Freitag, 18. April 2025

Passions-Volksglaube

 
Liebe Leserin, lieber Leser, wir machen ein kleines Quiz:
Welche der Figuren kommen in der Bibel vor?

a) Pilatus b) Kaiphas c) Longinus d) Malchus e) Hannas f) Petrus g) Gestas h) Dismas) i) Simon von Kyrene j) Maria k) Veronica l) Barabas

Jetzt wird es ein wenig schwierig. Denn natürlich habe ich die Frage falsch gestellt, bis auf eine Figur erscheinen nämlich alle in den von gewohnten Texten, allerdings haben in der «offiziellen» Bibel nicht alle Namen.

Gehen wir einmal ins Detail:
Dass die quasi Hauptfiguren Hannas/Kaiphas (Hoher Rat) und Pilatus, sowie Petrus und Maria mit Namen auftauchen, erstaunt niemand.
Erstaunlicher sind die Nebenfiguren, hier sind einige mit Namen erwähnt und einige nicht. Warum, das versteht kein Mensch.
Ist nicht der Offizier, der den Erlöser durchsticht, bedeutender als der Kreuzträger? Die Evangelien geben nur Simon seinen Namen, Longinus bekommt ihn im Volksglauben, und er geht sogar in die Volkskundliche Kunstgeschichte ein: Die mit Speeren, Schwamm und Dornen geschmückten Kruzifixe nennt man «Longinus-Kreuze».
Sind nicht die beiden Verbrecher links und rechts neben Jesus viel wichtiger als der Knecht, der durch einen unbedachten Hieb sein Ohr verliert? Trotzdem sind Cosmas und Dismas in der Bibel namenlos, Malchus wird mit Namen genannt. (Und er beschert den Zuhörern der «Johannespassion» stets einen Schmunzler, da J. S. Bach sich nicht erlauben durfte, den Text zu kürzen, kommt es zur berühmten Stelle
…und der Knecht hiess Malchus… (bam – bam)
Eine Stelle, an der mindestens 10 Leute in der Kirche kichern. (Noch ein Hinweis für Nichtmusiker: «Bam – bam» meint natürlich den Quintsprung in Cello und Orgel, im Continuo, das wird nicht gesungen.)

Die einzige Figur, die in der Bibel überhaupt nicht auftritt, ist die Heilige Veronica mit ihrem Schweisstuch. Dennoch ist sie eine der meistportätierten Leute in der Story, weil es natürlich unglaublich effektvoll aussieht, wie sie mit dem Tuch mit Jesu Bild dasitzt oder dasteht.

Ein ähnliches Quiz könnte man übrigens auch mit der Weihnachtsgeschichte machen, auch hier wäre man verblüfft, welche Gestalten namenlos und anonym auftreten. Die Heiligen Drei Könige, die ja gar keine Könige sind, haben in der Bibel keine Namen, auch wenn jeder schwören würde, dass da «Kaspar, Melchior und Balthasar» steht…

Wie sind nun diese Sachen in die Bibel und an der Bibel vorbeigekommen?
Nun, Anfang des 4. Jahrhunderts ging man relativ streng über die Bücher, ja, ich meine das wirklich im Plural, nicht «das Buch», sondern wirklich die Vielfalt der Texte. Man hatte etwa 80 Texte, von denen es nur ein Drittel in die endgültige Bibel geschafft haben. Die anderen bekamen so hässliche Namen wie
apokryph
dunkel, verborgen
nicht-kanonisch
ausserkanonisch


Aber die Inhalte verschwanden nicht, und das ist das Erstaunliche. Die Volksfrömmigkeit hielt sich nämlich nicht an irgendwelche Vorgaben:
Der Schächer, zu dem Jesus das Wort vom «heute noch im Paradiese sein» sagt, soll keinen Namen haben? Absurd. Er heisst Dismas, wie sonst?
Der Offizier, der Jesus durchstösst und später ihn als Erlöser erkennt, war anonym? Was für ein Quatsch. Er hiess Longinus.
Veronica existierte nicht? Und wer hat ihm dann den Schweiss abgetrocknet?
Die Volksfrömmigkeit ist stur.

Manchmal wünschte man sich auch in anderen Bereichen eine solche Sturheit.
So gab es zum Beispiel sture alte Menschen in Karl-Marx-Stadt, die einfach nicht aufhörten, «Chemnitz» zu sagen, und die nach der Wende sich dann gar nicht umgewöhnen mussten.
Und die Alten, die in den 50ern die Wegwerf-Gesellschaft nicht mitmachen wollten, und verbiestert und stur Glas, Papiertüten, Gummis und andere Sachen aufhoben, obwohl alle Plastikapologeten sie als «Ewig Gestrige» beschimpften, und die in den 90ern auf einmal die fortschrittlichsten ökologischen Leute waren.

Nun noch eine Figur, die auch ihren Namen behalten durfte: Josef von Arimathäa. Jener Mann, der Jesus in sein Grab legte.
Auch wenn man sich gar nicht einig ist, wo dieses Grab ist. Es gibt eine «katholische» (Grabeskirche) und eine «evangelische» Variante (Gartengrab).


 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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