Freitag, 20. Juni 2025

Brauchen wir "Flavour"?


Ich hatte neulich einen schlimmen Albtraum.

In dem Traum stand ich in einer Buchhandlung und blätterte in Büchern, die ich alle kenne und liebe. Das Schreckliche und Besondere war, dass alle Bücher rochen – sie strömten intensive und starke und heftige Düfte aus.
«Gruppenbild mit Dame» roch nach Heidekraut.
«Doktor Faustus» stank nach Schwefel.
«Onkel Toms Hütte» strömte den Duft von frischer Baumwolle aus.
«Das Parfüm» waberte von Moschus und Amber.
Und «Moby Dick» roch derartig nach Tang, Salz und Fisch, dass es einen fast umhaute.

Interessant ist ja schon, dass ich, obwohl ich wild und durcheinander träume, die Inhalte der Bücher ganz korrekt mit Gerüchen versah:
Im Böll-Roman spielt ja das Heidekraut eine grosse Rolle, die Heldin hat hier ein quasi-erotisches Erlebnis gehabt und ihr «erstes Mal» sollte eigentlich im Heidekraut stattfinden. Der Bezug des «Doktor Faustus» zu Teufel und Schwefel ist klar, ebenso die Baumwolle im Südstaaten-Buch vom Tom. Und auch der Parfüm-, sowie der Meergeruch erklären sich selbst.
Dennoch wäre die Vorstellung, dass Bücher riechen, dass sie intensive und starke und heftige Düfte ausströmen, eine Horrorvorstellung.

Warum muss aber gerade nun alles und jedes ein «Flavour» haben?

Ich gehe in einen Kaffee-Trink-Shop und der Barista fragt mich praktisch als erstes, was für einen Geschmack ich möchte:
«Und was hättest du gerne für ein Flavour?»
(Randbemerkung: Es gehört natürlich zu den ebenso unerträglichen Dingen, dass ich von Baristas, die inzwischen nicht meine Kinder, sondern sogar meine Enkel sein könnten, permanent geduzt werde, aber das habe ich ja schon öfter bemeckert…)
«Sie meinen, was für einen Geschmack, also ich hätte gerne einen Espresso mit Espressogeschmack, also Kaffee mit Kaffeegeschmack.»
«Schon klar, aber zusätzlich?»
«Zusätzlich?»
«Wir haben Erdbeere, Kokos, Mango, Lakritz, Zitrone und Pfefferminz.»
«Ich möchte keinen Espresso, der nach Erdbeere schmeckt, ich möchte keinen Espresso, der nach Kokos schmeckt, ich möchte keinen Espresso, der nach Mango schmeckt, ich möchte keinen Espresso, der nach Lakritz schmeckt, ich möchte keinen Espresso, der nach Zitrone schmeckt, ich möchte keinen Espresso, der nach Pfefferminz schmeckt, ich möchte einen Espresso, der nach Espresso schmeckt.»
«Ganz ohne Flavour geht technisch nicht.»

Und überall entdecke ich Produkte, die mit anderen, seltsamen Aromen verfälscht werden:
Schokokekse schmecken auf einmal nach Lilien.
Bier schmeckt auf einmal nach Pfeffer.
Lasagne schmeckt auf einmal nach Ananas.
Schwarztee schmeckt auf einmal nach Kiwi.

Wobei: Das mit den Tees, das gibt es ja schon.
Für mich gehören parfümierte Tees, also Vanille-Tee, Erdbeer-Tee, Orangen-Tee usw. in die 80er Jahre, Aromatees trank man in Zimmern mit Batiktüchern an der Wand und Papyrus und hörte Leonard Cohen (das auf jeden Fall kein Fehler!). Und wenn parfümierte Tees, also Vanille-Tee, Erdbeer-Tee, Orangen-Tee usw. zu einer friedlicheren Welt führen würden, dann, warum nicht…

Es gibt übrigens noch eine nette Story aus vergangenen Zeiten zum Thema «Flavour»: Meine Mutter bereitete sich immer am Nachmittag im Labor der SEL einen Schwarztee zu; ihre Kollegen machten sich einen Spass daraus, ihr Pfefferminz in diesen Tee zu mogeln, denn Pfefferminz war ihr verhasst, sie trank Pfefferminztee nur, wenn sie ganz, ganz krank war, was praktisch nie vorkam.
Das erste Mal tauschten die anderen Mitarbeiter einfach die Beutel aus. Bei den nächsten Malen ging das natürlich nicht so einfach, und sie tüftelten immer gewagtere Methoden aus; so klebten sie einmal einen Pfefferminzteebeutel mit etwas Sirup in den Kannendeckel, die Hitze liess den Sirup schmelzen und der Beutel flog in das Teewasser und machte den Schwarztee zu einem Schwarz/Minz-Gemisch.
Vielleicht habe ich ja meine Abneigung gegen Dinge, die nicht so schmecken, wie sie sollen, von meiner Mutter.

Ich hatte neulich einen schlimmen Albtraum.
Ich war in einer Buchhandlung und blätterte in den Exemplaren und das Schreckliche war, dass sie alle rochen, nach Heidekraut, nach Schwefel, nach frischer Baumwolle, nach Moschus und Amber, nach Tang, Salz und Fisch.

Und ich hoffe, dass das ein böser Albtraum bleibt.











 

 

 

 

 

 

 

 

 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen