Dienstag, 6. Dezember 2022

Moderner Santiglaus

Wie feiert man einen zeitgemässen und modernen 6. Dezember? Die Frage stellt sich doch jedes Jahr, und jedes Jahr muss man den Spagat wagen: Möglichst viel Tradition und möglichst viel Innovation. Mir kommt hier ein alter Basler Vers in den Sinn:

Dr Santiglaus kunnt hitte
dur d’Lange-n-Erle gritte.
Är bindet s’Eseli an e Stamm
und kunnt jetzt z’Fuess vom Wiisedamm.

Schon in den 60er Jahren wurde der Vers modernisiert und den erneuerten Verhältnissen angepasst:

Dr Santiglaus kunnt hitte
dur d’Lange-n-Erle gritte.
Är bindet s’Eseli an e Stamm
und nimmt in Rieche `s Säggsertram

Hier ist aus dem eigenartigen und eigenbrötlerischen Nikolaus, der stur mit seinem Esel durch die Waldlandschaft reitet, oder gar zu Fuss geht, ein moderner Mensch, der in der Strassenbahn sitzt, geworden. Stellen sich nur noch folgende Fragen:
Muss der Santiglaus eine Fahrkarte lösen? Er, der ständig bei den Kindern schlechtes Verhalten ahndet, sollte ja hier mit absolut gutem Beispiel vorangehen.
Und an welche Adresse würde man – wenn wirklich ein Kontrolleur kommt – eine Busse schicken? Und was macht der Santiglaus im Tram? Lesen? Aus dem Fenster schauen?
Oder fängt er schon an, Geschenke zu verteilen? Fragen über Fragen.

Aber vielleicht kommt der gute Mann auch individualverkehrsmässig:

Dr Santiglaus kunnt hitte
dur d’Lange-n-Erle gritte.
Är bindet s’Eseli an e Donn`
und nimmt e Harley-Davidson.

Kommt Ihnen jetzt wahrscheinlich total blödsinnig vor. Aber am 3. 12. waren in Basel wirklich Santigläuse auf diesen schrecklichen Motorrädern unterwegs. Ein himmlischer Bote auf einem Instrument, das sonst den Hells Angels vorbehalten ist, das ist schon ziemlich pervers. Aber ganz viele Kinder säumten die Strassen und winkten den Nikoläusen zu, die auf ihren Maschinen daherbretterten. Man kann nur hoffen, dass die Harley-Davidson-Santigläuse keine Drogen verteilten…

Aber ist das Ganze «der Santiglaus KUNNT hitte» überhaupt noch up to date? Wir leben doch im Zeitalter des Internets? Wäre es nicht besser, den ganzen Vers auf diese Weise umzuformulieren:

Dr Santiglaus kunnt hitte
nit dur d’Lange-n-Erle gritte.
Är blyybt dehaim, `s isch em nit drum
Är kunnt hitt` online via zoom.

Die Vorteile eines Online-Nikolaus muss man wohl niemand erklären.
Denn bei allen Versionen, Fuss, Tram oder Motorrad, gibt es ja einen fiesen Gleichklang: Was passiert eigentlich mit dem armen Esel? Der steht da stundenlang in der Kälte, hungert und friert und verzweifelt. Was mag das arme Grautier fühlen und denken, während Herrchen mit Fuss, Tram oder Motorrad unterwegs ist? Vor 100 Jahren mag das noch gegangen sein, aber heute ist der Tierschutz weiter und diverse Organisationen würden da einschreiten.
Aber auch CO2-technisch ist natürlich ein Online-Auftritt besser. Und: Der Santiglaus kommt Punkt 18.00 zu allen Basler Kindern, per Zufallsgenerator werden dann fünf bis zehn Buben und Mädchen auf laut geschaltet und dürfen ihre Verslein oder Liedlein vortragen. Und der Santiglaus muss auch gar nichts mehr sagen, die Beiträge werden von allen mit Daumen hoch oder runter (im Bild oder per Emoji) bewertet.
Und Geschenke?
Gut, Äpfel, Nuss und Mandelkern gehen natürlich nicht online, dafür aber alles Elektronische: diverse Games, Netflix-Abos und Bitcoins, Bitcoins, Bitcoins…

Finden Sie gut, nicht?
Nein?
Ich auch nicht, ehrlich gesagt, eine Horrorvorstellung. Also bleiben wir doch bei unserem ganz alten, immer noch schönen Vers:

Dr Santiglaus kunnt hitte
dur d’Lange-n-Erle gritte.
Är bindet s’Eseli an e Stamm
und kunnt jetzt z’Fuess vom Wiisedamm. 

In diesem Sinne wünsche ich allen Kindern und allen Kindgebliebenen einen frohen Nikolaustag!
   

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

    

 

 

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