Als ich meinen Arbeitskollegen erzählte, dass wir am Wochenende des Ersten Advents vorhätten,
a) unseren „Adventskranz“ auf dem Tisch im Flur zu installieren,
b) auf den Weihnachtsmarkt in Arlesheim zu gehen, bei meiner Schwägerin Köstlichkeiten einzukaufen und diese dann in der Glasschale in der Küche zu drapieren und
c) unsere Herrnhuter Sterne aufzuhängen,
kamen diverse Reaktionen, alle sind erstaunt bis entrüstet, alle eher negativ und alle laut:
Michel: „Wie kannst du jetzt Advent machen, wenn Krieg in der Ukraine ist!“
Katrin: „Deine Zeit möchte ich haben!“
Urs: „Ich könnte das nicht – ich bin überhaupt nicht in Weihnachtsstimmung!“
Elke: „Das Geld hätte ich lieber an BROT FÜR ALLE gespendet.“
Ich war eine Weile beschäftigt, auf alle diese Vorwürfe und Vorhaltungen zu antworten, ja, ich war eine Weile dran, einiges zu entkräften.
Elke war am leichtesten zu widerlegen: Die Herrnhuter Sterne sind 10 Jahre alt, haben sich also – darf man das überhaupt so sagen? – amortisiert; der „Adventskranz“ kostete nicht gerade ein Vermögen, es ist eher ein Hinstellen von vier weissen Kerzen mit Tanne und Silbertalern auf unserem weissen Tisch, wir kommen hier auf eine Summe von Sfr. 38,30 (4 Kerzen à 4,50 DENNER, 4 Plastikschalen à 2,20 MANOR, 2 x Tanne à 3,90 MIGROS und Silbertaler, 3,70 MIGROS), also keine Summe, die wirklich ins Gewicht fällt; bei meiner Schwägerin liessen wir über 100 Stutz, sie spendet allerdings ihren Gewinn an soziale Projekte…
Auch Michel war leicht abgefertigt: Glaubte der Idiot wirklich, der Ukraine-Krieg sei ein Grund, das ganze Leben umzustellen? Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs gab es keinen Tag Frieden auf der Welt, überall war immer Krieg, überall war immer Gewalt, immer wurde geschossen, immer fielen Bomben, so gesehen hätte man also NIE Weihnachten feiern dürfen und NIE den Advent begehen. Oder aber eben genau umgekehrt: Weil die Welt so scheisse (sic venia verbo) ist, zünden wir Lichter an und stellen Tannenzweige auf…
Schwieriger war, was ich Katrin antworten sollte.
Zeit haben…
Habe ich Zeit für a) einen Adventskranz, für b) den Stand meiner Schwägerin und c) die Herrnhuter Sterne? Wie berechne ich überhaupt den Zeitaufwand?
Zu a): Die Einzelteile während regulärer Einkaufe gekauft habend, kostete mich das Drapieren 20 Minuten.
Zu b): Der Besuch auf dem Arlesheimer Domplatz kostete uns (mit Tramfahrt) zwei Stunden, 120 Minuten, von denen man aber einige auch unter Schwägerin = Familienpflege (wichtig!) und Spaziergang = Gesundheit (auch wichtig!) abbuchen muss.
Der Punkt c) brauchte (ohne Freudentanz und Fotos) 25 Minuten.
Aber das ist natürlich alles Quatsch. Denn: Was hätte ich denn mit den insgesamt nicht einmal drei Stunden gemacht, wenn ich nichts Weihnachtliches unternommen hätte?
Na?
Vielleicht ferngeguckt. Vielleicht einen Mittagsschlaf gemacht. Vielleicht auf You Tube herumgedödelt. Oder auf Instagram. Ich hätte sicher nicht irgendetwas getan, dass die Welt ihrer Rettung nähergebracht hätte.
Nein, es ist doch vielmehr so: Zeit hat man nicht, Zeit nimmt man sich.
Die harte Nuss war Urs.
Ich musste eine Weile nachdenken, um herauszufinden, dass Urs an einem Catch22-Problem leidet.
Ich habe über dieses Phänomen immer wieder geschrieben, das erste Mal am 26. Januar 2012:
Es gibt einen Namen für diese Sache: Catch 22-Problem. Es heisst so nach Joseph Hellers gleichnamigem Roman, und ist ein Problem, das gelöst sein sollte, um es zu lösen.
Man kann die Störungsstelle nicht anrufen, weil das Telefon kaputt ist. Man bräuchte zum Auspacken der eingeschweissten Schere eine Schere. Es gibt aber auch noch raffiniertere, unsere ganze Gesellschaft ist Catch 22-verseucht. Der Deutschlehrer sagt seinen Kleinen, dass das Kennzeichen der Nomen die Grossschreibung ist, und dann sollen sie Nomen grossschreiben! Sie wissen es erst, wenn es auf dem Papier steht, wo es nicht steht, weil sie nicht wissen, wie man es schreiben soll. Der Arzt schlägt eine Fenchel-Gymnastik-Stein-Therapie vor, einziges Problem: Um diese Therapie zu überstehen, muss man kerngesund sein.
Wenn man in Weihnachtsstimmung sein muss, um Weihnachtsstimmung zu machen, ist es also blöd. Denn bei mir ist die Stimmung nicht vorher da, sie kommt durch
a) einen „Adventskranz“ auf dem Tisch im Flur installieren,
b) auf einen Weihnachtsmarkt gehen, dort Köstlichkeiten einzukaufen und diese dann in einer Glasschale zum Beispiel in der Küche drapieren
c) Herrnhuter Sterne aufhängen
d) Weihnachtskarten schreiben
e) Macht hoch die Tür auf dem Klavier üben (wofür ich sogar bezahlt werde…)
f) vieles andere mehr
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen, liebe Leserin, liebe Leser eine
FROHE, ERFREULICHE, FREUDENREICHE UND FRÖHLICHE ADVENTSZEIT
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen