Am 7. Juli fand im «Tutti Frutti», in einem (ehemaligen) Laden im Basler Quartier Gundeldingen (von den Einheimischen «Gundeli» genannt) eine denkwürdige Trauerfeier statt: Man gedachte Ingeborg Hermann, der Inhaberin des Geschäftes, die am 17. Juni mit über 85 Jahren verstorben war. Die Abschiedsfeier für Frau Hermann war auch die Abschiedsfeier für den Laden. Den Laden, den so viele Basler schmerzhaft vermissen werden.
Das «Tutti Frutti» war eine Legende, jeden Tag geöffnet, und offen bis tief in den Abend, man bekam dort eigentlich alles, was der Mensch liebt: Brot und Kuchen, Mineralwasser, Alkohol, Zigaretten, Eis, Butter, Konfitüre, Wein, Bier, Wurst oder Käse.
Meine Berliner Leserinnen und Leser werden jetzt aufstöhnen: Das «Tutti Frutti» ist natürlich in ihren Augen einfach ein Spätkauf, ein «Späti», wie die Spreeathener sagen, ca. 1500 gibt es in Kreuzberg, Neukölln, Spandau usw., aber selbst im grossen Berlin werden Spätis mit Inhaberinnen über 80 nicht die Regel sein…
Ich war (leider) nicht sehr oft im Laden von Ingeborg Hermann.
Nach meinen Schwimmbadaufenthalten pflege ich mir meistens ein Eis zu gönnen. Im letzten Sommer hatten sie im Gartenbad St. Jakob eine Tiefkühltruhe von «Ice Dream», einer Marke aus naturbelassenen Zutaten, die extrem lecker (und gesund, so weit Eis gesund sein kann) ist. Leider vergassen die Betreiber im Bad meistens meine Lieblingssorte nachzubestücken, sodass ich bei Frau Hermann vorbeischaute.
Wenn ich den Laden betrat, lächelte sie mir von irgendeiner Ecke zu und wünschte mir einen guten Tag, was ich auch tat. Ich ging zur Truhe, nahm mir mein Eis und stapfte zur Kasse. Sie nahm, wenn sie sah, dass ich etwas gefunden hatte, den gleichen Weg, allerdings schlurfend und langsam, so wie eine leicht bucklige Mitte-80-Frau zur Kasse geht. Ich zahlte (das Glace war noch billiger als im Bad…) und wir wünschten uns einen guten Tag.
Ich bedaure, nicht mehr mit ihr geredet zu haben.
Am 7. Juli fand im «Tutti Frutti», in einem (ehemaligen) Laden im Basler Quartier Gundeldingen (von den Einheimischen «Gundeli» genannt) eine denkwürdige Trauerfeier statt: Man gedachte Ingeborg Hermann.
Leider fand diese Feier nicht wirklich «im Laden» statt, also im originalen Interieur und mit vollen Regalen, sondern in einem «Laden im Umbau» mit Leiter an der Wand und Farbrollen, denn Frau Hermann hatte «Tutti Frutti» schon im Januar aus Gesundheitsgründen geschlossen.
Warum wird ein solch tolles Geschäft nicht weitergeführt?
Die Antwort liegt auf der Hand: Aus finanziellen. Frau Hermann musste von dem Geschäft nicht leben. Wenn Sie ehrlich rechnen, und wenn Sie Miete, Einkauf, evtl. Angestellte, Stromkosten, Versicherungen, etc., etc., etc. mit hineinnehmen, dann kommen Sie auf einen Stundenlohn, der jeder Beschreibung spottet.
Was wird hineinkommen? Was wird hineinkommen in dieses baulich tolle Geschäft, ein richtiger Eckladen mit Türe an der Spitze mit drei Stufen und an jeder Seite zwei grossen Fenstern?
Es gibt für mich mehrere Varianten:
Schlimmste Variante: Ein Geldwäsche-Nagelstudio
Die Vision, dass in dem wunderbaren Raum Metalltisch aufgestellt werden, an denen irgendwelche jungen Asiatinnen sitzen, die angeblich auf Kundschaft warten, diese Vision erregt in mir einen derartig grossen Brechreiz, dass ich sie sofort wieder ausblenden muss.
Schlimme Variante: Ein Design- oder Architektur-Büro
Auch hier stelle ich mir Tische vor, aber natürlich Vitra®-Tische an denen Vitra®-Stühle stehen. Darauf sitzen junge, dynamische Menschen, die an wahnsinnig wichtigen und wahnsinnig spannenden und wahnsinnig flotten Projekten arbeiten. Also, man geht davon aus. Denn wissen kann man es nicht – ihre Laptops und Tablets sind stets so gedreht, dass keiner den Bildschirm sieht. Wahrscheinlich gamen die meisten oder sind auf Social Media.
OK-Variante: Ein «Halbjahr-Geschäft»
Ein «Halbjahr-Geschäft» ist ein Laden, der nur ein halbes Jahr existiert. Er verkauft ein hippes Produkt, meist kulinarisch, das man einmal toll findet, aber nicht ein zweites Mal. Das hiesse zum Beispiel: Im August eröffnet dort im Gundeli ein Zutghadsa-Laden. Zutghadsa ist ein kambodschanischer Erdbeer- oder Himbeertee. Ende August explodieren die Likes auf Instagram und anderen Plattformen. Im September ist der Laden immer gerammelt voll. Ab Herbst lässt es nach, im Dezember ist der Laden pleite. 2026 startet der nächste…
Super-Variante: Ein Laden, mit Dingen, die man braucht.
Lederpflegetücher.
Kuchenformen über 32 cm Durchmesser.
Papier mit Notenlinien.
Ersatzbirnen für Ihre Design-Lampe von 2008.
Die Liste liesse sich unendlich fortsetzen, es gibt tausend Dinge, für die man sich die Hacken abläuft, wenn man nicht online bestellen will, wenn man einfach noch Beratung braucht, oder wenn man mehrerer Sachen anschauen will, und zwar live anschauen will, oder wenn man einfach Menschen treffen möchte, die sich auskennen, die Ahnung haben, usw.
Lederpflegetücher gibt es übrigens in Basel nur bei JUMBO®, also im Baumarkt – in der Auto-Abteilung. Kuchenformen gibt es nur über der Grenze, Notenpapier? keine Ahnung, aber für die Glühbirnen, da gibt es eine Adresse: Lampen-Boner, ein Laden, der wirklich noch Ahnung hat, und der in Basel beliebt ist wie kein anderer.
Der Laden «Tutti Frutti» ist Geschichte. Und seine ehemalige Inhaberin, die unvergessene Ingeborg Hermann auch.
Und man kann nur hoffen, dass für das architektonisch wunderbare Geschäft eine tolle Lösung gefunden wurde.
P.S.: Bevor Sie jetzt wie wild googeln: Boner gibt es wirklich, den Tee gibt es nicht...
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