Diese Geschichte ist jetzt wirklich wahr – und es ist erstaunlich, dass ich sie noch nie erzählt habe:
Anfang der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts war es mein Wunsch, an mein Schulmusikstudium ein Studium Künstlerische Ausbildung Dirigieren oder Chorleitung anzuhängen. Das erwies sich aber nicht so einfach, an mehreren deutschen Konservatorien wurde ich abgelehnt. (Was sich als gut erwies, sehr gut, weil ich dann an der Staatlichen Hochschule für Musik in Trossingen in Prof. Manfred Schreier, dem Gründer der «Musik der Jahrhunderte», der «Neuen Vokalsolisten Stuttgart» und des Eclat-Festivals, einen idealen Lehrer fand, aber das ist eine andere Geschichte…)
Da ich dachte, vielleicht klappt es gar nicht mit einer weiteren Ausbildung, und da ich parallel eh schon am Arbeiten war, lag es nahe, sich noch für Musikwissenschaft einzuschreiben. Für Schulmusiker – so hatte ich gehört – einfach, denn ihre 10 Semester wurden als Grundstudium anerkannt, sie könnten also nach der Zwischenprüfung einsteigen.
Ich vereinbarte einen Termin mit dem Leiter einer der Abteilungen der Philosophischen Fakultät (sie teilte sich damals in PF 1, PF 2 und PF 3), den Namen habe ich vergessen. An einem schönen Sommermorgen sass ich dann um 11.00 mit allen meinen Unterlagen an einem ehrwürdigen Schreibtisch und dieser Leiter nahm sich alle Zeit der Welt für mich. Oder hatte er so viel Zeit? Er fragte gefühlt nach Hutnummer, Schuhgrösse, Familienstand, Herkunft und Religion. Dann sagte er mir, er müsse mich zum Chef des MuWi-Seminars weiterleiten, griff zum Telefon und vereinbarte dort einen Termin um 13.30. Danach könnte ich wieder zu ihm kommen. Um 15.00.
Inzwischen war es 12.30, ich ging einen Kaffee trinken, ass ein Sandwich und rauchte ein paar Zigaretten. (Ja, damals war ich noch Raucher.)
Um 13.30 sass ich dem Chef des Musikwissenschaftlichen Seminars gegenüber. Dieser studierte meine Unterlagen und meinte dann, der Fall sei ja völlig klar, und zwar so klar, dass es fast schon ein wenig nerve. Ich habe ja einen Abschluss in Schulmusik, genauer gesagt, ein Erstes Staatsexamen Musik als Gymnasiales Lehrfach, und dieses Examen werde immer, immer, stets und grundsätzlich, alle Zeit und in allen Fällen als Zwischenprüfung anerkannt, immerhin hätten wir SchuMus ja 4 Seminarscheine erworben, und wir hätten eine 42seitige Arbeit geschrieben, die einzige Sache, die er empfehle, sei ein wenig Nachholen im Handschriftenlesen, da hätten wir SchuMus manchmal Lücken. Er schrieb mir also einen kurzen Zettel, der das OK anzeigte und schrieb darauf auch, dass dieses OK ein GRUNDSÄTZLICHES sei. Darauf seufzte er, er seufzte laut und meinte, dass er dieses GRUNDSÄTZLICH dem Leiter von PF 1 (oder war es PF 2 oder PF 3?) schon x-mal mitgeteilt habe, mündlich wie schriftlich.
Mit dem Zettel der MuWi wurde ich um 15.00 wieder beim PFler vorstellig, nun ging alles ganz schnell: Er las den Wisch (wobei der das GRUNDSÄTZLICH natürlich überlas), nickte, nahm seinen Stift und schrieb in feinstem Sütterlin (für die jungen Leserinnen und Leser: das ist eine alte Schreibschrift) meine Zulassung zum Hauptstudium im Fach Musikwissenschaft. Das brauchte nur ca. 20 Minuten, dann gab er dieses Papier seiner Sekretärin zum Abtippen. (Echt wahr, wirklich, ohne Sch…!)
Um 16.30 verliess ich das Gebäude. Ich war nach 5 ½ Stunden am Ziel. Nun brauchte ich ausser einer Zigarette etwas Stärkeres – drei Gläser Whiskey waren das Mindeste.
Diese Story kam mir in den Sinn, als ich einen Bericht las. Einen Bericht über die Schwierigkeiten, Abschlüsse anderer Länder (anderer Kontinente) in unseren Breiten anzuerkennen. Von Wochen ist da die Rede, teils von Monaten, teils von Jahren. Von Jahren!
Da hat zum Beispiel eine Fachkraft im sozialen Bereich eine zweijährige Ausbildung mit einem Praktikum abgeschlossen, eine andere hat das Praktikum in der Mitte, bei uns aber müsste das Praktikum am Anfang stehen. Wäre das nicht völlig belanglos, wenn man bedenkt, wie dringend wir solche Fachkräfte brauchen?
Viele Ausbildungen sind in anderen Ländern Studienfächer. So hat eine Kindergärtnerin aus der Ukraine ihre Fähigkeiten an einer Fachhochschule gelernt, in Deutschland ist das eine Lehre. In bestimmten Regionen Italiens kann man Kosmetiker oder Kosmetikerin studieren, bei uns eine Lehre. Könnte man nicht grundsätzlich sagen, dass Menschen, die ein Studium in XY haben, bei uns anerkannt werden, weil ja ein Studium XY einer Lehre XY MINDESTENS gleichwertig ist?
Ich habe übrigens – das sei jetzt einfach der Vollständigkeit halber erwähnt – das Musikwissenschaftliche Seminar der Universität Freiburg i. Br. danach nie mehr von innen gesehen. Ich brauchte für den MA ja noch ein anderes Fach, das war Germanistik und dort im Grundstudium, das betrieb ich dann, bis es nach zwei Jahren bei Manfred Schreier klappte…
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