Vor einigen Jahren guckte ich in einem
Kulturprogramm einen Beitrag über die Eröffnung einer Ausstellung im Maurits
Huis. Es war eine Gesamtschau eines Künstlers des Goldenen Zeitalters, von dem
ich noch nie gehört hatte: Jan van der Tulip (1598–1646). Neben vielen Bildern,
die gezeigt wurden, kamen auch diverse Menschen zu Wort. Und diese Wortbeiträge
erstaunten mich immer mehr:
Pieter Gruypen (Direktor des Maurits
Huis): Van der Tulip is in onze tijd helemaal niet bekend. Hij werkte in Leiden
en Amsterdam, …
Ab hier wurde übersprochen: Van der Tulip
ist in unserer Zeit gänzlich unbekannt. Er arbeitete in Leiden und Amsterdam…
Margrit Stoffelen (Kuratorin der
Ausstellung): We tried to show as much pictures of van der Tulip as we could
find. But a lot of his pictures…
Ab hier
wurde übersprochen: Wir haben versucht, so viele Bilder von Van der Tulip zu
zeigen, wie wir finden konnten, aber viele seiner Bilder…
Jaap Bor
(Besucher): Das ist eine wunderbare Ausstellung, und ich kannte ihn gar nicht.
Eine absolute Entdeckung! Einige der Stillleben können es mit allen Malern des
Goldenen Zeitalters aufnehmen.
Nun wurde
ich stutzig. Ich kenne Den Haag und das gesellschaftliche Klima und die
Kulturszene einigermassen gut, genauso wie das niederländische Bildungssystem
und ich wunderte mich nun doch über die Sprachen. Gruypen sprach
Niederländisch. Kann er kein Deutsch? Kann er sicher, er kann aber auch zu 100%
Englisch. Genauso wie Stoffelen auch Deutsch kann. Es kann doch nicht sein,
dass man den Eindruck gewinnt, der Chef sei jeder Fremdsprache unkundig, die
Kuratorin kann dann immerhin Englisch, aber jeder Besucher ist ein Sprachengenie.
Mit dieser
Verwunderung seit Jahren im Hinterkopf hörte ich einen Beitrag in SWR2 über die
Absage der Basler Fastnacht:
Dr. Lukas
Engelberger (Gesundheitsdepartement): Es ist eine absolut harte Entscheidung,
die hunderte von Aktiven bis ins Mark treffen wird, aber wir haben angesichts
der Erkenntnisse über das Virus keine andere Wahl.
Dr.
Baschi Dürr (Vizepräsident): Es isch undänggbar, dass mir bi eme Cortege mit Dausige
vo Zuschauer irgendwie Abschtand halte..
Ab hier
übersprochen: Es ist undenkbar, dass wir bei einem Umzug mit Tausenden von Zuschauern
irgendwie Abstand halten.
Mir
verschlug es die Sprache: Warum redet der eine so und der andere so? Erweckt
man nicht den Eindruck, Dürr könne keine Standardsprache – oder der andere
keine Mundart?
Die Lösung
ist denkbar einfach:
Es ist die
reine Folklore.
Es ist pure
Show.
Es ist
ausschliesslich Komödie.
Die Regie
entscheidet, was in einem Beitrag besser aussieht und was sich besser anhört.
Es muss ja immer ein wenig Lokalkolorit, ein wenig Atmosphäre dabei sein, man
soll das Gefühl haben, sich eben da und da und nicht dort oder dort zu
befinden.
Da wird dann
schon einmal nach einem Taifun ein Asiate, der wunderbar fotogene Schrammen im
Gesicht hat, dessen Haus aber unversehrt geblieben ist, vor das Haus eines
anderen gesetzt, das wunderbar zerstört ist, der andere aber – Sie ahnen es
längst – hätte keine Schrammen im Gesicht gehabt.
Und dann
kann es eben auch sein, dass der Dialekt oder die Sprache jenes
Schrammen-im-Gesicht-vor-kaputtem-Haus-Menschen zu glücklich, zu fliessend, zu
wenig stammelnd klingt, und dann fragt man ihn, was er noch kann, und dann ist
das eben ein radebrechendes Englisch, das so schön verzweifelt klingt. Man
versteht es kaum – aber es wird ja eh übersprochen.
Vielleicht
gab es auch diesen Dialog mit Pieter Gruypen, der – ich habe mich inzwischen
kundig gemacht – seinen Master in München gemacht und seine Promotion in
Harvard abgelegt hat:
Kultursender:
Bitte, Herr Doktor Gruypen
Gruypen: In
unserer Zeit ist van Tulip völlig unbekannt. Er…
Kultursender:
Stopp. Können Sie ein wenig holländischer klingen? Ihr Deutsch ist zu gut.
Können Sie so wie Rudi Carell reden?
Gruypen:
Kann ich nicht und will ich nicht.
Kultursender: Dann bitte auf
Englisch
Gruypen: Van Tulip is not really
known in our times. He…
Kultursender:
Ihr Englisch ist auch makellos.
Gruypen:
Mein Französisch übrigens auch.
Kultursender:
Gut, dann bitte Niederländisch. Wir übersprechen dann.
Was noch zu
hoffen ist: Dass immer genau das übersetzt wird, was gesagt wird.
Aber davon
ein anderes Mal.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen