Freitag, 5. November 2021

Die Namen der Hochs und Tiefs

In grauer Vorzeit glaubten die Menschen an Götter. Sie hatten eine Menge, denn die einzelnen waren jeweils für verschiedene Sachen zuständig: Die Weisheit, den Krieg, die Liebe und den Ackerbau. Oder oft noch viel differenzierter, allein beim Wetter gab es zig: Die Göttin der Winde, den Gott der Blitze, da gab es die Göttin der Morgenröte und einen Gott für Hochwasser und Nicht-Hochwasser. Das alles war sehr praktisch, weil man wusste, wenn die Hütte überschwemmt wurde, war Zkolotl schuld, und Zkolotl musste man anklagen, aber fürs nächste Mal Zkolotl mehr opfern…

Dann kamen die monotheistischen Religionen und die Sache wurde einfacher und schwieriger zugleich: Ein Gott war für sanften Wind und harten Regen, für Sonne, Nebel, für Hitze und Frost, war für lauten Donner und silbernen Blitz zuständig. Wenn nun der eine Bauer noch Sonne für seine Tomaten und der andere Regen für seine Erbsen braucht, was tut man dann?
Aber die christlichen Missionare hatten hier Abhilfe: Es gab zwar nur einen Gott, aber Heilige mit verschiedenen Zuständigkeitsbereichen. Nun wusste man wieder, wen man anrufen musste. Im Falle Hochwasser oder eben Nicht-Hochwasser St. Nepomuk. Der steht auf den Brücken (oft als sehr schöne Statue) und passt auf das Wasser auf.
In einem wunderschönen schwäbischen Gedicht von Sebastian Blau wird zu ihm gebetet, dabei bitten die Rottenburger Katholiken, dass, wenn sich das Hochwasser nun gar nicht vermeiden lasse, dann solle man mit der Überschwemmung bei den „Gogen“, den Tübingern anfangen:

Ond loht se halt
mit aller Gwalt
s Hochwasser et verklemme',
noh hao' en Ei'seah', guater Ma'
ond fang mit überschwemme'
e bißle weiter donne' a':
dia Goge' nemmets et so gnau,
en deane ihren saure' Wei'
därf wohl e' bißle Wasser nei'
- ond evangelisch send se ao...

Dann kam – endlich! – die wissenschaftliche Meteorologie mit all ihren schönen Namen, da kamen Cirren und Wirren und Irren, da kamen Nimbi und Bimbi und Limbi, da kamen so schöne Kombinationen wie Nimbocirrostratucumulus und Cirrostratocumulonimbus und Nimbostratocumulocirrus, da entdeckte man die Hochs, die sich immer auf den Azoren verstecken, und die Tiefs, die auf Island hausen. Da wurde Luftdruck, Feuchtigkeit und Temperatur gemessen, und es wurden Wetterkarten erstellt.
Alles hatte nun eine physikalische Basis.

Dachte man.

Denn man hatte nicht mit der Sturheit und Rückwärtsgewandtheit der Leute gerechnet. Sie wollten keine anonymen Ereignisse, sie wollten keine unbenannten Cirren, Wirren und Irren, keine anonymen Nimbi und Bimbi, keine namenlosen Nimbocirrostratucumuli, keine unbezeichneten und Cirrostratocumulonimbus und Nimbostratocumulocirrus, Hochs und Tiefs.

Und so tragen seit 1954 Hochdruck- und Tiefdruckgebiete Namen. Was der grösste Schwachsinn ist, denn der moderne Mensch hatte sich ja gerade von Göttern und Heiligen gelöst, nun hatte man es wieder mit Personen zu tun, das Ganze wurde wieder höchst unwissenschaftlich.

So sagte der Bronzezeitmensch: «Fast wäre meine Hütte weggerissen worden, aber weil ich Zkolotl eine Geiss und einen Hasen geopfert habe, zog der Sturm und der Wind an meiner Hütte vorbei. Zkolotl sei Dank!»;
und der Mensch des Mittelalter sprach: «Als der Regen fiel, beteten wir zu St. Nepomuk und er lenkte das Hochwasser an unserem Hause vorbei» und eventuell fügt er noch verschmitzt wie die Rottenburger hinzu: «Es hat den evangelischen Nachbarn getroffen.»
Und der Mensch der Neuzeit spricht: «Manfredo ist an mir vorübergezogen» oder «Sybille hat mein Anwesen voll getroffen» oder «Hubert hat mich ruiniert».

Wie blöde ist denn das.

Lange war es ja so, dass alle Hochs männlich und alle Tiefs weiblich waren. Da haben aber die Frauen irgendwann reklamiert. Jetzt gibt es Männer-Hoch-Frauen-Tief-Jahre und ein Frauen-Hoch-Männer-Tief-Jahre. Da war natürlich die frühere Regelung einfacher, da wusste man immer, was was ist. Sie war zwar frauenfeindlich, aber praktisch. Heute muss man wissen, ob man sich in einem Männer-Hoch-Frauen-Tief-Jahr oder in einem Frauen-Hoch-Männer-Tief-Jahr befindet.

Dieses Jahr ist zum Beispiel Frauen-Hoch-Männer-Tief-Jahr. Wenn Sie sich also auf Beowulf freuen, dann leben Sie ein wenig hinter dem Mond, denn was ein Männertief in NRW und Rheinpfalz angerichtet hat, sollten Sie gesehen haben.

Früher glaubten die Menschen an Götter, die für das Wetter zuständig waren.
Dann kam der eine Gott und in seinem Schlepptau Heilige mit Zuständigkeiten.
Heute haben die Hochs und Tiefs Namen.
Dies zeigt, wie weit die Menschheit gekommen ist.





 

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