Freitag, 3. Mai 2024

Südamerika (4): Brasilien ist katholisch

Ich habe Ihnen noch etwas verschwiegen beim Handy-Post.

Ich habe Ihnen verschwiegen, dass ich dem Heiligen Antonius etwas versprochen habe. Der gute Mann ist – wie ich herausgefunden habe – nicht nur für verlorene Gegenstände zuständig, sondern auch für verlorene Dateien, nicht mehr aufzufindende Apps, verlorenes W-Lan und nicht mehr tuendes Charching. Ob dieser Tatsache schüttelten die meisten meiner Reisebegleiter den Kopf. (Wobei die Antoniuskassen eine gute Sache sind, sie leisten soziale Hilfe auf ganz niederschwelligem Niveau.) Wer mich verstand, waren die Brasilianer.

Denn: Brasilien ist das katholischste Land der Welt. Nirgends auf diesem Globus gibt es so viele Menschen römisch-katholischer Konfession wie zwischen Amazonas und Rio Grande do Sul, zwischen Rio Juruá und Atlantik. Ca. 123 Millionen Gläubige zählt dieses Land, allerdings ist – wie in vielen Staaten – die Zahl in den letzten Jahren rückläufig. Merkwürdigerweise verliert Rom in Brasilien seine Frauen und Männer nicht ans Freidenkertum oder die Protestanten, auch nicht an den Islam, nein, an die Freikirchen (vor allem Pfingstliche).

Wir bekamen das an zwei Orten mit (also die vielen Katholiken, nicht die Abwanderung): Am Palmsonntag durften wir am frühen Abend in Botucatu in der Messe singen und am Karfreitag hatten wir ein Konzert in Xaxim.

Das Gotteshaus in Botucatu war nicht die Kathedrale, auch nicht die zweit- oder drittgrösste Kirche der Diözese, nein, eine einfache Pfarrkirche. Dennoch war der Gottesdienst gut besucht – das ist jetzt untertrieben, alle Bänke waren brechend voll; was noch faszinierender war, war die Konzelebration. Der Begriff sei hier für alle Nichtkatholiken erklärt: Mehrere Priester feiern gemeinsam einen Gottesdienst. Angesichts des mitteleuropäischen Priestermangels ist so etwas bei uns natürlich nur noch in grossen Domen an Ostern anzutreffen, wie soll man auch erklären, dass 8 Geweihte um einen Altar stehen, während irgendwelche Dörfler 50 Kilometer fahren müssen, um überhaupt zu einer Eucharistie zu kommen, oder um 6.00 aufstehen, weil der eine Pater Dorf A, Dorf B, Dorf C, Dorf D und Dorf E an einem Wochenende bedienen muss? Hier in der Provinz Sao Paulo kein Problem: Acht geweihte Männer stehen hier um einen Altar und brechen das Brot. Man hat es ja. Übrigens schien auch der Weihrauch achtfach zu sein, in dicken Schwaden wehte er durch das Gemäuer und machte für eine Weile Leib und Blut Christi unsichtbar.

In Brasilien ist die Welt eben noch in Ordnung. Umso entsetzter war man ob meines Wunsches, den Leib Christi zu empfangen, da ich Lutheraner bin, ein geradezu perverser und blasphemischer Wunsch. Meine Erklärungen, dass ich bei der Pfadfinderschaft St. Georg und später in all meinen Kirchenmusikstellen immer, stets, immerdar und mein Leben lang kommuniziert habe, wurde mit grösstem Erstaunen aufgenommen. Noch grösser war das Erstaunen, als man erfuhr, dass alle die Priester von meiner falschen Konfession GEWUSST HATTEN! Sie alle hätten schwer gesündigt und müssten nun einige Zeit ins Fegefeuer, um dies abzubüssen.

Nein, nur Katholiken dürften und ich hatte nun nicht nur selber sitzenzubleiben, nein, ich musste auch aufpassen, dass nur unsere fünf Katholiken zur Hostie schritten. Wie ein Polizist passte ich auf und hakte in meinem Kopf jeden ab, der sich Richtung Austeilung erhob: Benjamin. Frank. Ruben. Marco. Tim. Finn. (Finn? Finn? – Ich stellte ihn nach dem Gottesdienst sofort zur Rede, aber der Gute entpuppte sich als unser sechster Katholik, alles in Ordnung.)

Was ich sehr schön fand, war, dass in der proppenvollen Kirche auch noch Platz für zwei schräge Vögel war, die man bei uns sicher des Raumes verwiesen hätte. Aber bei 300 Gläubigen stören natürlich zwei Unikümmer weniger als bei 30. Die Frau mit dem wüsten Blick lief die ganze Zeit herum, brabbelte, beschimpfte immer wieder andere Leute und unterbrach auch einmal laut den Pfarrer. Und der Mann in der ersten Reihe verliess immer wieder den Platz und kam nach fünf Minuten wieder – er ging rauchen, was man an seiner unglaublich stinkenden Nikotinwolke merken konnte.

In Xaxim mussten wir uns beim Konzert am Karfreitag um das im Chorraum liegende Kruzifix gruppieren. Dieses Kreuz war nun nicht so ein minikleines wie bei uns, sondern richtig gross und richtig schwer, 4 Meter lang und 3 Meter breit und 2 Zentner schwer. Nun muss man wissen, dass am Karfreitag das Kreuz in die Kirche getragen und enthüllt wird. Bei uns schaffen das der Priester und zwei Ministranten, aber bei solch einem Teil? Wahrscheinlich – wir waren nicht dabei – haben mindestens sechs Messdiener das Kreuz geschleppt (plus Priester und Diakon), aber an Messdienern, an Ministranten hat Brasilien nun eben auch keinen Mangel.

Am Abend in Xaxim passierte nun das Unerwartete: Wir waren noch privat eingeladen, es gab Caipirinhas (für mich einen alkoholfreien), man legte eine CD mit Samba (!) auf und einige fingen an zu tanzen (!), auch jener Mann, der mir die scharfe Kontrolle meiner Jungs ans Herz legte. Sie alle werden jetzt wahrscheinlich in die Hölle kommen.
Oder auch nicht.

Ich hatte Ihnen noch verschwiegen, dass ich dem Heiligen Antonius etwas für das Charching meines Handys versprochen hatte. Der gute Mann ist – wie ich herausgefunden habe – auch für technische Dinge zuständig. Ob dieser Tatsache schüttelten meine Reisebegleiter meistens den Kopf. (Wobei die Antoniuskassen eine gute Sache sind, sie leisten soziale Hilfe auf ganz niederschwelligem Niveau.) Wer mich verstand, waren die Brasilianer.



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