet, aber nicht ein zweites Mal. Das hiesse zum Beispiel: Im August eröffnet dort im Gundeli ein Zutghadsa-Laden. Zutghadsa ist ein kambodschanischer Erdbeer- oder Himbeertee. Ende August explodieren die Likes auf Instagram und anderen Plattformen. Im September ist der Laden immer gerammelt voll. Ab Herbst lässt es nach, im Dezember ist der Laden pleite. 2026 startet der nächste…

Super-Variante: Ein Laden, mit Dingen, die man braucht.
Lederpflegetücher.
Kuchenformen über 32 cm Durchmesser.
Papier mit Notenlinien.
Ersatzbirnen für Ihre Design-Lampe von 2008.
Die Liste liesse sich unendlich fortsetzen, es gibt tausend Dinge, für die man sich die Hacken abläuft, wenn man nicht online bestellen will, wenn man einfach noch Beratung braucht, oder wenn man mehrerer Sachen anschauen will, und zwar live anschauen will, oder wenn man einfach Menschen treffen möchte, die sich auskennen, die Ahnung haben, usw.
Lederpflegetücher gibt es übrigens in Basel nur bei JUMBO®, also im Baumarkt – in der Auto-Abteilung. Kuchenformen gibt es nur über der Grenze, Notenpapier? keine Ahnung, aber für die Glühbirnen, da gibt es eine Adresse: Lampen-Boner, ein Laden, der wirklich noch Ahnung hat, und der in Basel beliebt ist wie kein anderer.

Der Laden «Tutti Frutti» ist Geschichte. Und seine ehemalige Inhaberin, die unvergessene Ingeborg Hermann auch.
Und man kann nur hoffen, dass für das architektonisch wunderbare Geschäft eine tolle Lösung gefunden wurde. 

P.S.: Bevor Sie jetzt wie wild googeln: Boner gibt es wirklich, den Tee gibt es nicht...