Dienstag, 15. April 2025

"Wollen" und "Werden"

Studenten des Goethe-Instituts kämpfen, sofern sie aus dem englischen Sprachraum kommen, stets mit den Verben «wollen» und «werden». Diese Biester sind nämlich das, was man in der Linguistik und Sprachdidaktik als «falsche Freunde» («false friends») bezeichnet, Wörter, die man aus der eigenen Sprache zu kennen glaubt, in der anderen etwas anderes heissen.
So heisst «I will» eben «Ich werde» und «I want» heisst «Ich will».

Es gibt also einen klaren Unterschied zwischen «wollen» und «werden». Dabei ist «werden» für den Poeten, Künstler und Philosophen die langweiligere Schwester. Das sind ja meistens einfach Tatsachen:
Morgen werden die Uhren umgestellt.
Ab Juni werden die Tage wieder kürzer.
Am Sonntag wird es regnen.
usw.

Das Wollen ist da spannender, hier geht es ja um Wille und Vorhaben, ja auch Wunsch und Vorstellung, was ich will, das muss ja nicht eintreffen, das kann auch Illusion und Utopie sein:

Mit 16, mit 16 sagte ich still
Ich will
Ich will groß sein, ich will siegen
Ich will froh sein, nie lügen
Mit 16, mit 16 sagte ich still
Ich will
Ich will alles oder nichts
Für mich soll's rote Rosen regnen
Mir sollten sämtliche Wunder begegnen
Die Welt sollte sich neu gestalten
Und ihre Sorgen für sich behalten

(so sang Hildegard Knef in ihrem legendären Chanson)

Ich will spätestens 2021 den Büchner-, spätestens 2031 den Nobelpreis erhalten haben. Leider ist die Resonanz auf meinen philosophischen Romanzyklus („Boccia um Mitternacht“, „Rousseaus Kuh“, „Nachdenken über Rolf P.“, „Gipsfabrik“) eher gering. Dies liegt wahrscheinlich weniger an der Komplexität der Themen und der an Hölderlin und George geschulten Sprache als an der Tatsache, dass ich noch keinen Verleger gefunden habe. Dies wiederum könnte zur Ursache haben, dass ich noch keine Zeile geschrieben habe…

(so formulierte ich in meinem ersten Post «Warum ein Blog?» im September 2011)

Lars Klingbeil hat nun bei der Vorstellung des Koalitionsvertrages auch eine klare Ansage gemacht: Man habe deutlich geschrieben «wir werden» und «wir wollen».
Was heisst dies nun aber im Genauen?

Es gibt in dem 146 Seiten starken Papier gibt es Aussagen, die mit «wir werden» beginnen. Das betrifft nun vor allem Themen, für die Geld da ist. Nein, stopp, halt, Geld ist ja für nix da. Alles, das Gewollte und Werdende muss ja durch einen Riesenberg Schulden finanziert werden. Also ich meine Themen, für die das Geld ausgeliehen wird. Und das sind so wichtige Dinge wie Infrastruktur und Wirtschaft und Infrastruktur:
Wir werden die Industrie fördern und entlasten.
Wir werden Brücken und Strassen und Schienen bauen.
Wir werden aufrüsten.

Schwieriger wird es nun mit den tausend Dingen, für die kein Geld da ist. Nochmal stopp, Geld ist ja für nichts da, aber mit den Dingen, die nicht vom Milliardenpaket gedeckt werden. Hier steht nun das «Wollen», als frommer Wunsch, als Beteuerung, als Utopie, als Vision:
Wir wollen Kultur fördern.
Wir wollen die Umwelt schützen.
Wir wollen die Bürger entlasten.
Wir wollen…
Wir wollen…

Alles, was hier im Einhundertsechsundvierzig-Seiten-Papier mit diesem Wort verbunden wird, hat für die Bürgerinnen und Bürger die gleiche Wahrscheinlichkeit wie ein Regen von roten Rosen aus dem Himmel – oder der Nobelpreis für einen kleinen Glossisten.
Wäre es da nicht ehrlicher gewesen, zwischen «wir werden vielleicht» und «wir werden sicher» zu differenzieren?
Klar.
Aber Ehrlichkeit bringt uns ja nicht weiter.
Und «ich werde vielleicht» tönt halt so viel doofer als «ich will».

Studenten des Goethe-Instituts kämpfen, sofern sie aus dem englischen Sprachraum kommen, stets mit den Verben «wollen» und «werden». Herr Klingbeil hat gezeigt, dass er genau damit umgehen kann.





 

 

 

 


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