Dienstag, 6. Oktober 2020

Übersetzer dürfen nicht wirklich übersetzen


Ich habe neulich die Rolle der Übersetzer erwähnt. Und hier müssen wir uns zunächst mit dem Babelfisch beschäftigen. Sie kennen ihn nicht? Gut, dann lassen wir doch erst Wikipedia zu Wort kommen:
Der Babelfisch (englisch Babel Fish) ist ein fiktives Lebewesen aus dem Roman "Per Anhalter durh die Galaxis" von Douglas Adams. Der populäre Internet-Übersetzungsdienst Babel Fish benannte sich nach dem Vorbild aus Adams’ Roman. Der Babelfisch wird in dem Roman als kleine Kreatur beschrieben, die sich ins Ohr einführen lässt und dem Träger ein Verständnis aller gesprochenen Sprachen ermöglicht. […] Die absurde Darstellung des Babelfisches ist eine Parodie Adams’ auf die Unplausibilität der in der SF-Literatur beschriebenen Übersetzungsmaschinen. Im Allgemeinen wurde die Vielfalt der Sprachen von den Science-Fiction-Autoren lediglich als lästige Unbequemlichkeit und die Hervorhebung linguistischer Schwierigkeiten als nicht leserfreundlich betrachtet. […] Auch die bis auf die Bibel zurückgehende Utopie einer Spracheinigkeit, die die Vorstellung impliziert, dass die bloße Überwindung der Sprachbarrieren gleichzeitig ein gegenseitiges Verständnis bewirke, greift Adams in satirischer Weise auf: Zwar hebt er in seinem Roman mit Hilfe des Babelfischs den nachbabylonischen Zustand der Sprachverwirrung auf, er lässt jedoch eben dadurch dieses Wesen „mehr und blutigere Kriege“ verursachen „als sonst jemand in der ganzen Geschichte der Schöpfung“.

Vor allem der letzte Absatz ist spannend. Der Übersetzerfisch soll für Kriege verantwortlich sein, obwohl er doch bewirkt, dass sich die Leute verstehen?
Genau.
Häufig ist es eben besser, sich nicht genau zu verstehen.

Diese Geschichte ist jetzt wirklich wahr:
Bei der Konzerttournee der KKB in der Ukraine stand ich vor der Aula der Uni Ostroh und rauchte. Eine dicke, schlecht angezogene Dame kam aus dem Gebäude und schrie mich an. Ich verstand natürlich nichts, es klang ungefähr wie SCHDONNO WUSWI TIMSCHNO SCHDINNI GUMSCH GIMSCH WUTSCHÜ. Ein wenig Nachdenken brachte mich aber weiter – Kontext, das ist das, was ich meinen Schülerinnen und Schülern immer einbläue: im Kontext denken – ich dachte darüber nach, was an mir falsch sein könnte. Ich war angekleidet, das konnte es nicht sein. Ich zerstörte keine Bausubstanz und machte nichts dreckig, was war es? Natürlich: Die Zigarette. Ich hob den Glimmstängel in die Höhe und siehe da: Die dicke, schlecht angezogene Dame wies mich in Richtung Ausgang. Die Raucherecke ist in Ostroh VOR dem Campus.
Man stelle sich nun vor, ich hätte die dicke, schlecht angezogene Ukrainerin Wort für Wort verstanden. Vielleicht eine Katastrophe. Vielleicht hat sie gerufen: «Wenn du die verfickte Scheisszigarette nicht ausmachst, dann stopfe ich sie in deine verfickte Scheissnase.» oder vielleicht auch: «Mach die Kippe aus, du ausländischer Hurensohn, sonst schlag ich dich so zusammen, dass du sechs Monate nicht mehr rauchen kannst.»
Und dann hätte ich sicher – wenn ich des Ukrainischen mächtig wäre – zurückgegeben. Und es wäre zu einem sehr unschönen Wortwechsel und eventuell auch zu einem Faust-, Tritt-, Schlag- und Ohrfeigenwechsel gekommen.

Nein.
Manchmal ist es besser, nicht korrekt zu übersetzen.
Stellen Sie sich vor, Sie wären die Dolmetscherin oder der Dolmetscher von – nehmen wir doch mal eine ganz beliebige Person auf diesem Globus – Donald Trump.
Sie könnten doch nie eine wortwörtliche, korrekte, eine genaue und präzise, könnten nie eine richtige und dem Wortlaut entsprechende Übersetzung liefern.
Tun die Dolmetscher des White House auch nicht.
Ich habe zufällig eine Sammlung von Umformulierungen in der Hand, die quasi als Handbuch bei den «Interpreters» in Washington kursieren:

Trump: I know you for a long time, and I ever thought that you are a brainless son-of-a-bitch.
Übersetzer: Ich kenne Sie sehr lange, ich war aber nicht immer mit Ihrer Politik einverstanden.

Trump: If you don´t agree, I will break your nose and rape your daughter.
Übersetzung: Es wäre für mich sehr, sehr wichtig und entscheidend, dass Sie meinem Vorschlag zustimmen.

Trump: I warn you: You will let your fucking dirty hands from this country.
Übersetzung: Wir werden mit einer Verletzung der territorialen Souveränität dieses Landes nicht einverstanden sein.

Jeder der Dolmetscher, der für die USA, aber auch jeder, der für Putin, für China, jeder der für Bolzonaro oder Kim arbeitet, har den Friedensnobelpreis verdient.
Wenn die Garde der Übersetzer wirklich ÜBERSETZEN würde, dann stünde die Welt schon lange nicht mehr.   




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