Dienstag, 20. März 2018

Der Tag, an dem die Welt Vernunft zeigt und die Glossen


Es wird einen Tag geben,
da werden die Glossen enden.
Ein Tag wird kommen,
da gibt es keine Satiren mehr.

Die Glossen bespotten die Dummheit und Ignoranz, die Satiren bewitzeln die Eitelkeit und Unvernunft.
Und an jenem Tag wird die Dummheit und Ignoranz, wird Eitelkeit und Unvernunft gestorben sein.
Und es wird keine Glossen mehr brauchen.
Und keine Satiren.
An jenem Tag werden kluge Politiker gewählt sein, die weise Entscheidungen treffen und sich in den Dienst des Volkes stellen, an jenem Tag werden die Reichen ihr Vermögen in Stiftungen stecken und die Wohlhabenden der Bevölkerung Schwimmbäder und Museen schenken. In den Zeitungen wird Wahrheit stehen und im Rundfunk Klugheit verkündet.
Die Eitlen und Eingebildeten werden ausgestorben sein, wie die Gewalttätigen und die Sprücheklopfer.

An jenem Tag werden die Titanic, Charlie Hebdo, werden der Postillon und der Nebelspalter zum letzten Male erscheinen.
Im Renitenztheater werden die Lichter ausgehen, im Teufelhof und im Fauteuil die Türen versperrt werden, die Lach- und Schiessgesellschaft wird zu einer finalen Retrospektive einladen und das Kommödchen seine letzte Gala geben. Und in Berlin werden sich die Mitarbeiter der Stachelschweine, der Wühlmäuse und der Distel nach ihren letzten Vorstellungen gemeinsam in einer Kneipe in Mitte oder Kreuzberg oder Friedrichshain treffen und sich in einem enormen Ausmass die Kante geben.

Den ab diesem Tag sind sie arbeitslos.
Vor den Arbeitsagenturen und vor Jobvermittlungsbehörden werden sich am nächsten Tag lange Schlangen bilden. Aber wer sucht arbeitslose Satiriker, wer braucht Glossisten ohne Job? Was kann jemand, der nur spötteln und witzeln und sticheln gelernt hat? Was soll jemand tun, dessen Metier der Zorn und die Häme gewesen ist? Niemand wird sie brauchen und so wird die Spottfraktion in Armut, Alkoholismus und Verwahrlosung driften.

Und sie werden den Tag verfluchen, jenen Tag, an dem die Dummheit starb, an dem die Eitelkeit ihren Geist aufgab. Die Leute von Charlie Hebdaux, Nebelspalter und der Titanic, vom Renitenztheater, Teufelhof und Fauteuil von der Lach- und Schiessgesellschaft und vom  Kommödchen, die Stachelschweine, die Wühlmäuse und die von der Distel werden ihre Fäuste und ihre Mittelfinger gen Himmel recken und rufen:
«Gebt uns die Dummheit zurück! Lasst die Ignoranz wiedererstehen! Erschafft die Eitelkeit neu!»
Und sie werden ärgerliche und böse Stimmen haben.

Und ich werde dabeistehen und froh sein, froh, ein Hobbyglossist zu sein, ein Gelegenheitssatiriker, ich werde von meinen normalen Jobs leben können und mich von meiner Hände Werk ernähren.
Und die anderen werden mich beneiden.

Es wird einen Tag geben,
da werden die Glossen enden.
da wird es keine Satiren mehr geben.

Und an jenem Tag wird die Dummheit und Ignoranz, wird Eitelkeit und Unvernunft gestorben sein.
Und es wird keine Glossen mehr brauchen, keine Satiren.
An jenem Tag werden Politiker gewählt sein, die kluge Entscheidungen treffen und sich in den Dienst des Volkes stellen, an jenem Tag werden die Reichen ihr Vermögen in Schwimmbäder und Museen stecken und die Wohlhabenden der Bevölkerung Stiftungen schenken. In den Zeitungen wird Klugheit stehen und im Rundfunk Wahrheit verkündet.
Die Eingebildeten und Eitlen werden ausgestorben sein, wie die Gewalttätigen und die Sprücheklopfer.

Und dieser Tag

Ist der Sankt-Nimmerleins-Tag.

Freitag, 16. März 2018

Nach No-Billag: Rettet die hochintellektuellen Formate!



Nach der zwar abgeschmetterten, aber doch Diskussionen ausgelöst habenden No-Billag-Iniative geht auch in den deutschen Rundfunkanstalten ein Gespenst um, das Gespenst des Sparens. Und so haben viele Intendanten, viele Chefs einmal in die Bücher geschaut, haben Produktionsmenge, Zeitaufwand, aber auch Einschaltquoten verglichen und beschlossen, sich von angeblich extrem ineffektiven Formaten und Sendungen zu trennen.

Im SFH, dem Sender Freies Hohenzollern, soll es Hans Pestsark treffen, dem Redakteur für das Hochintellektuelle. Pestsark produziert neben seinen Redaktions-, Lektorierungs- und Verwaltungsaufgaben einmal im Monat eine Sendung unter dem Titel «Geist und Kunst». Eine solche Stunde mit ihm ist stets ein Gang durch einen üppigen geisteswissenschaftlichen Garten, ein Spaziergang durch die Landschaften der Kulturgeschichte.

Natürlich sind Sendungen wie Die Rückkehr des Dekonstruktivismus im französischen Roman des 21. Jahrhunderts oder Klassifikation und Deklassifikation im Zeitalter der postsymbolistischen Malerei nichts für Leute, die ihren Verstand in der Schublade aufbewahren. Mit anderen Worten: Man muss schon EIN WENIG MITDENKEN, um die Stunde mit Pestsark voll geniessen zu können. Man sollte natürlich seinen Wittgenstein, seinen Hegel und Kant, man sollte seinen Habermas und Horkheimer gelesen haben, man sollte seinen Sartre und Foucault, seinen Adorno und Heidegger im Kopfe griffbereit haben, aber welcher einigermassen gebildete Mensch hat das nicht?
Ebenfalls kann man natürlich während Das Absolute und das Nicht-Absolute im Frühwerk von Thomas von Aquin oder Richard Wagner und die postvormärzische Diversität nichts anderes tun als zuzuhören, also nicht etwa abwaschen, bügeln, nicht etwa aufräumen, Blumen giessen oder (der Himmel bewahre!) Patiencen legen. Ein wenig Aufmerksamkeit braucht das eben.
Man sollte auch zum Abendessen keinen Rotwein und hinterher keinen Grappa getrunken haben, man sollte den Feierabendwhiskey genauso weglassen wie einen Spätapéro, denn Sendungen wie Die Filme R. W. Fassbinders als Antwort auf die Teilautonomie-Theorie Camus’ benötigen auch an ihrem Sendplatz 23.00 – 23.55 noch die volle Konzentration.
Aber ist das eine Schwierigkeit? Kann man das Bügeln, Blumengiessen, kann man das Abwaschen, das Aufräumen, kann man die (in aller drei Teufels Namen verdammten!) Patiencen nicht auf den nächsten Tag verschieben? Kann man nicht einmal im Monat auf Wein, Bier, Sekt und Schnaps verzichten, wenn solch wundervolle Programme kommen?

Nun also will die Intendanz des SFH diese wunderprächtigen Sendungen absetzen und Hans Pestsark in den Vorruhestand schicken; er wird im Oktober 63.
Die Argumente, die die Chefetage vorbringt, sind fadenscheinig. Man wirft Pestsark vor, er brauche zu viel Zeit für Sendungen, die von zu wenigen gehört werden, nebenbei beschuldigt man ihn auch noch, er verplempere seine Bürozeit mit dem Verfassen eigener Lyrik, während seine freien Mitarbeiter die eigentliche Arbeit, nämlich das Erstellen der Features und der Rezensionen für das Nachmittagsprogramm, erledigen.
Gut, der Hochintellektualitätsredakteur braucht schon seine 80 Stunden für Skript und Produktion. Aber wird hier wirklich erwartet, dass man sich eine Sache wie Der Garten von Giverny als Beginn der hydrologischen Formatierung oder Monochromität als klassifikatorisches Grundphänomen postmoderner Strukturen einfach so aus dem Ärmel schüttelt? Und dass bei einer gewissenhaften Vorbereitung auch mehrtätige Reisen in die Anlage Monets oder ins ehemalige Atelier Yves Kleins sein müssen, leuchtet doch auch jedem ein, oder?
Gut, die Zuhörerzahlen liegen im Vergleich zu einer Schlagerparade im Dritten Programm im Nano- und im Vergleich zu einer Stunde mit aktueller Literatur im Millibereich. Seine wohl beste Sendung der letzten Jahre, Synchronität und Asynchronität als antidialektisches Mittel im Spätwerk Stockhausens, wurde von 15 Leuten gehört, allesamt persönliche Bekannte von ihm. Aber diese reden noch heute über diesen Essay und haben extrem wichtige Erkenntnisse aus der mitternächtlichen Stunde mitgenommen.
Gut, Hans Pestsark nutzt Bürostunden zum Verfassen seiner exzellenten Anagramm-Gedichte (die er dann unter einem Anagramm-Pseudonym veröffentlicht), aber sein Gehirn denkt doch auch während der Zeit, in der er zuhause zu hau es zu verschiebt noch weiter an Wittgenstein und Habermas, oder? Und dass die Freien die ganze Fron leisten? Lächerlich! Was würden Sabrina und Holger, was würden Bettina und Arno, Felix und Regula denn zustande bringen, wenn er nicht als Spiritus Rektor über ihnen schweben würde? Da ist – um es mit My Fair Lady zu sagen – kein Wort in ihrem Mund und kein Gedanke in ihrem Kopf, den er nicht hineingelegt hat.

Alles in allem: Hier soll ein intelligentes Format zugunsten von Seichtheit und Dummheit aufgegeben werden und man muss sich dagegen wehren, denn: Wehret den Anfängen! Wenn Adorno einmal aus den Sendern verschwunden ist, dann ist es bald auch Mozart und wir haben nur noch Karl Moik.
Schreiben Sie bitte deshalb – wenn Sie möchten – an intendanz@s-f-h.de und bittet Sie um den Erhalt der hochintellektuellen Formate!

P.S. Wenn Sie denken, ich erfinde alles: Den Anagramm-Redakteur gibt es wirklich, Hans Pestsark ist ein Anagramm seines Namens.

Dienstag, 13. März 2018

Mike, der Promoter (4 und letztes): Influencer?



«Influencer», hüstelt Mike ins Telefon, «Influencer.» Da er auch nach Eukalyptus und Menthol, sowie nach Ricola riecht (meine bölloide Telefongeruchswahrnehmungsfähigkeit wurde schon erwähnt), sage ich zu ihm: «Schätzchen, wenn du die Grippe hast, dann lege dich ins Bett und kuriere dich aus.» «Wieso denn die Grippe?» «Na, du riechst nach Kräutern; und ausserdem hast du ja Influenza gesagt.» Mike lacht aus voller Kehle: «Ich habe keineswegs Influenza, sondern Influencer gesagt.» «Was ist denn das?» entfährt es mir. Mike lacht, hustet, lacht, hustet, lacht und sagt dann: «Gehe mal ins Netz und gucke dir das an, und dann meldest du dich wieder.

Was ich dann auch mache.

Ein Influencer oder eine Influencerin ist ein Mensch, der wahnsinnig viel im Internet schreibt und postet, damit Einfluss (daher der Name) auf andere gewinnt und somit viele, viele, viele Follower hat. Die Influencerei tobt sich vor allem in drei Bereichen aus:
Mode
Travel (man könnte auch das gute alte deutsche Wort «Reise» verwenden, aber das ist eben nicht hip)
Food (man könnte auch «Essen» schreiben, aber das ist nicht cool, siehe oben)

Jetzt werde ich ein wenig stutzig: Einfluss? Ist das etwas Tolles? Cooles? Positives?
Einer der grössten Influencer war sicher jener Geheimrat in Weimar, der uns mit seinem unlesbaren und unaufführbaren Drama einen Schinken hinterlassen hat, den sich zwar niemand komplett zu Gemüte führen kann, aber allen als ein Fundus für Zitate, Redensarten und Sprichwörtern fungiert, ohne zu wissen, in welche Mottenkiste er da greift, sagt doch jeder mindestens einmal pro Woche Sprüche wie des Pudels Kern. Viel mehr Influence als der Faust hatte aber sicher der Werther. Der Briefroman schlug 1774 wie eine Bombe ein und löste einen Werther-Tsunami von apokalyptischen Ausmassen aus. Man kleidete sich wie Werther, man sprach wie Werther, man benahm sich wie Werther. Wie Werther wühlte man in seinen Gefühlen oder suhlte sich darin, man trank die gleichen Getränke und ass die gleichen Speisen; die 100%igen Wertherianer kauften sich Pistolen und erschossen sich – wie der Held des Buches.
Und hier sehen wir das grosse Problem: Einfluss ist nicht per se etwas Gutes.
Es gibt guten Einfluss.
Und es gibt schlechten Einfluss.

Es zeigt die heikle Seite unserer Mediengesellschaft auf, dass wir Influence und Influencer sofort positiv belegen. Eine Modebloggerin mit 64538764 Followern kann ihre Jüngerschaft zu stilvoller und ökologischer Kleidung anregen, sie kann sie aber auch in Richtung «Pelz geht wieder» treiben. Ein Travelblogger kann seine 85645308 Leser mit den interessantesten Orten bekannt machen, reisen allerdings alle 85645308 in das «idyllische Goggia-Tal, das unter Touristen kaum bekannt ist und lauschige Wäldchen und heimliche Quellen bietet», dann ist das Goggia-Tal eben nicht mehr idyllisch, lauschig und heimlich, sondern eine Müllhalde. Und was kann eine Foodinfluencerin nicht alles anrichten – man verzeihe das blöde Wortspiel. Wenn 453038464 Menschen lesen, dass vegan nicht mehr cool ist und der Mensch einfach Fleisch, viel Fleisch braucht, hat das ein ökologisches Desaster zur Folge.

Nein, mich schreckt der Begriff des Influencers und ich will auch gar keiner sein.
Abgesehen davon: Was soll ich denn empfehlen? Und ist nicht der Ratschlag, die Empfehlung, ist nicht der Tipp, die Anregung der Satire und Glosse diametral entgegengesetzt? Man weiss ja nie so genau, ob der Schreiber es ernst meint oder nicht. Anders formuliert: Viele meiner Tipps, Ratschläge, viele meiner Anregungen und Empfehlungen sind ironisch gedacht. Und das widerspricht dem Prinzip des Influencierens.

Langsam komme ich zu der Erkenntnis, dass Mike ein Idiot ist. Ich rufe ihn also an und kündige die Zusammenarbeit. Seine Reaktion allerdings erstaunt mich: Er fängt an zu weinen. Es stellt sich heraus, dass ich sein einziger Kunde bin – beziehungsweise war. Seine Promotion-Firma lief also nicht so gut, wie er mich immer glauben machte.
Vielleicht sollte er sich einen Promoter suchen.

Aber wer promotet Promoter? Zu diesem grundsätzlichen Dilemma ein anderes Mal mehr.