Freitag, 10. Mai 2024

Südamerika (6): An der Grenze

Ich habe den ersten der Südamerika-Posts mit der frechen Bemerkung begonnen, zu einer «richtigen» Reise gehörten Pass, Impfung, Geld wechseln und Flug.
Und jetzt muss ich noch eines dazufügen: Zu einer «richtigen» Reise gehörten Pass, Impfung, Geld wechseln, Flug und ein komplizierter, langer, langwieriger und langweiliger Grenzübertritt. Und einen solchen komplizierten, langen, langwierigen und langweiligen Grenzübertritt hatten wir in Chuí, an der Grenze zwischen Brasilien und Uruguay.

«in Chuí», das ist jetzt eigentlich falsch, denn die Grenze verläuft durch den Ort, es gibt also ein brasilianisches und ein uruguayisches Chuí, man kann einfach so vom einen Staat in den anderen laufen, in Brasilien einen Kaffee holen und in Uruguay den Kuchen dazu, oder auch umgekehrt, in Uruguay den Espresso und in Brasilien einen Brownie. Da man aber mit dem Reisecar kommt, kommt man auf der Autostrasse, und bei der Autostrasse ist nun die Zollstation und an dieser Zollstation kommt es zu dem komplizierten, langen, langwierigen und langweiligen Grenzübertritt.

Morgens um 6.00 erreichten wir die Betongebäude und erste, was wir sahen, waren Hunde. Wilde Hunde. Ca. dreissig zottige und ungepflegte Viecher trotteten über das Gelände und erinnerten mich daran, dass ich natürlich meine Gelbfieber-Impfung absolviert, ohne diese hätten mich die Uruguayer gar nicht ins Land gelassen, aber eine Tollwut-Vakzination für nicht notwendig erachtet hatte. Die Köter entpuppten sich aber als völlig harmlos, ich liess sie in Ruhe und sie liessen mich in Ruhe, ich wäre sicher nicht auf die Idee gekommen sie anzufassen oder zu streicheln.

Was taten diese Gestalten an der Grenze? Wir konnten uns ihre Anwesenheit nur so erklären: Immer wieder – so dachten wir – wird Leuten die Einfuhr von Lebensmitteln untersagt. Was tun dann die Menschen mit Fleisch, Wurst, Kartoffeln oder Brot? Richtig. Sie schmeissen Fleisch, Wurst, Kartoffeln oder Brot weg. In Container an der Grenze. Und das hat sich unter den wilden Hunden herumgesprochen. Wo Grenze, da Fressen. Also sind sie an der Grenze.

An dieser Grenze in (beziehungsweise vor) Chuí, umgeben von wilden Hunden, die enttäuscht waren, dass wir eben kein Fleisch, keine Wurst, keine Kartoffeln und kein Brot dabeihatten, erfuhren wir, dass jeder von uns ein elektronisches Einreiseformular ausfüllen musste. Diese Formulare mussten dann als PDF der Behörde übermittelt werden, und erst wenn das geschehen sei, dann dürften unsere Chauffeure mit den eigentlichen Pässen in eines der Gebäude. Also sassen wir alle auf dem Boden in der Morgensonne und tippten in unsere Smartphones, umgeben von wilden Hunden, die – wie gesagt – enttäuscht waren, weil Fleisch, Wurst, Kartoffeln oder Brot nicht gereicht wurde.

Dann hiess es warten, warten, warten, warten. Wir vertrieben uns die Wartezeit mit Spielen im Kreis, «Faul Ei», «Karate-Kid» und «Ha-He-Hu», aber auch «Faul Ei», «Karate-Kid» und «Ha-He-Hu» konnten nicht ganz darüber hinwegtäuschen, dass es doch vier Stunden wurden.
Auf der anderen Seite, also südlich von Chuí, waren es dann noch einmal eineinhalb.

Ich glaube, ein Starbucks oder eine Espressobar, irgendein Kaffee-Dingsbums, irgendein Koffeinladen hätte ein Vermögen mit uns gemacht. Egal, ob nördlich von Chuí in Brasilien oder südlich davon in Uruguay, für Espresso und Kaffee hätten wir viel Real hingeblättert, wir brauchten sie ja jetzt eh nicht mehr. Und wenn der Starbucks, die Espressobar, das Kaffee-Dingsbums, der Koffeinladen auch noch Schokolade und Chips für die Kleinen gehabt hätte, dann hätten die Besitzer noch das Dreifache verdient.
Aber da war nichts. Gar nichts.

Es stellte sich nun die Frage, warum das alles so schwierig war.
An der Grenze sitzend, den Jungs zuschauend, wie sie «Faul Ei», «Karate-Kid» und «Ha-He-Hu» spielten, den Hunden zusehend, und es schade findend, dass ich keine Esswaren dabeihatte und nach einem Kaffee lechzend, stellte ich mir die Fragen:
Sind die beiden Länder im Krieg, wenn alles so kompliziert ist?
Oder hassen sie sich wenigstens ganz, ganz, ganz fest?
Warum gibt es keinen So-ähnlich-wie-Schengen-Dublin-Raum?
Kamen andere Grenzüberschreiter besser voran?
Und, wenn ja, was war an uns so verdächtig?

Die Antworten sind übrigens verblüffend:
Die beiden Länder sind nicht verfeindet, sie haben sich gern, sie arbeiten zusammen, sie sind sogar Mitglieder des gleichen Wirtschaftsraumes, dieser Raum, der Mercosur, zu dem Brasilien, Argentinien, Bolivien, Uru- und Paraguay gehören, ist allerdings weit von einem zollschrankenfreien Gebiet wie Europa entfernt.
Ja, andere Autos kamen schneller durch, es war das Alter unserer Leute, was scheints genaue Kontrolle nötig machte, wir hätten ja Kinderhändler sein können, die gekidnappte Jungs im anderen Land als Schornsteinfeger verkaufen – haben wir Schweizer ja Übung drin.

Ich habe den ersten der Südamerika-Posts mit der frechen Bemerkung begonnen, zu einer «richtigen» Reise gehörten Pass, Impfung, Geld wechseln und Flug.
Jetzt haben wir gelernt: Zu einer «richtigen» Reise gehörten Pass, Impfung, Geld wechseln, Flug und ein komplizierter, langer, langwieriger und langweiliger Grenzübertritt.
Und einen solchen hatten wir zwischen Brasilien und Uruguay.



 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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